Mülheim. Mülheims OB Marc Buchholz fordert eine rasche Verstärkung der Ruhrdeiche. Im Interview schildert er seine Pläne für den Flughafen Essen/Mülheim.
Nach seinem Amtsantritt im Oktober 2020 geht der neue Mülheimer Oberbürgermeister Marc Buchholz (CDU) neue Wege in der Wirtschaftsförderung. Er hat die Betreuung von Unternehmen zurück ins Rathaus geholt und will den Flughafen Essen/Mülheim erhalten und für Elektroflugzeuge öffnen. Buchholz verlangt aber auch Unterstützung beim Kampf gegen Hochwasser.
Herr Buchholz, auch Mülheim hat das Hochwasser empfindlich getroffen. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Überflutung von Teilen der Innenstadt und des Stadtteils Mintard?
Marc Buchholz: Der Regionalverband Ruhr sollte sich nun ganz schnell Gedanken machen über Alarmsysteme für die Ruhrgebietsstädte. Es kann doch nicht sein, dass unsere Feuerwehr nur Überschwemmungskarten in Papierform hat, die die aktuelle Situation gar nicht abbilden. Wir brauchen für alle Kommunen Computer-Simulationen. Es kann doch kein Hexenwerk sein zu simulieren, wie bei bestimmten Fließgeschwindigkeiten der Ruhr, Deichgrößen und Warnzeiten die Infrastruktur und Wohnbereiche von Hochwasser betroffen sein werden.
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Die Deiche des Rheins sind verstärkt worden. Hat man die kleineren Flüsse und Gewässer vernachlässigt?
Buchholz: Das kann man so sagen. Wir brauchen überall aktiven Hochwasserschutz. In Mülheim etwa haben wir einen Ruhrdeich, der stammt aus dem Jahr 1933 und wurde mit Schlacke aufgeschüttet. Da muss nachbessert werden. Und in der Innenstadt brauchen wir Spundwände, die wir spontan hochfahren können. All diese Themen kann eine Stadt aber nicht allein stemmen. Damit sollte sich neben der Stadt auch das Ruhrparlament beschäftigen.
Werden Sie jetzt Bauprojekte direkt an der Ruhr unterbinden?
Buchholz: Auf keinen Fall. Wir wollen das Ruhrgebiet nicht entvölkern. Bauprojekte zu verbieten, ist doch kein Hochwasserschutz. Voraussetzung ist natürlich, dass die Investoren ihrer Verpflichtung nachkommen und ihre Gebäude vor möglichen Fluten ausreichend schützen. Dort werden wir auf die Auflagen besonders achten.
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In kaum einer Ruhrgebietskommune gibt es so wenige Gewerbeflächen wie in Mülheim. Ist Ihre Stadt bei Investoren so beliebt oder hat sie versäumt, rechtzeitig für Nachschub zu sorgen?
Buchholz: Beides ist richtig. Mülheim ist mit einer Infrastruktur aus Wasser-, Straßen- und Schienenanbindung gesegnet. Und wir haben sogar einen Flughafen. Die Stadt hat es aber in der Vergangenheit versäumt, Areale wie den Flughafen Essen/Mülheim und westlich der Innenstadt zu entwickeln. Wir haben leider keine zusammenhängenden Flächen in der Größenordnung, die Investoren aktuell nachfragen.
In bester Lage an der Ruhr in Mülheim wollen Sie Unternehmen wie Thyssenkrupp Schulte, die Friedrich-Wilhelms-Hütte und Aldi Süd dazu bewegen, Industrieflächen zu rekultivieren und Platz für neue Unternehmen zu schaffen. Wie realistisch ist der Plan?
Buchholz: Die Zeit, dass sich Unternehmen öffnen, Grundstücke neu zu denken, scheint gekommen. Die Hütte hatte in Mülheim mit ihren zwei Gießereien in Hochzeiten 5000 Mitarbeiter. Jetzt sind es noch 200. Mein Ziel ist es, dass auf ihrem und benachbarten Geländen zumindest die Zahl von 1000 Arbeitsplätze angestrebt wird. Das könnten wir mit den Grundstückseigentümern in fünf bis zehn Jahren schaffen.
