Mülheim. Die Moornixe wurde in der Nacht zum Sonntag endgültig aus der Ruhr in Mülheim geborgen. Wie der Schiffseigner die spektakuläre Bergung erlebte.
Der Mond ist fast voll und lugt durch die dunklen Wolken, als die Moornixe ächzend ihr nasses Bett verlässt. Hell erleuchtet ist der Kassenberg mitten in dieser feuchtkalten Oktobernacht – nicht vom Mond erhellt, sondern von Scheinwerfen. Ein riesiger Kran steht mitten auf der Fahrbahn, Schwerlast-Lkw stehen bereit, um diese besondere Fracht aufzunehmen: Deutschlands vielleicht berühmtestes Fahrgastschiff. Nach ihrer spektakulären Havarie im Juli-Hochwasser wurde das Schiff nun nicht weniger spektakulär endgültig aus der Ruhr geborgen.
Gespannte Stimmung liegt über dem Kassenberg, der Motor des 450-Tonnen-Krans, der in Höhe von Hausnummer 40 steht, brummt monoton – gleich soll die Moornixe aus dem Wasser gehoben werden. Mitarbeiter der Transportfirma sind damit beschäftigt, Gurte, Stahlseile und Metall-Traversen aneinanderzureihen, Taucher befestigen die Gute schließlich unter dem Rumpf. Was nicht passieren darf, was das sofortige Aus der Rettungsaktion für das 18 Meter lange Boot bedeuten würde, mag sich Schiffseigner Heinz Hülsmann gar nicht ausmalen: Dass sie beim Anheben auseinander bricht.
Schiffseigner hält Nachtwache, damit der Moornixe nichts geschieht
In den vergangenen zehn Tagen, seit die Moornixe an die Wasseroberfläche bugsiert worden war, hat Hülsmann Nachtwache gehalten am Kassenberg. „Man weiß ja nicht, auf was für Ideen die Leute kommen. Nachher kommen da ein paar Halbstarke vorbei und ziehen den Stecker“, schildert der Eigner seine Bedenken. Stecker ziehen hätte in diesem Fall bedeutet: Kein Strom mehr für die Tauchpumpen, die kontinuierlich liefen, sonst wäre das Schiff wieder abgesoffen.
Also richtete er sich nachts in seinem Auto ein und hatte ein Auge darauf, wer der Moornixe zu nahe kam. Passiert ist nichts, Schaulustige aber kamen durchaus vorbei. Ein Dutzend steht auch in der Nacht zum Sonntag am Ufer und späht durchs Gebüsch – unterhalb der Böschung liegt das historische Fahrgastschiff. Scheinwerfer leuchten das Deck aus, auf dem die Arbeiter die letzten Handgriffe tun. Und dann hebt sie scheinbar mühelos ab, Wasser plätschert heraus, der Kran surrt, Blitzlichter flackern – schon wieder ein großer Auftritt für die altehrwürdige Dame.
Auch interessant
Die tonnenschwere Moornixe schwebt wie von Zauberhand über die Baumwipfel
Routiniert steuert Kranfahrer Udo die Moornixe hoch über die Köpfe der Zuschauer, höher noch, denn sie muss ja über die Baumwipfel, um auf dem Kassenberg verladen werden zu können. Gute 42 Meter hat er den Teleskoparm des Krans ausgefahren, wird Kranfahrer Udo später erzählen. Wie sie da so über die Bäume geschwebt kommt, ihren roten Rumpf präsentierend, untermalt vom sonoren Brummen der Generatoren, wird sie glatt zum Luftschiff, das Theo alle Ehre machen könnte. Und genau wie ihr prallgefüllter Blimp-Cousin wird auch die Moornixe von kräftigen Arbeitern an langen Tauen in die richtige Position gezogen. Schließlich landete das Boot butterweich auf dem Tieflader, der es zur Friedrich-Wilhelms-Hütte bringen soll.
