Mülheim. In der Debatte zum Hochwasserschutz in Mülheim bringt ein MBI-Politiker einen historischen Ansatz vor. Seine Warnung: Es könnte schlimmer kommen.
Seine Mülheimer Bürgerinitiativen forderten nach dem jüngsten Jahrhundert-Hochwasser, an der Ruhr, weitgehend auf neue Bebauung zu verzichten. Die Stadtverwaltung lehnt ab, der Planungsausschuss auch, am 11. November ist der Antrag noch mal Thema im Stadtrat. MBI-Politiker Gerd-Wilhelm Scholl setzt nach. Um seine Argumente zu untermauern, legt er Ansichtskarten aus den Jahren 1909 und 1926 vor.
Auf einer Postkarte Scholls ist das Jahrhundert-Hochwasser im Februar 1909 abgebildet. „Als das Kahlenbergwehr noch nicht existierte, breitete sich das Hochwasser der Ruhr bis zur Düsseldorfer Straße aus, weil es eine Überflutungsfläche gab und trotzdem Teile der Lederfabrik Lindgens unter Wasser standen“ so Scholl.
MBI-Politiker: Bei einem Hochwasser wie 1909 würde Aldi-Zentrale in Mülheim geflutet
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Würde sich das Hochwasser von 1909 wiederholen, würde nach Scholls Deutung die ganze Bebauung bis zur Düsseldorfer Straße, also etwa auch die Aldi-Zentrale, unter Wasser stehen. „Aus diesem Grund sollte man sich überlegen, die Überflutungsfläche in den Saarner Auen und am Lindgens-Gelände nicht mehr zu bebauen, das gilt auch für die Insel zwischen Kanal und Altarm“, so Scholl. Auch die Pläne, Schwimmhäuser (Floating Homes) auf der Ruhr zu errichten, seien zu begraben. „Man denke an die Moornixe, die durch einen Baum bis ins Kahlenbergwehr gedrückt wurde.“
Auch zum Hochwasser 1926 legt Scholl zur Mahnung eine alte Ansichtskarte vor, die zeigt, wie die Stadthalle schon unter Wasser steht, während damals die unbebauten Ruhranlagen bis zur Ruhrstraße nicht betroffen sind. Scholls Hinweis auf die Auswirkungen, die die Ruhrbania-Bebauung gehabt habe. Der Leinpfad sei damals die tiefste Stelle gewesen, „dann kam der Promenadenweg, danach die Mauer der Anlage, die den höchsten Punkt an der Ruhr bildeten, die höher lagen als die Stadthalle“, so Scholl.
Obere Wasserbehörde weist die MBI-Ausführungen nicht zurück
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„Durch die Zerstörung der Ruhranlagen“ habe jetzt das Wasser der Ruhr bis an die Ruhrbania-Gebäude herangereicht. Das zeige deutlich, „dass die Versiegelung von Flächen an fließenden Gewässern die Überflutung erhöht“, so Scholl.
Was ist von diesem historischen Ansatz zu halten? Die Experten der Oberen Wasserbehörde bei der Bezirksregierung Düsseldorf halten es zumindest nicht für ausgeschlossen: „Vergleichbare Abflussmengen beziehungsweise Überflutungen wie 1909/1926 sind auch heutzutage möglich. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden im Oberlauf der Ruhr zwar mehrere Talsperren errichtet, jedoch sind diese nicht als Hochwasserschutzanlagen konzipiert und bewirken nur eine geringfügige Absenkung der Hochwasserspitzen“, heißt es in einer Stellungnahme der Oberen Wasserbehörde zu Scholls Befürchtungen, die diese Redaktion abgefragt hat.
