Hattingen. Es ist der Moment, in dem Geschichte geschrieben wird: Frank Wagner schießt die Fußballer des TuS Hattingen in die höchste Amateur-Spielklasse.
Es ist die 82. Spielminute, als der Jubel keine Grenzen mehr kennt: Gerade hat der Torwart von Arminia Marten einen bitterbösen Fehler gemacht, gerade hat Frank Wagner geistesgegenwärtig den Ball ins Netz geschoben – es ist das 2:1 für den TuS Hattingen, der Schuss ins Glück, der Aufstieg in die Verbandsliga. So hoch wie an diesem 8. Juni 1969 hat es kein Hattinger Fußballverein im 20. Jahrhundert geschafft.
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Was für ein schöner Tag: Die Sonne strahlt, die Gesichter des rot-weißen Anhangs noch viel mehr – Hattingen ist künftig in der höchsten Amateurklasse vertreten. Ein Fest!
4000 Zuschauer drängen auf die Ränge
„Zu uns kamen immer sehr viele Zuschauer, es war rappelvoll. Manchmal mussten sogar die Straßen gesperrt werden. Wenn man durch die Stadt gelaufen ist, war Fußball fast das einzige Thema der Leute“, erinnert sich Hansi Wagner. Und so ist es auch an diesem Tag: 4000 Zuschauer drängen auf die Ränge in Langendreer, wo das entscheidende Aufstiegsspiel ausgetragen wird. Die Parkplätze sind schon lange vor dem Anpfiff alle besetzt, die meisten kommen aber sowieso mit Bus und Bahn.
Drei Wagners in einer Mannschaft
Kuriosum in der Aufstiegs-Mannschaft des TuS Hattingen: Gleich drei Spieler heißen Wagner – und um sie voneinander zu unterscheiden werden sie nicht mit ihren Vornamen geführt sind mit Wagner I, II und III.Die Brüder Frank und Bernhard Wagner sind Wagner I und II, der gerade erst 18 Jahre alte Hansi Wagner ist Wagner III.Die Lebensgeschichte des Aufstiegshelden Frank Wagner ist eine tragische – denn er kommt am 17. Dezember 1987, einen Tag bevor der Hochofen den Henrichshütte endgültig ausgeblasen wird, ebenda bei einem Arbeitsunfall ums Leben.Hansi Wagner indes spielt später für Wattenscheid 09 und trainiert noch viele Hattinger Vereine.
Die Stimmung ist angespannt, aber auch euphorisch. Die Mannschaft ist nervös, aber auch zuversichtlich. Das Ziel ist ambitioniert, aber realistisch. Auf ins Abenteuer!
Um drei wird das Spiel angepfiffen, es ist fast zu warm, um gescheit Fußball zu spielen – und doch gibt es sofort die ersten Chancen: Adi Neumetzler köpft zweimal knapp übers Tor, Heiner Hippler und Alfred Grävingholt vergeben gute Gelegenheiten. Auf der anderen Seite bewahrt Fredy Rosenkranz seine Farben ein ums andere Mal vor einem Rückstand.
Schiedsrichter-Geste falsch gedeutet
In der 38. Minute wird es unübersichtlich: Bernd Wagner wird zwar gefoult, aber der Schiedsrichter pfeift nicht. Weil Adi Neumetzler die Geste zum Weiterspielen falsch deutet, nimmt er den Ball in die Hand – Freistoß für Marten! Schnell ausgeführt, der TuS wird überrumpelt und der Distanzschuss rauscht ins Netz. Nulleins.
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In der zweiten Halbzeit legen die Hattinger munter los, machen durch Einsatz und Leidenschaft alles wett, was ihnen die Dortmunder voraus haben. Und sie treffen: Frank Wagner köpft den Ball in der 54. Minute in den Winkel. Einseins.
Spieler liegen sich in den Armen
Weiter geht’s nach vorne, immer energischer nach vorne. Marten hat sich wohl übernommen, es fehlt die Kondition und die Konzentration. Beispielsweise beim Torhüter, dem ein folgenschwerer Fehler unterläuft. Frank Wagner ist da und trifft. Zweieins!
„Unbeschreiblicher Jubel“ bricht aus, schreibt der WAZ-Chronist. Fremde Menschen liegen sich in den Armen, es ist der Moment, in dem Geschichte geschrieben wird. Vereinsgeschichte sowieso, denn wohl nie hat es ein wichtigeres Spiel für die Fußballer gegeben – aber eben auch Stadtgeschichte, denn in die höchste Amateurklasse schafft es auch danach keiner.
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Zur Einordnung sei hier erwähnt, dass durch die wachsende Zahl an Vereinen in den folgenden Jahren immer neue Ligen eingeführt werden. Die Verbandsliga gibt es beispielsweise auch heute noch, es ist heute die Westfalenliga, die sechsthöchste Spielklasse.
Das alles soll dem TuS egal sein. Er darf im Juni 69 feiern – und diese Mannschaft bleibt unvergessen!
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