Dort hat Hülsmann für das historische Schiff einen Platz gefunden, wo es begutachtet werden und – falls der Experte grünes Licht gibt – auch repariert werden kann. In Essen, Hülsmanns Heimatstadt und die erste Wirkungsstätte der ehemaligen Baldeney, ließ sich keine Stelle finden – weder durch Anfrage beim Oberbürgermeister noch bei der Weißen Flotte. Dann also Mülheim – bei der FWH haben sie Platz und wollen helfen, die Lage direkt am Fluss sei ideal, sagt Hülsmann.
Die einstige Baldeney, die das erste Fahrgastschiff auf dem Baldeneysee war, ist 1933 aus echtem Kruppstahl gebaut worden und wog bis zur ihrem Hochwasser-Untergang 33 Tonnen. Als sie jetzt aus dem Wasser kommt, bringt sie nur noch schlanke 17 Tonnen auf die Waage. „Es ist ja einiges verloren gegangen“, schildert Hülsmann. Das Oberdeck ist weg, der Steuerstand ist fort, die Photovoltaik-Anlagen verloren – nicht schwer an Gewicht, aber schwerlich vermisst wird nach wie vor die Galionsfigur. Vielleicht wäre es ein gutes Omen für den Ausgang der Rettungsaktion, wenn sie wieder auftauchte.
Noch ist unklar, ob die Moornixe wieder fahren wird
Denn auch wenn die Moornixe nun endgültig geborgen ist, ist nach wie vor nicht klar, ob sie jemals wieder fahren wird. Ein Sachverständiger von einer Duisburger Werft wird Schäden und Bestand begutachten, blickt Heinz Hülsmann in die Zukunft.
Er sagt in der Nacht, als das Schiff auf dem Tieflader mitten auf dem Kassenberg liegt: „Von unten sieht sie besser aus als erwartet, oben ist es wesentlich schlimmer. Knackpunkte sind der Rumpf und der Motor – wenn der Rumpf verdreht ist oder wenn der Motor hin ist, hat es keinen Sinn.“ Doch aufgeben will er längst noch nicht: Schließlich ist die damalige Baldeney im Zweiten Weltkrieg bombardiert worden, war damals schon einmal unter Wasser und konnte wieder hergerichtet werden, weiß der heutige Besitzer. So schnell ist das Schiff aus Kruppstahl also nicht kleinzukriegen.
Jetzt aber will er sich und der alten Dame erstmal Ruhe gönnen. Für in bedeutet das, sagt Hülsmann: wieder im Bett schlafen anstatt im Auto. Und auch die Bewertung durch den Gutachter habe Zeit – die letzten Wochen seien stressig genug gewesen. Klar aber ist für den Moornixe-Chef: „Eine Chance gebe ich ihr.“
Am frühen Sonntag Morgen war die Bergung beendet
Der Transport der Moornixe vom Kassenberg zur Friedrich-Wilhelms-Hütte an der Friedrich-Ebert-Straße musste über einen Umweg erfolgen: Da der Tieflader mit dem (noch) rund 17 Tonnen wiegenden Schiff zu schwer für die innerstädtischen Brücken war, musste der Schwerlast-Lkw übers Kreuz Kaiserberg und die A40 fahren. Entgegen der eigentlich Planung von einer Stunde war der Weg in 30 Minuten zurückgelegt.
Auf dem Gelände der FWH stand ein zweiter Kran bereit, der die Moornixe vom Tieflader heben sollte. Hier kam es nach Aussage von Eigner Hülsmann zu zeitlicher Verzögerung, weil der Kranfahrer die Lenk- und Ruhezeiten einhalten musste – so konnte dass das Schiff erst bei Sonnenaufgang abgeladen werden. Nun liegt die ehemalige Baldeney auf Holzbohlen aufgebockt und wartet auf den Gutachter.