Bezirksregierung: Hochwassergefahrenkarten geben nicht hundertprozentig Sicherheit
Seit 2013 veröffentlicht das Land NRW Hochwassergefahrenkarten, die auch für die Ruhr in Mülheim auf Grundlage von Niederschlags- und Abflussaufzeichnungen aus den zurückliegenden Jahrzehnten darstellen sollen, welche Überflutungsflächen bei Extremereignissen zu erwarten sind. Dass es womöglich schlimmer kommen könnte, als es die Karten skizzieren, schließt die Bezirksregierung nicht aus. Aus den Karten seien „keine uneingeschränkt gültigen Maximalwerte“ herzuleiten.
„Größere Überflutungen als in den vom Land NRW veröffentlichten Karten der Extremereignisse sind möglich“, weist die Behörde darauf hin, dass jenes Ruhr-Hochwasser im Juli lediglich als „mittelschwer“ einzustufen sei. Die Hochwasserabflüsse hätten in ihrem Ausmaß tatsächlich nur etwas über dem statistischen Mittel eines Hochwassers gelegen, das „nach derzeitiger Datenlage“ nur einmal in 60 Jahren auftrete.
Düsseldorfer Behörde: Wirksamster Schutz gegen Hochwasser sind freie Uferbereiche
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Müsste die Stadt Mülheim aber nun auf eine weitere Bebauung an der Ruhr verzichten? Grundsätzlich stellt die Obere Wasserbehörde fest, dass der wirksamste Schutz vor Hochwasserschäden trotz aller technischen Errungenschaften immer noch sei, Uferbereiche (die sogenannten Hochwasserabflussprofile) beziehungsweise Überschwemmungsflächen freizuhalten. Experten sehen hier etwa auch Bäume kritisch, weil die bremsend wirken oder mit den Flutwellen mitgerissen und zur großen Gefahr werden können.
Zahlreiche Erfahrungen allein aus den vergangenen beiden Jahrzehnten (Elbe, Donau, Ahr) zeigen laut Bezirksregierung „deutlich, dass es innerhalb der Hochwasserabflussprofile keinen vollständigen Hochwasserschutz gibt“. Diesem Umstand sei bei Siedlungsentwicklungen in der Vergangenheit durchweg zu wenig Beachtung geschenkt worden.
Bezirksregierung hat massive Bedenken gegen Schwimmhäuser auf Mülheims Ruhr
In der jüngeren Vergangenheit aber habe der Gesetzgeber unter anderem die wasser- und baurechtlichen Vorschriften zunehmend verschärft. Hierzu zähle auch ein generelles Bauverbot in Überschwemmungsgebieten. Nicht abzusehen sei, ob als Reaktion auf die jüngste Hochwasser-Katastrophe weitere Verschärfungen vorgenommen würden, will die Behörde aber nicht grundsätzlich eine Wertung abgeben zu Grenzen zukünftiger Bebauung an Mülheims Ruhrufer. Eines hält sie aber doch fest: Gegen die Mülheimer Pläne, Schwimmhäuser (Floating Homes) auf der Ruhr zu errichten, gebe es „massive fachliche Bedenken“.
Eines sei bei allem aber festzuhalten, betont eine Sprecherin der Bezirksregierung: Der Schutz Mülheims sei in erster Linie eine Aufgabe der Stadt selbst. Dort würden sicher die möglichen Konsequenzen einer weiteren Ruhrufer-Bebauung mitbedacht. Das Land unterstütze die Kommunen bei ihrer Planung für ein Hochwasserrisikomanagement beratend und bei konkreten Projekten mit bis zu 80 Prozent Fördermitteln.
