Hattingen. Nackte Männer aus Eisen, verrostete Penisse – das Aufstellen der Eisenmänner sorgt für einen Aufschrei in Hattingen. Schnell sind sie kastriert.
Ja, die Reaktionen auf die Eisenmänner des polnischen Künstlers Zbigniew Fraczkiewicz dürfen als Aufschrei beschrieben werden. Die Empörung über die Skulpturen – nackte Männer mit offen zur Schau gestellten Geschlechtsteilen – ist groß in Hattingen, bisweilen entsteht der Eindruck, dass der Zusammenhalt der Stadtgesellschaft angekratzt wird. Und das alles wegen ein paar verrosteter Penisse.
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Nein, was wird ihnen alles angetan: Sie werden bespuckt, mit Unterwäsche behängt und zum Teil auch ihrer Männlichkeit beraubt – nicht nur einmal, gleich zweimal muss mit bronzenen Ersatzteilen nachgerüstet werden, damit die kastrierten Kunstwerke wieder komplett dastehen. Nie zuvor stand die Kultur derart im Blickpunkt.
Jubeljahr für die Stadt Hattingen zum 600. Geburtstag
Hattingen 1996: Es ist ein Jubeljahr für die Stadt, die seit nunmehr 600 Jahren besteht. Große Aktionen werden geplant, Ideen gibt es zuhauf, verschiedene Feste sollen die Geschichte des früheren Hatneghens in den Mittelpunkt stellen. Die Stadtgesellschaft beteiligt sich, Verbände und auch die Vereine.
Etwa der Kunstverein Hattingen, der die Eisenmänner in diesem Jahr als Reminiszenz an Hattingens Eisen- und Stahlgeschichte auf die Hütte holt. Die Vorsitzende Ulla Rauh-Beyer tut sich dabei hervor, setzt auf die Kunst im öffentlichen Raum, freut sich über die lebendige Diskussion, auf Ab- wie Zuneigung.
Jeder Mann aus Eisen ist 800 Kilo schwer und 2,40 Meter groß
Zu zwölft stehen sie da, in Sichtweite zum Hochofen, bis zu 800 Kilo schwer, jeder 2,40 Meter groß. Drei weitere Eisenmänner (eigentlich: Menschen aus Eisen) des Künstlers Zbigniew Fraczkiewicz kommen direkt an die Stadtmauer. Und sie sind der Stein des Anstoßes im Jubiläumsjahr.
Vor allem Frauen und Kinder fühlen sich durch die nackten Männer in ihrem Schamgefühl verletzt, klagt ein Vertreter des Ausländerbeirats, Unbekannte veralbern die Kunst des Nachts, gestalten sie mit Höschen und Kondomen um.
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Wochenlang scheint Hattingen – mitten im Strukturwandel – keine anderen Sorgen zu haben als diese Kunstwerke. Kein Zweifel also, dass dies die wohl nachhaltigste Aktion in der Geschichte des Kunstvereins Hattingens ist.
Und die drei rostigen Riesen an der Stadtmauer bleiben stehen. Denn mit einer Spendenaktion werden sie dauerhaft an die Ruhr geholt – zu einem Stückpreis von 20.000 Mark. Es ist der Beweis, dass die Eisenmänner eben auch viele Fans haben, die sich für ihren Verbleib in Hattingen eingesetzt haben. Die anderen Eisenmänner werden auf mehreren Ausstellungen gezeigt und zurück nach Polen gebracht.
Seit 2020 stehen wieder achte Eisenmänner auf der Hütte
Sprung in die Gegenwart. Längst hat Zbigniew Fraczkiewicz einen kurzen Draht an die Ruhr, vor allem zu seinem Freund Hellmut Lemmer. Und so kommt im Januar 2019 ein Hilferuf: Er müsse den Teil seines Grundstücks verkaufen, auf dem die Skulpturen stehen. Und er denkt an Hattingen als Abnehmer. Schnell bildet sich eine Initiative aus Kulturinteressierten und Sponsoren, auch der Kunstverein Hattingen schließt sich an. Und so stehen nun seit Oktober 2020 wieder acht Männer aus Eisen auf der Hütte.
Heute gehören die Eisenmänner zu Hattingen wie das Bügeleisenhaus oder eben der Hochofen – gerade die drei an der Stadtmauer. Ja, sie sind ein Stück Stadt-Identität. Und sie sind eines der meist fotografierten Motive.
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