Mülheim/Ahrweiler. Zwei Monate lang war die Feuerwehr Mülheim nach der Flut im Katastrophengebiet tätig. Ein einzigartiges Trinkwassersystem leistete gute Dienste.
Zwei Monate nach dem verheerenden Hochwasser in NRW und Rheinland-Pfalz ist für die Mülheimer Feuerwehr einer der längsten Einsätze ihrer Geschichte zu Ende gegangen: In Eschweiler und Ahrweiler haben die Einsatzkräfte über Wochen für sauberes Trinkwasser gesorgt und dabei erstmals einen in Mülheim entwickelten Prototypen erfolgreich eingesetzt. Die Bilder der völlig zerstörten Region haben sich den Helfern eingebrannt. „Sie haben fassungslos gemacht“, so Feuerwehr-Chef Sven Werner. „Im Ahrtal funktionierte nichts mehr: kein Strom, kein Gas, kein Wasser, kein Abwasser, kein Telefon. . .“
Schon am 14. Juli deutete sich an, dass Stadt und Land schwere Stunden bevorstehen könnten. „Die Warnungen des Deutschen Wetterdienstes waren extrem und wir haben sie sehr ernst genommen“, so Werner. Das Team in der Broicher Wache traf Vorkehrungen, organisierte zusätzliches Personal, schaltete die Freiwillige Feuerwehr und Hilfsorganisationen ein. Man sei vorbereitet gewesen, sagt der Feuerwehr-Chef: „Aber mit den Dimensionen, die das Ganze später angenommen hat, hat keiner gerechnet.“ Zum Glück sei Mülheim letztlich „mit einem dicken blauen Auge davongekommen“.
In stockdusterer Nacht Menschen aus ihren Häusern und einem Altenheim evakuiert
Gegen 21.30 Uhr an jenem Mittwoch ging der erste Hilferuf ein: „Die Stadt Solingen brauchte dringend Unterstützung“, erinnert sich Werner. Das Unwetter habe das Bergische Land früher getroffen als das westliche Ruhrgebiet. Und vor allem den Stadtteil Unterburg – „ein enges Tal, wo das Wasser nicht weg konnte“ – habe es erwischt. Rund 100 Feuerwehrleute aus Mülheim und Oberhausen evakuierten in stockdusterer Nacht Menschen aus ihren Häusern und einem Altenheim, pumpten Dutzende Keller leer.
Die Kollegen in Mülheim verfolgten derweil mit Argusaugen, wie sich der Ruhrpegel entwickelt. Auch wenn viele Kräfte in Solingen zugange waren, sei man in Mülheim gut besetzt und für alle Eventualitäten gewappnet gewesen, betont Werner. Man habe die Heimatstadt nicht im Stich gelassen, auch wenn mancher das vielleicht glaube: „Wir helfen immer dort, wo zuerst Hilfe benötigt wird. Wenn zeitgleich hier etwas passiert wäre, wären wir nicht gefahren. Die Nacht auf Donnerstag aber war ja noch relativ ruhig.“ Am nächsten Morgen zeichnete sich ab, dass es heikel werden könnte: „Der Fluss stieg immer weiter, also mussten wir zurück.“
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Den höchsten Wasserstand erreichte die Ruhr am Donnerstag gegen 20 Uhr
Am Donnerstag gegen 15 Uhr war der Durchfluss am höchsten: Anstelle der normalen 50 Kubikmeter pro Sekunde schossen nun 1400 Kubikmeter pro Sekunde durch die Stadt. Den höchsten Wasserstand erreichte die Ruhr allerdings erst gegen 20 Uhr, so Werner. Eine Turbine des Kraftwerks Kahlenberg war ausgefallen, das bremste das Wasser unterm Wehr aus; es staute sich weiter auf. Ein wenig Entlastung habe die Teil-Öffnung der Schleuse gebracht – doch die Situation blieb dramatisch.
„Bis zum späten Freitagabend war die komplette Mülheimer Feuerwehr im Einsatz.“ Man habe auch überörtliche Kräfte angefordert, „doch es gab keine mehr“. Ganz NRW war mit Helfen beschäftigt; am Donnerstagabend seien aber immerhin einige Kräfte vom Technischen Hilfswerk in Bottrop angerückt.
Feuerwehr-Chef Werner erinnert sich minutiös an die schwierigen Tage Mitte Juli
Werner erinnert sich minutiös an die schwierigen Tage Mitte Juli. Am Samstagmorgen habe er gemeinsam mit dem Oberbürgermeister alle betroffenen Orte in der Stadt abgefahren. Und die Kollegen hätten erneut die Arbeiten im besonders gebeutelten Mintard aufgenommen, unter anderem einen Stromerzeuger für Pumpen und Bautrockner bereitgestellt. „Nachmittags war für uns der Einsatz hier beendet.“ Ruhe aber kehrte auf der Broicher Wache noch lange nicht ein.
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Gegen 19 Uhr meldete sich die Stadt Eschweiler, die von der Katastrophe sehr hart getroffen worden war: Man brauche dringend das Mülheimer Trinkwasser-Notversorgungssystem, hieß es. Erstmals sollte damit der 2019 von der hiesigen Feuerwehr entwickelte Prototyp zum Einsatz kommen. Gemeinsam mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz- und Katastrophenhilfe (BBK) und dem Trinkwasserversorger RWW war das System damals ausgeklügelt und zu 100 Prozent vom Bund bezahlt worden. Rund 600.000 Euro betrug die Rechnung.
