Mülheim. Die Ruhr ist auf dem Rückzug. Etliche Mülheimer packen an, Wasser und Schlamm aus Keller und Wohnung zu bekommen. Ein Blick entlang der Ruhr.
Ob sie noch am Leben sind? Bestürzt steht Günter Sontacki vor dem Gittertor der Kleingartenanlage Mintarder Straße an den Saarner Ruhrauen. 34 Tauben hat er hier im Verschlag. Sie hatten nur eine Chance, wenn die Federn nicht nass geworden sind und sie bis unters Dach auf die oberste Ebene geflogen sind, sagt er. Die Anglerhose hat Sontacki im Gepäck. Die reicht dem 78-Jährigen aber nur bis zur Brust. Wenn sie von oben volläuft, wäre auch sein Leben in Gefahr.
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Mülheimer Kleingärtnerin: „Das riecht wie am Wattenmeer“
Einen Taucheranzug bräuchte man wohl, in dem ging sein Nachbar auf das Gelände. Denn hier steht alles tief unter Wasser: Lauben, Treibhäuser, Plastikrutschen. Bis gestern noch hoch zu den Heckenspitzen, wie man am Schlammschleier erkennen kann, der auf den Blättern liegt. „Das riecht wie am Wattenmeer“, meint eine Kleingärtnerin. Ein Stück ging das Hochwasser zurück, aber wie tief ist es noch...? „Die Tauben haben Hunger“, wirft Sontacki die Stirn in tiefe Falten. Vielleicht ist es heute Nachmittag seichter.
Auch der Weg zu den Ruhrauen ist gesperrt. Wer dennoch forsch hinter die Absperrung geht, kehrt bald zurück: Fast bis zum Kirmesplatz hat der Ruhrarm gegriffen.
Das Hochwasser macht den Weg frei – für Aufräumarbeiten
Das Hochwasser zieht sich am Freitagmittag an der gesamten Ruhr zurück. An der Ruhrpromenade kann man bereits wieder spazieren gehen. Die Treppenstufen der Marina kann man wieder zählen. Und dort, wo die Ruhr eindringen konnte, haben viele Mülheimer mit dem Aufräumen angefangen. Und mancher steht einem Totalschaden gegenüber.
Unzählige pralle Schläuche ragen auf dem Dudel aus den Haustüren, pressen Wasser aus Kellern und sogar Erdgeschossen zurück auf die inzwischen trockene Straße. Am Donnerstagvormittag hatte sich der Fluss mit einem neuen Nebenarm in wenigen Minuten seinen Weg durch die Ruhr-nahe Straße gebahnt bis in die Innenstadt. Dass manches Haus seinen Sockel über Straßenniveau hat, rettete wenig. Die meisten Anwohner mussten ins erste Stockwerk ,umziehen’.
Jetzt aber packen die Anwohner kräftig an. Caren Lietke spritzt den Ruhrschlamm mit dem Schlauch vom Bürgersteig. Aus dem Keller hat die Feuerwehr bereits das Gröbste gepumpt. „Man muss den Feuerwehrmännern mal danken – die waren am Donnerstag sofort zur Stelle“, lobt sie.
In den 30 Jahren, die Lietke hier wohnt, gab es mal Rinnsale von der Ruhr. Doch solche ein Strom...? Die Lietkes reagierten besonnen und schleppten einiges in die Garage. Dennoch: Waschmaschine, Heizung und anderes sind hinüber. Lietke bleibt gelassen: „Ich bin da cool. Andere sind viel stärker betroffen.“
Auch bei Nicole Sorge schwappte die Ruhr gut eine Handspanne breit bis ins Erdgeschoss: Das Sofa, der Kühlschrank sind Geschichte, und ob der Fliesenboden noch hochkommen wird, ist unklar. Vor kurzem hatten sie das Haus noch modernisiert. Jetzt aber muss der Schlamm raus, dann die Schadensliste muss gemacht werden.
Andere auf dem Dudel wie Wolfgang Kamieth haben bereits vorgesorgt und im Keller seines Fachwerkhauses eine sogenannte weiße Wanne verlegt. Sie hat zumindest verhindert, dass das Grundwasser von außen in den Keller drückt. Von oben ist das freilich eine andere Sache. Dafür hatte er sich eiligst 170 Sandsäcke besorgt, denn die Feuerwehr hatte diese zwar angekündigt, kritisiert Kamieth, lieferte aber erst spät.
