Mülheim. Bauprojekte an der Ruhr zu verbieten, sei kein Hochwasserschutz: Für seine Aussage erntet Mülheims OB Kritik. Die MBI blasen zur Gegenoffensive.

OB Marc Buchholz ist nach jüngsten Aussagen nach der Hochwasser-Katastrophe an der Ruhr bei den Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Die MBI werfen Buchholz vor, Baupolitik zu denken wie in den 1960er-Jahren.

Im Interview mit diesem Medium hatte Buchholz auf die Frage, ob er unter dem Eindruck des jüngsten Ruhr-Hochwassers Bauprojekte am Fluss zu unterbinden gedenke, unmissverständlich gesagt, dies „auf keinen Fall“ vorzuhaben. „Wir wollen das Ruhrgebiet nicht entvölkern. Bauprojekte zu verbieten, ist doch kein Hochwasserschutz.“ Voraussetzung sei aber, „dass die Investoren ihrer Verpflichtung nachkommen und ihre Gebäude vor möglichen Fluten ausreichend schützen. Dort werden wir auf die Auflagen besonders achten“, so Buchholz.

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MBI beklagen: Neubauten am Mülheimer Wasser in inflationärem Ausmaß

Verstörend und bemerkenswert sei diese Festlegung des von den Grünen mitgetragenen CDU-Oberbürgermeisters, so MBI-Fraktionssprecher Lothar Reinhard. Er beklagt, dass in den vergangenen Jahrzehnten „inflationär Neubauten besonders in den attraktiven Wasserlagen oder in Landschaftsschutzgebieten entstanden“ seien.

Die MBI fordern ein „Umdenken in der gesamten Stadtplanung“, die Zeit dafür sei „eher überreif“. Die Bürgerinitiativen untermauern ihr Anliegen mit einem politischen Antrag für die ersten Sitzungen der Ratsgremien nach den Sommerferien. Der Antrag hat zum Ziel, für einen vorbeugenden Hochwasserschutz weitreichend Tabuzonen für weitere Bebauungen entlang der Ruhr, aber auch im Rumbachtal sowie an Talhängen zu schaffen.

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Einschränkungen für eine bauliche Verdichtung an Mülheims Ruhrufer gefordert

Ein Bündel baurechtlicher Eingriffe fordern die MBI ein. So wollen sie strikte Einschränkungen für eine bauliche Verdichtung am Ruhrufer. Baulichen Erweiterungen am Ufer zwischen Schloßbrücke und Mulhofs Kamp in Menden seien ebenso Riegel vorzuschieben wie einer allzu üppigen Bebauung auf dem Areal der ehemaligen Lederfabrik Lindgens zwischen Kassenberg und Ruhr, wo Sparkasse und Mülheimer Wohnungsbau mehr als 200 Wohneinheiten schaffen wollen.

Die MBI rufen viele Dinge auf, gegen die sie sich auch in der Vergangenheit vehement ausgesprochen haben, so etwa eine Bebauung am Schlippenweg (aktuell keine politische Mehrheit für Fortführung des Bebauungsplanverfahrens) oder an der Tinkrathstraße, wo der Flächeneigentümer noch Gutachten vorzulegen hat, um im ergebnisoffenen Verfahren weiterzukommen. Stopp für alle weiteren Ruhrbania-Planungen, hingegen verstärktes Bemühen um die Entsiegelung von Flächen im gesamten Stadtgebiet – lautet die Marschrichtung der MBI, für die sie ein politisches Votum nach den Ferien einfordern.

Umweltschutz-Experten mahnen, mehr für den natürlichen Hochwasserschutz zu tun

Umweltschutz-Experten halten zusätzliche Hochwasser-Maßnahmen in Zeiten, in denen sich Starkregen-Ereignisse wie zuletzt häufen, für dringend erforderlich. Renaturierung ist da ein Thema, das ruhraufwärts, etwa im Sauerland, zuletzt Ortschaften vor denkbar größeren Schäden geschützt hat, weil renaturierte Bereiche das Tempo des Wassers ausbremsen, weil Flächen da sind, wo das Wasser hin ausweichen kann.

„Es gibt gute Beispiele, bei denen Erkenntnisse aus vorangegangenen, verheerenden Hochwassern bereits zu Verbesserungen geführt haben. So sind an vielen Stellen neue Überflutungsflächen geschaffen worden, beispielsweise entlang der Elbe“, so zuletzt der Präsident des Naturschutzbundes Deutschland, Jörg-Andreas Krüger. In vielen Ortschaften sehe es jedoch ganz anders aus. Eine große Anzahl an Gebäuden und Industrieunternehmen stehe entlang der Flüsse in potenziellen Hochwassergebieten. Neben der Gefahr für Menschenleben drohten im Falle von Überschwemmungen Umweltschäden und enorme Kosten für die Gesellschaft.