Menschen kamen dankbar mit Kanistern in der Hand zur Mülheimer Trinkwasser-Kolonne
Das Besondere daran: „Wir können das Lebensmittel Wasser im großen Stil sicher transportieren und an die Menschen abgeben. Auch auf Dauer verkeimen die Behälter nicht und sind jederzeit desinfizierbar“, erklärt Werner. Als einzige in der Republik erfülle man damit alle strengen Trinkwasservorschriften. Und einwandfreies Wasser war in den Katastrophengebieten mit einem Mal ein unvorstellbar kostbares Gut. Die Fluten hatten fast alle Leitungen zerstört – und so kamen die Menschen dankbar mit Kanistern in der Hand zum Abzapfen an die Mülheimer Trinkwasser-Stellen.
Am Marktplatz in Eschweiler, am Busbahnhof und an einem zentrumsnahen Baumarkt stand jeweils ein Fahrzeug mit einem Behälter, der 15.000 Liter fasste. „Das wurde sehr gut angenommen“, sagt Werner, „auf Facebook haben wir viele, viele positive Kommentare bekommen.“ Am Mittwoch, 21. Juli, sei das Problem in Eschweiler dann weitestgehend gelöst gewesen; „man brauchte uns nicht mehr“.
Die Gefahr, dass die oberhalb gelegene Steinbachtalsperre bricht, war gebannt
Auch 30 Mülheimer Kollegen, die zwischenzeitlich im Kreis Euskirchen eingesetzt waren, um Keller im bis zu anderthalb Meter unter Wasser stehenden Flamersheim leerzumachen, kehrten zurück. Die Gefahr, dass die oberhalb der Ortschaft gelegene Steinbachtalsperre bricht, war gebannt.
Und doch kehrte noch immer keine Ruhe für Sven Werner und seine Mannschaft ein: Über Wochen brauchte nun das völlig zerstörte Ahrtal Hilfe aus Mülheim. Erneut kam das Trinkwassersystem zum Einsatz. Und die Mülheimer erhielten Lob von oberster Stelle: Armin Schuster, seit 2020 BBK-Präsident, nahm den Eigenbau vor Ort unter die Lupe. Und war begeistert: „Er ist von der Leistungsfähigkeit absolut überzeugt“, so Werner, „und möchte sich dafür einsetzen, dass das System deutschlandweit eingeführt wird.“
Feuerwehrleuten tat es gut, den Unglückseligen zu helfen
Sechs Mülheimer Feuerwehrleute leisteten bis zum 6. September Hilfsmaßnahmen in und um Ahrweiler. Dabei ging es – anders als in Eschweiler – nicht mehr vorrangig um die Versorgung einzelner Hochwasser-Opfer, sondern um Bereitstellung von Trinkwasser in großem Stil. Hauptaufgabe war es, riesige unterirdische Hochbehälter zu befüllen und Leitungen zu reparieren, so dass die Menschen wieder dauerhaft Zugang zu unbegrenzt sauberem Wasser bekommen.
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Aus bis zu 60 Kilometer entfernt liegenden Hydranten, so berichtet Feuerwehr-Leiter Sven Werner, hätten die Einsatzkräfte Wasser in den klinisch reinen Behältern des Trinkwasser-Notversorgungssystems herangekarrt. Da die Straßen und Brücken größtenteils schwer beschädigt waren und die großen Tanks zum Teil weit oben in den Weinbergen liegen, reichten die herkömmlichen Fahrzeuge der Mülheimer Feuerwehr nicht aus. „Wir brauchten geländegängige und die haben wir uns aus Kleve und Duisburg geliehen.“ Von dort kamen auch je zwei Leute Besatzung für die Fahrzeuge; sie wuchsen mit den Mülheimern zu einem Team zusammen.
Über zehn Millionen Liter Trinkwasser brachten die Lkw in die betroffenen Gebiete
Über zehn Millionen Liter Trinkwasser habe man über die Wochen in die betroffenen Gebiete gefahren, für Hochbehälter in Ahrweiler, Dernau und Mayschoss. Die waren leer, weil die Leitungen beim Hochwasser abgerissen worden waren und erst aufwendig repariert werden mussten. „Zum Tanken fahren – in den Behälter reinlaufen lassen – zum Tanken fahren – in den Behälter reinlaufenlassen. . ., so ging das über Wochen, und zwar jeden Tag 14 bis 16 Stunden“, erzählt Werner. Jedes Fahrzeug habe dabei rund 5000 Kilometer zurückgelegt. Die Arbeit höre sich unspektakulär an, „aber sie hat den Menschen sehr geholfen“.
In den ersten Tagen schliefen die Einsatzkräfte auf Feldbetten in einem Klassenraum einer Schule in Adenau. Später brachte man sie in einem einfachen Landgasthof in Rheinbach unter.
Mobile Kläranlage in Dernau in Gang gebracht – mit 150 000 Litern Frischwasser
Zu ihren Aufgaben gehörte auch, eine mobile Kläranlage in Dernau in Gang zu bringen. 150 000 Liter Frischwasser waren dafür nötig. Und immer wieder auch die rasche, unkomplizierte Trinkwasser-Versorgung der völlig deprimierten Bevölkerung. 1000-Liter-Tanks an zentralen Orten wurden gefüllt – fürs schnelle Abzapfen zwischendurch.
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Es tat gut, den Unglückseligen zu helfen, das hört man aus den Worten des Feuerwehrchefs heraus. „Die Menschen, die wir dort gesehen haben“, so Sven Werner, „hatten überhaupt nichts mehr: keine Kleidung, kein gar nichts. Die wussten nicht mal mehr, wo sie übernachten sollen.“