Eine Chronologie unserer Hochwasser-Berichterstattung:
14. Juli: Feuerwehr ist in Alarmbereitschaft wegen Unwetter
15. Juli: Überschwemmung droht in der Mülheimer Innenstadt
15. Juli: Campingplätze geräumt: Die Ruhr fließt mittendurch
15. Juli: BW Mintard unter Schock: Unwetter zerstört die Sportanlage
16. Juli: Weitere Evakuierungen notwendig
16. Juli: Umzug mit dem Allernötigsten: Mülheimer Altenheim geräumt
16. Juli: Nach Havarie: Kahlenbergwehr läuft ohne Schäden
16. Juli: Hochwasser in Mülheim: Es riecht wie am Wattenmeer
16. Juli: Mit Fotostrecke: Bei der DJK BW Mintard ist alles kaputt
16. Juli: In Mintard versinken Anwohner in Wassermassen
18. Juli: Hochwasser-Historie in Mülheim: Unermessliche Schäden
18. Juli: Tiertafel sammelt Spenden für Hochwasser-Betroffene
18. Juli: Die Ruhr ist wieder friedlich: Mülheim bleibt vorsichtig
19. Juli: Angler retten mehr als 1000 Fische
19. Juli: Nasse Häuser und nächtlicher Schrottklau in Mintard
19. Juli: Schleuseninsel traf es am schlimmsten
20. Juli: Mülheim zeigt überwältigende Hilfsbereitschaft
20. Juli: Bauwagen-Hotel hat das Hochwasser überstanden
20. Juli: Hochwasser: Wie kritisch ist die Lage für den Wasserbahnhof?
20. Juli: Tiefgarage am Rathausmarkt geschlossen
20. Juli: Naturbad: Wir hatten Angst, dass der Deich bricht
21. Juli: Hochwasser: Wo die Stadt endlich umdenken muss
21. Juli: Yacht-Club und Grüne Flotte hielten Nachtwache
21. Juli: Evakuierung beendet: Mülheimer Altenheim-Bewohner sind zurück
21. Juli: Kleingärtner beseitigen Flutschäden
22. Juli: So ist der Stand nach dem Hochwasser bei Blau-Weiß Mintard
22. Juli: Hochwasser in NRW: Die Lage jetzt und vor einer Woche
22. Juli: Mäusehaus in Saarn muss wegen Wasserschaden ausweichen
22. Juli: Stadt entwarnt: Abriss des Wasserbahnhofs schwierig
22. Juli: Lokale am Mülheimer Ruhrufer: Nach Corona der nächste Mist
25. Juli: Taucher erkunden gesunkene Moornixe
28. Juli: Sport auf der Ruhr wieder möglich
28. Juli: Trinkwasser wird ab 4. August nicht mehr gechlort
30. Juli: MEG fuhr für Sperrmüll Extratouren
1. August: Nach dem Hochwasser räumen Mülheimer die Ruhrauen auf
3. August: Wie sich die Natur wieder regeneriert
3. August: MEG sammelt Sandsäcke in City ein
5. August: Mülheimer Landwirte blicken auf Hochwasser-Schäden
8. August: Rettungsring der Moornixe gefunden
11. August: Nach Hochwasser: Mülheimer Hilfsorganisationen haben viel Zulauf
12. August: Nach Hochwasser: Mädchen sammeln für das Mäusehaus
13. August: Moornixe-Ring wird für Mülheimer Flutopfer versteigert
13. August: Benefizspiel: 19.777 Euro für Blau-Weiß Mintard
20. August: Hochwasser: Das sind die Schäden rund um den Wasserbahnhof
6. September: Hochwasser: So sieht es in Mülheimer Kleingartenanlage aus
6. September: Rumbachtal: Für weitere Hochwasser vorsorgen
11. September: Ruhr-Clean-up: Mülheimer sammeln an der Ruhr säckeweise Müll
13. September: Hochwasserschäden: Häuser in Mintard immer noch unbewohnbar
18. September: Nach der Flut: Feuerwehr Mülheim half wochenlang im Ahrtal
28. September: Hochwasser-Katastrophe: Jazzbands spielen für zwei Familien
4. Oktober: Bergung der Moornixe wird aufwendig vorbereitet
5. Oktober: Hochwasser: So geht es an der Schleuseninsel voran
7. Oktober: Spektakuläre Bergung: Moornixe wieder über Wasser
16. Oktober: Moornixe mitten in der Nacht aus der Ruhr geborgen