Mülheim. Knapp zwei Monate liegt das Hochwasser zurück, das in Mintard Schäden verursacht hat. Manche Familie kann immer noch nicht nach Hause zurück.
Vor knapp zwei Monaten stand das Wasser kniehoch im Erdgeschoss der Familien Berns und Stabler, direkte Nachbarn in der kleinen Mintarder Anliegerstraße Durch die Aue. Wohnzimmer und Küche waren damit überschwemmt – der Keller war da bereits bis zur Decke vollgelaufen. Was die Familien unterscheidet: Die einen konnten zu Beginn dieses Jahres noch eine Elementarversicherung abschließen und sind somit abgesichert, den anderen blieb diese Möglichkeit verwehrt.
Es sieht bei Sina und Rainer Berns aus, als bezögen sie gerade einen Neubau: rohe Wände, blanke Steine ohne Putz, keine Türzargen, von Möbeln oder Dekoration ganz zu schweigen. Dabei wohnt die junge Familie hier bereits seit fünf Jahren, hatte sich gemütlich eingerichtet und wartete auf eine neue Küche. Die war zum Glück noch nicht geliefert worden, als die Pegel von Ruhr und Alpenbach, der direkt vor den Häusern vorbeifließt, unaufhaltsam stiegen an diesem 15. Juli, der vielen Mülheimern in Erinnerung bleiben wird.
Als das Hochwasser in den Keller schwappte, waren beide noch auf der Arbeit
Als Sina Berns an diesem Donnerstag nach Hause kommt, steht das Wasser im Keller ihres Einfamilienhauses etwa knöchelhoch. Nachbarn hatten sie angerufen und alarmiert, die 43-Jährige war noch auf der Arbeit. Auch ihr Mann Rainer war nicht zuhause, als das Wasser kam: „Das war der einzige Tag seit langem, den ich nicht im Home-Office gearbeitet habe.“ Dass das Wasser höher steigen wird als ein paar Zentimeter im Keller, damit haben Berns nicht gerechnet – also trugen sie alles, was portabel war, ins Erdgeschoss. Als das Wasser aber unaufhörlich stieg und schließlich ins Wohnzimmer floss, versuchten sie zu retten, was noch zu retten war und schafften es in den ersten Stock. Dort steht es bis heute.
Mit 60.000 bis 65.000 Euro beziffert Rainer Berns aktuell den Schaden, der ihm durch die Wassermassen entstanden ist. Eine Elementarversicherung hat er nicht, erzählt der 45-Jährige. „Die hab ich damals nicht bekommen, als wir hierher gezogen sind. Es hieß, wir wohnen im Überschwemmungsgebiet.“ Jetzt aber, nach dem Schadensereignis, hat sich Berns aufs Neue bemüht – und konnte eine entsprechende Versicherung abschließen, die ab dem kommenden Jahr gelten soll. „Meine alte Versicherung habe ich direkt gekündigt“, sagt der Mintarder.
Teils stoßen die Mintarder an bürokratische Hürden, um an Nothilfen zu kommen
Für die aktuelle Situation hilft ihnen das nicht, die junge Familie bleibt erstmal auf den Kosten sitzen. Die Berns haben an allen möglichen Stellen um Nothilfe gebeten, können aber teils das Prozedere nicht nachvollziehen: „Ich kann das Geld nur mit Vorlage von Handwerkerrechnungen beantragen – aber den Handwerkern kann ich ja schlecht sagen: Legt schon mal los und stellt die Rechnung, das Geld kommt dann irgendwann“, wundert sich Rainer Berns. Die Reserven der jungen Familie gehen derzeit drauf für diverse Begutachtungen und das Rausreißen von Boden, Rigips und Holz.
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Renoviert hatten sie bereits einiges in den zurückliegenden Jahren: „Mit dem Keller waren wir gerade fertig“, sagt Sina Berns – eine Sauna hatte das Paar dort installieren lassen. Jetzt ist alles kaputt: Nicht nur die Sauna, sondern auch die Heizung, die Waschmaschine, die Elektrik. „Der Sicherungskasten kommt jetzt ins Erdgeschoss, hoch genug“, plant Rainer Berns. Immerhin, von einigen Stellen haben sie bereits unbürokratisch Geld erhalten, von der Aktion Lichtblicke etwa, erzählen die Mintarder. „Aus dem Dorf kam auch enorme Hilfe, wir haben richtig gut zusammengehalten“, zieht Sina Berns auch ein positives Fazit nach dem Unglück.
Bis heute gilt ihr Haus als unbewohnbar, noch immer laufen die Bautrockner. „Wir sind jetzt gerade in eine Ferienwohnung gezogen – das ist die fünfte Unterkunft seit dem Hochwasser“, schildert Rainer Berns. Zwischenzeitlich war das Paar mit seinem viereinhalbjährigen Sohn unter anderem drei Wochen lang bei den Schwiegereltern untergekommen, konnte 14 Tage die Wohnung von Freunden nutzen, die im Urlaub waren.