Eine Kritik, die Feuerwehrsprecher Thorsten Drewes relativieren muss: „Wir hatten am Donnerstag sehr viele Baustellen und können nicht überall gleichzeitig sein.“ In Mintard mussten sie etwa die Anwohner evakuieren, noch am Freitag pumpten die Einsatzkräfte dort die Keller aus.
Auch wenn die Feuerwehr am Freitagmittag einige Sandsäcke von der Schleuseninselzufahrt beiseite schaffte, ließ sie aber die Sperren zum Dudel stehen. „Wir können uns noch nicht sicher sein“, sagt Anwohner Kamieth. Wenn das Wehr in Kettwig bräche – oder weiterer Regen die Pegel steigen ließe, wäre eine neue Hochwassergefahr die Folge. „Wir sind darauf angewiesen, was stromaufwärts passiert“, bestätigt Drewes.
Feuerwehr muss Straßen und Brücken auf Statik prüfen
Für die Feuerwehr sind die Arbeiten längst nicht abgeschlossen: Jetzt geht es darum, gemeinsam mit Statikern mögliche Schäden an Straßen und Brücken zu prüfen. Bekannt sind derzeit keine solche Schäden, allerdings können sie nachträglich auftauchen, wenn sich das Wasser zurückzieht, erläutert Feuerwehrsprecher Thorsten Drewes.
Wer solche, durch das Hochwasser entstandene Straßenschäden entdeckt, kann diese dem Amt für Verkehrswesen und Tiefbau melden. Telefon-Hotline: 455 66 86.
Hart erwischt hat es das beliebte Eiscafé Plati direkt an der Schleuseninsel. Der Keller ist auf gut 1,50 Meter vollgelaufen. Unzählige Getränkekisten und kartonweise Lebensmittel haben die Fluten durcheinandergewirbelt, drei Waschmaschinen, Kühlschränke, den Internetanschluss unter Wasser gesetzt. „Alles kaputt – Totalschaden“, prognostiziert Roland Trübcher, Vater des Plati-Inhabers Christian Trübcher.
Eiscafé Plati: Im Keller „alles kaputt – Totalschaden“
Die ganze Nacht über hatte dieser versucht, den Wassermassen Herr zu werden und den Keller trocken zu pumpen. Jetzt ist der Sohn erschöpft im Bett und im Keller ist ein Rinnsal geblieben – aber es drückt immer noch Wasser von unten in den Raum. „Die Show muss weitergehen“, meint Vater Trübcher. Ab Samstag bietet das Eiscafé seine Waren „to go“ – auf die Hand – an.
Gut aus der Sache gekommen sind hingegen die Musikschule (am Casino) und die Ruhr Gallery. Bei Tom Täger kam die Ruhr nicht die vier Stufen hoch ins Erdgeschoss. Und den Schwups in Ivo Franz’ Kunststätte verhinderten Sandsäcke. „Das Ordnungsamt hat wirklich schnell gearbeitet“, lobt Franz. Und damit möglichen Schaden an den Kunstwerken abgewendet.
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Uneinsichtige drohen Ordnungskräften und Helfern Prügel an
Nicht überall allerdings können Mitarbeiter der Stadt mit so viel Freundlichkeit rechnen: An der Mintarder Straße, kurz vor Dicken Damm hat das Ordnungsamt eine Durchfahrtssperre errichtet. „Uns ist hier schon Prügel angedroht worden“, verrät der Mitarbeiter, der im Minutentakt Auto- und Radfahrer erklären muss, dass sie auf diesem Weg wegen Überflutung und Sicherheitsmaßnahmen am Damm nicht durch können.
„Wir versuchen hier die Sicherheit für die Menschen zu gewährleisten“, erklärt der Mitarbeiter immer wieder aufs Neue. Nicht alle zeigen Einsicht, fahren sogar einfach um die Sperre herum, statt die Stelle weitläufig zu umfahren. Die Sperrung wird vermutlich nur übers Wochenende bleiben. Sofern die Ruhr nicht wieder steigt.