Eine Chronologie unserer Hochwasser-Berichterstattung:
14. Juli: Feuerwehr ist in Alarmbereitschaft wegen Unwetter
15. Juli: Überschwemmung droht in der Mülheimer Innenstadt
15. Juli: Campingplätze geräumt: Die Ruhr fließt mittendurch
15. Juli: BW Mintard unter Schock: Unwetter zerstört die Sportanlage
16. Juli: Weitere Evakuierungen notwendig
16. Juli: Umzug mit dem Allernötigsten: Mülheimer Altenheim geräumt
16. Juli: Nach Havarie: Kahlenbergwehr läuft ohne Schäden
16. Juli: Hochwasser in Mülheim: Es riecht wie am Wattenmeer
16. Juli: Mit Fotostrecke: Bei der DJK BW Mintard ist alles kaputt
16. Juli: In Mintard versinken Anwohner in Wassermassen
18. Juli: Hochwasser-Historie in Mülheim: Unermessliche Schäden
18. Juli: Tiertafel sammelt Spenden für Hochwasser-Betroffene
18. Juli: Die Ruhr ist wieder friedlich: Mülheim bleibt vorsichtig
19. Juli: Angler retten mehr als 1000 Fische
19. Juli: Nasse Häuser und nächtlicher Schrottklau in Mintard
19. Juli: Schleuseninsel traf es am schlimmsten
20. Juli: Mülheim zeigt überwältigende Hilfsbereitschaft
20. Juli: Bauwagen-Hotel hat das Hochwasser überstanden
20. Juli: Hochwasser: Wie kritisch ist die Lage für den Wasserbahnhof?
20. Juli: Tiefgarage am Rathausmarkt geschlossen
20. Juli: Naturbad: Wir hatten Angst, dass der Deich bricht
21. Juli: Hochwasser: Wo die Stadt endlich umdenken muss
21. Juli: Yacht-Club und Grüne Flotte hielten Nachtwache
21. Juli: Evakuierung beendet: Mülheimer Altenheim-Bewohner sind zurück
21. Juli: Kleingärtner beseitigen Flutschäden
22. Juli: So ist der Stand nach dem Hochwasser bei Blau-Weiß Mintard
22. Juli: Hochwasser in NRW: Die Lage jetzt und vor einer Woche
22. Juli: Mäusehaus in Saarn muss wegen Wasserschaden ausweichen
22. Juli: Stadt entwarnt: Abriss des Wasserbahnhofs schwierig
22. Juli: Lokale am Mülheimer Ruhrufer: Nach Corona der nächste Mist
25. Juli: Taucher erkunden gesunkene Moornixe
28. Juli: Sport auf der Ruhr wieder möglich
28. Juli: Trinkwasser wird ab 4. August nicht mehr gechlort
30. Juli: MEG fuhr für Sperrmüll Extratouren
1. August: Nach dem Hochwasser räumen Mülheimer die Ruhrauen auf
3. August: Wie sich die Natur wieder regeneriert
3. August: MEG sammelt Sandsäcke in City ein
5. August: Mülheimer Landwirte blicken auf Hochwasser-Schäden
8. August: Rettungsring der Moornixe gefunden
11. August: Nach Hochwasser: Mülheimer Hilfsorganisationen haben viel Zulauf
12. August: Nach Hochwasser: Mädchen sammeln für das Mäusehaus
13. August: Moornixe-Ring wird für Mülheimer Flutopfer versteigert
13. August: Benefizspiel: 19.777 Euro für Blau-Weiß Mintard
20. August: Hochwasser: Das sind die Schäden rund um den Wasserbahnhof
6. September: Hochwasser: So sieht es in Mülheimer Kleingartenanlage aus
6. September: Rumbachtal: Für weitere Hochwasser vorsorgen
11. September: Ruhr-Clean-up: Mülheimer sammeln an der Ruhr säckeweise Müll
13. September: Hochwasserschäden: Häuser in Mintard immer noch unbewohnbar
18. September: Nach der Flut: Feuerwehr Mülheim half wochenlang im Ahrtal
28. September: Hochwasser-Katastrophe: Jazzbands spielen für zwei Familien
4. Oktober: Bergung der Moornixe wird aufwendig vorbereitet
5. Oktober: Hochwasser: So geht es an der Schleuseninsel voran
7. Oktober: Spektakuläre Bergung: Moornixe wieder über Wasser