Anwohner fragen sich, ob sie mehr hätten retten können, wären sie gewarnt worden
Kurz nach dem Hochwasser durfte der Viereinhalbjährige noch einmal für eine Stunde in sein Kinderzimmer – er sollte sich davon überzeugen, dass seine Spielsachen noch da sind. Das waren sie, schließlich liegt das Kinderzimmer oben. Trotzdem habe der kleine Junge unter Alpträumen gelitten, erzählt Sina Berns. Immerhin, seine Erstlingsausstattung und ihr Brautkleid konnte sie noch aus dem Keller retten.
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Ob der 15. Juli für sie hätte anders ausgehen können, wenn man weiter oben am Lauf der Ruhr anders reagiert hätte, wenn Stauwehre anders gesteuert worden wären, wenn sie schlicht rechtzeitig gewarnt worden wären – das sind Fragen, die sich nicht nur Rainer Berns immer wieder stellt. Eine Mutmaßung hat der 45-Jährige: „Dann hätte vielleicht das Erdgeschoss gerettet werden können.“ Überzeugt ist er, dass es sich bei dem Hochwasser nicht nur um eine Naturgewalt gehandelt hat: „Das war nicht die Ruhr alleine, das war auch menschliches Versagen.“
Glück im Unglück: Andere Bauweise hilft direkten Nachbarn
Etwas mehr Glück im Unglück hatte Familie Stabler, die in Mintard gleich neben Berns wohnt. Ihr Haus, Baujahr 1977, ist – im Unterschied zu dem der Nachbarn – ohne schwimmenden Estrich, ohne Holzzargen und ohne Fußbodenheizung gebaut. Stablers mussten daher längst nicht soweit entkernen wie Berns. Und: Sie haben eine Elementarversicherung – erst dieses Jahres abgeschlossen.
Gleichwohl ist auch ihr Zuhause noch weit entfernt von Normalität. „Wir hatten gerade angefangen, das Wohnzimmer zu renovieren“, sagt Tanja Stabler. Klar ist inzwischen: Auch ihre Küche muss raus. Das Haus ist ihr Elternhaus, erzählt die 52-Jährige. Solch ein Hochwasser aber habe sie in all den Jahren noch nicht erlebt.
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Die Katzen haben sich beim Hochwasser in die oberen Etagen geflüchtet
„Wir haben noch versucht, Sandsäcke zu bekommen“, erinnert sich die Mintarderin an den Tag Mitte Juli zurück. Und auch dieses Bild hat sie noch im Kopf: „Die Helfer, die kamen, hatten die Gummistiefel schon voller Wasser, bevor sie im Haus waren.“
Abends sei sie – auf eigene Verantwortung – noch einmal zurück ins Haus gegangen, um nach ihren Katzen zu sehen, schildert Tanja Stabler. Da war dieser Moment, „wo dir alles entgegen schwimmt“. Den Katzen indes ging es gut, sie hatten sich in die oberen Etagen geflüchtet.
Erst im Februar hat die Mülheimerin die Elementarversicherung abgeschlossen
Die Bautrockner laufen auch hier noch, die Maler können die Wände nicht streichen, weil der Untergrund noch zu feucht ist. Ihnen sei ein Schaden in Höhe von rund 100.000 Euro am Wohngebäude entstanden – der Hausrat komme noch hinzu. Die Versicherung werde das zahlen, so viel stehe bereits fest. Erst im Februar habe sie den entsprechenden Vertrag zum Schutz bei Elementarschäden abgeschlossen, erzählt Tanja Stabler beinahe selbst etwas erstaunt über ihr Glück im Unglück.
Verluste hat die Familie trotzdem zu verschmerzen: Im Keller hat die Pferdeliebhaberin und passionierte Trabrennfahrerin etwa teure Rennanzüge für den Pferdesport gelagert, dazu Bilder ihrer Tiere. Und die große Briefmarkensammlung ihres Großvaters – 40 bis 50 Alben mit Briefmarken aus der ganzen Welt. Geliebte Erinnerungsstücke – alles unwiederbringlich verloren.
Mülheimerin ist mit Blick aufs Hochwasser überzeugt: „Da hat jemand Fehler gemacht“
Die Frage nach einem Schuldigen wolle sie gar nicht stellen, sagt die Mintarderin. Klar aber ist für sie: „Da hat jemand Fehler gemacht.“ Jetzt wolle sie nach vorne blicken, sagt Tanja Stabler. Die neue Heizung steht schon im Keller, Ende Oktober sollen die neuen Möbel fürs Wohnzimmer kommen. Und doch: „Das Geräusch, wie das Wasser unaufhaltsam in den Keller prasselt, das bleibt im Ohr.“