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Den Kommunalpolitikern und Rathäusern wird immer wieder vorgeworfen, dass sie den möglichen Konflikt mit Bürgerinnen und Bürgern bei der Ausweisung neuer Gewerbeflächen scheuen. Stimmt das?
Buchholz: Freiflächen sind für mich tabu. Da stehe ich bei meinen Wählerinnen und Wählern im Wort. Im Hinblick auf die Naturkatastrophen der jüngeren Vergangenheit ist es umso mehr erforderlich, unbebaute Flächen möglichst nicht zu versiegeln.
Die Sie tragenden Parteien CDU und Grüne haben aber Jahrzehnte propagiert, sie wollen den Flughafen Essen/Mülheim schließen. Kein Jahr nach der Kommunalwahl rücken sie von dieser Linie ab. Welche Perspektiven sehen Sie für den Landeplatz?
Buchholz: Wir brauchen den Flughafen. Es wäre das falsche Signal, ihn im Jahr 2034 zu schließen. Es gibt die Chance, Essen/Mülheim zum Vorreiter für Elektromobilität, Wasserstoff und gegebenenfalls. Flugdrohnen zu machen. Laute Hubschrauber-Rundflüge wurden aktuell unterbunden, ein richtiges Signal für ausgleichende Interessen. Das WDL-Luftschiff „Theo“ soll dagegen als Wahrzeichen des Ruhrgebiets natürlich bleiben. Unter diesen Bedingungen kann sich auch die Ratsmehrheit in Mülheim vorstellen, den Schließungsbeschluss zu ändern.
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Die Stadt Essen als Mitgesellschafterin wollte den Flughafen aber auch seit jeher lieber heute als morgen loswerden.
Buchholz: Das Bewusstsein hat sich geändert. Der Flughafen Essen/Mülheim kann ein wichtiger Baustein in der wirtschaftlichen Entwicklung des Ruhrgebiets sein. Fliegen wird eine ganz neue technologische Entwicklung nehmen. E-Flugzeuge und Lufttaxis können für Kurzstrecken zum Einsatz kommen. Dabei streben wir eine Kooperation mit der RWTH Aachen und Professor Schuh an, der bereits Elektroautos entwickelt. Die Mülheimer Flugschule FFL plant, ein Elektroflugzeug anzuschaffen.
Mit dem Turbinenbau bei Siemens Energy und der Röhrenproduktion für Gas- und Öl-Pipelines von Salzgitter Mannesmann, Europipe und Vallourec sitzen in Mülheim auf der anderen Seite große Arbeitgeber, die massiv unter der Energiewende leiden. Wie kann Politik hier Impulse geben?
Buchholz: Siemens Energy will in Mülheim 700 und in Duisburg 300 Stellen abbauen. Mein Oberbürgermeister-Kollege Sören Link und ich sind uns einig, dass die beiden Standorte nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Im besten Fall soll es eine Kooperation geben. Duisburg ist beim Zukunftsthema Wasserstoff sehr gut aufgestellt. Bei Siemens Energy in Mülheim gibt es die Strategie, Wärme und Kälte CO2-frei zu erzeugen. Ich bin optimistisch, dass Mülheim Modellstadt für die Umsetzung werden kann und dabei neue zukunftsfähige und sicher Arbeitsplätze entstehen.
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Machen Sie sich Sorgen um den Röhrenstandort?
Buchholz: Richtig ist, dass die Röhrenfertigung elementar mit dem Kraftwerksbau verbunden war. Aber auch für den Transport von Wasserstoff wird man Rohrleitungen brauchen. Die Salzgitter AG plant, mit ihrer Konzerntochter Salzgitter Mannesmann Handel im Sommer 2022 von Düsseldorf nach Mülheim umzusiedeln. Mit dem Umzug sind 220 Arbeitsplätze verknüpft. Das ist ein ermutigendes Signal. Damit die Röhrenproduktion wettbewerbsfähig bleiben kann, braucht sie allerdings einen ähnlichen Sonderstatus wie die Stahlindustrie, um die steigenden Energiekosten zu verkraften. Hier erwarte ich als Oberbürgermeister , dass dieser Industriesparte Unterstützung seitens des Bundes zu Teil wird, damit die steigenden Energiekosten keinen unwiederbringlichen Wettbewerbsnachteil im Transformationsprozess darstellen.