Hattingen. Die Welt empört sich. Und Hattingen macht mit: Der Stadtrat beschließt 1962 den Bau einer „Schandmauer“, als Mahnmal und Zeichen der Solidarität.

Ein Jahr nach dem Bau der Berliner Mauer zeigt sich Hattingen solidarisch mit den Menschen in der geteilten Stadt: Am 13. August 1962 wird vor dem Rathaus die „Schandmauer“ als Mahnmal aufgestellt – viereinhalb Meter lang, zweieinhalb Meter hoch, bewusst schlecht gemauert und mit abgerissenem Stacheldraht versehen.

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Seit einem Jahr verläuft die womöglich gefährlichste Grenze der Welt mitten durch die größte deutsche Stadt. Sie gilt als Symbol für den Kalten Krieg, der Bau durch die Staatsführung der Deutschen Demokratischen Republik im August 1961 ruft ein internationales Echo der Empörung hervor.

Familien werden getrennt, es gilt der Schießbefehl

Auch die Mitglieder des Hattinger Stadtrats sind fassungslos. Familien werden getrennt, es gilt der Schießbefehl: „Gegen Verräter und Grenzverletzer ist die Schusswaffe anzuwenden. Es sind solche Maßnahmen zu treffen, dass Verbrecher in der 100-Meter-Sperrzone gestellt werden können. Beobachtungs- und Schussfeld ist in der Sperrzone zu schaffen“, ordnet der damalige Leiter des „Zentralen Stabes“ der DDR, Erich Honecker, der gleichzeitig auch ZK-Sekretär für Sicherheit ist, an.

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Das lässt die Hattinger Politik nicht ruhen. Gemeinsam wird beschlossen, eine hässliche Nachbildung der „Berliner Schandmauer“ auf den Grünflächen neben dem Rathaus zu errichten. Bürgermeister Willy Brückner weiht sie ein, jährlich gibt es am Jahrestag des Mauerbaus Gedenkfeiern und Kranzniederlegungen.

Gemischte Gefühle bei Hattingens Bürgerinnen und Bürgern

Bei den Bürgerinnen und Bürgern ruft die Aktion indes gemischte Gefühle hervor. Für die einen gilt die Mauer als „gelungenes Mahnmal“, andere tun sich viel schwerer: „Das Geld hätte man lieber in ein Schwimmbad oder einen vernünftigen Sportplatz investieren sollen.“ Außerdem sei damit doch niemandem geholfen.

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Über Willy Brückner

Willy Brückner (SPD) ist der letzte Bürgermeister der alten, aber auch der erste Bürgermeister der neuen Stadt Hattingen (ab 1970). Er ist von 1956 bis 1977 im Amt.Im September 1965 gibt es den dreifachen Willi auf dem Untermarkt: Brückner begrüßt gemeinsam mit Willi Michels aus Welper den Berliner Bürgermeister Willy Brandt.

Sie steht ab dem 13. August 1962 – und noch im selben Monat besuchen Kinder aus West-Berlin die Stadt. Sie sollen fernab der Heimat ein paar ruhige Tage genießen. An der Mauer stören sie sich dabei nicht im Geringsten, besser sogar, sie sagen: „So fühlen wir uns immerhin wie zu Hause.“ Und als echte Berliner wissen sie mit der Mauer auch etwas anzufangen. „Volkspolizei und Flüchtling“ heißt das Spiel, das sie an der Hattinger „Schandmauer“ spielen.

Hattinger Mauer fällt im Jahr 1968 – die Berliner 1989

Jahr für Jahr legt die Stadtspitze an an der Mauer einen Kranz nieder und eine Schweigeminute ein. Doch nach sechs Jahren plötzlich das Aus. In einem schmalen Dreizeiler heißt es schließlich: „Das Symbol der Berliner Mauer soll im Bereich der Roonstraße entfallen.“ Ein Ersatzstandort ist nicht vorgesehen. Der Abriss erfolge in Aussicht auf die Neugestaltung der Grünfläche und der angrenzenden Straßen. Viele Hattinger wundern sich über diese Maßnahme, denn ihr Berliner „Vorbild“ präsentiert sich bis weit in die 1980er-Jahre hinein stabiler denn je. „Außerdem gehört es als Mahnmal einfach zum Stadtbild dazu“, sagen die Befürworter.

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Die Hattinger Mauer fällt im Jahr 1968 – die Berliner erst am 9. November 1989.