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Nabu-Präsident: Wieder mehr natürliche Überflutungsflächen schaffen

Krügers Empfehlung: „Naturbasierte Lösungen sind oft sehr viel einfacher und dauerhaft günstiger als technische Lösungen. Dazu müssen entlang der Flüsse die natürlichen Überflutungsflächen wieder geschaffen werden.“ Außerdem gelte es an möglichst vielen Stellen die Bodenversiegelung auch in Siedlungen aufzubrechen sowie Frischluftschneisen und natürliche Verschattungen zu sichern. „Gesunde Wälder und intakte Feuchtgebiete helfen zudem bei Wasserhaushalt und Temperaturen. Dabei ist völlig klar: Auch eine solche Anpassung unserer Landschaften an die Folgen des Klimawandels wird Geld kosten“, so der Nabu-Präsident.

Deiche hält der mittlerweile pensionierte WWF-Experte Georg Rast nicht für zielführend. Sie gewährleisteten einerseits keinen hundertprozentigen Schutz, andererseits verringerten sie zwar die Symptome, seien aber kein Mittel zur Bekämpfung der Ursache, so Rast zuletzt gegenüber dem Focus.

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Maroder Saarner Deich: Alle sind froh, dass er dem Hochwasser standgehalten hat

In Mülheim freut sich derweil Gabriele Wegner als Verantwortliche des Umweltamtes, dass der marode Saarner Deich dem Jahrhundert-Hochwasser standgehalten hat. „Das war nicht selbstverständlich“, so Wegner. Schwachstellen im Bauwerk der 1930er-Jahre hatte die Stadt schon vor Jahren ausgemacht. Ihr kam laut Wegner jetzt auch zugute, dass seit ein paar Jahren ein ausgefertigter „Deichverteidigungsplan“ vorliegt, der drängendste Sofortmaßnahmen beschreibt.

„Es ist jetzt auch genau das passiert, was wir in unserem Gutachten skizziert haben: Der Deich ist nicht bruchgefährdet, aber bei einem Jahrhundert-Hochwasser wie jetzt tritt auf der anderen Seite Wasser am Deichfuß aus.“ Besonders gefährdete Bereiche ließ die Stadt beim Hochwasser mit Bigpacks und Sandsäcken, eine Stelle auch mit einer Schotterauflage sichern. „So konnte der Deich auf der anderen Seite besser halten“, äußert sich Wegner erleichtert.

Mülheimer Umweltamt: Bauen an der Ruhr nicht pauschal untersagen

Eine Gartenbaufirma sicherte den Saarner Deich zuletzt beim Ruhr-Hochwasser in Mülheim mit Sandsäcken. Zum Deichbruch kam es glücklicherweise nicht.
Eine Gartenbaufirma sicherte den Saarner Deich zuletzt beim Ruhr-Hochwasser in Mülheim mit Sandsäcken. Zum Deichbruch kam es glücklicherweise nicht. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Der Saarner Deich bleibt aber im Fokus. Die Gespräche mit der Bezirksregierung als Genehmigungsbehörde und dem örtlichen Deichverband, der den Hut aufhat, aber auf das Ingenieurs-Knowhow der Verwaltung angewiesen ist, sind laut Wegner intensiviert worden. „Wir müssen drei Schwachstellen sanieren“, mahnt die kommissarische Amtsleiterin zügiges Handeln an.

Was den aktuellen Antrag der MBI zum Hochwasserschutz und zur Beschränkung von Bauvorhaben betrifft, ist Wegner noch zurückhaltend. Eine Stellungnahme ihres Amtes werde es bis zu den politischen Sitzungen im September geben, für ein pauschales Bauverbot in Nachbarschaft zu Fließgewässern, insbesondere an der Ruhr, sieht Wegner aber keine Veranlassung. Eine Bewertung entsprechender Bauvorhaben sei stets abhängig etwa von der örtlichen Topografie. Zur Beurteilung stünden auch Überflutungsszenarien zur Verfügung, die etwa auch ein Jahrhunderthochwasser wie zuletzt in seinem Auswuchs modellieren.

Hochwasserschutz rund um den Rumbach hat sich laut Stadt jetzt bewährt

Wegner weist mit Bezug auf den MBI-Antrag auch darauf hin, dass die Stadt in Sachen Hochwasserschutz in den vergangenen Jahren nicht untätig gewesen sei. So habe man etwa am Rumbach mit seinen Nebenläufen und am Borbecker Mühlenbach Überschwemmungsgebiete festgesetzt und damit auch bauliche Tätigkeiten in diesen Bereichen beschränkt.

Den Rumbach etwa habe man auch von Totholz und anderen Dingen befreit, um das Wasser schneller abfließen zu lassen. „Bis auf wenige Probleme ist das jetzt gut gelaufen“, so Wegner auch mit Blick darauf, dass die drei Regenrückhaltebecken am Rumbach ihren Beitrag geleistet hätten.