Siegen. Was bleibt vom Umzug der Uni Siegen ins Zentrum? Die Pläne haben sich geändert, auch durch Karstadt-Aus. Löhrtor-Bad spielt keine Rolle mehr.
Es ist ruhiger geworden um den Umzug der Universität Siegen vom Haardter Berg in die Innenstadt. Was keineswegs bedeutet, dass das Projekt „Siegen - Wissen verbindet“ auf Eis gelegt wurde. Aber mit der Zeit, auch innerhalb weniger Jahre, verändern sich Rahmenbedingungen und Anforderungen.
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2020 wurden die Pläne für die Campus-Erweiterungen an Friedrichstraße (Nord) und Häutebachweg (Süd) vorgelegt. So wie darin skizziert, wird die Siegener Innenstadt künftig nicht aussehen. Statt vieler großer Neubauten rückt die Sanierung und Umnutzung von Bestandsgebäuden stärker in den Fokus. „Am Leitgedanken ändert sich nichts“, sagt Christian Vitt. Aber es wird kein Paukenschlag.
Die neuen Fragen: Uni Siegen mit weniger Studierenden, von denen mehr digital studieren
„Was am Haardter Berg gilt, gilt auch in der Stadt“, so der stellvertretende Baudezernent der Hochschule: Ein solches Großprojekt wird nicht in einem Rutsch geschultert, da greifen viele Zahnräder ineinander. Nach wie vor gelte die Zwei-Standort-Strategie: Geisteswissenschaften in die Innenstadt, Natur- und Ingenieurwissenschaften konzentriert auf dem Berg. „Jedes Projekt ist immer nur ein Teilschritt in die Stadt“; Zug um Zug um Zug. Am „großen Rutsch“ hätten sich Stadt, Bevölkerung und Hochschule womöglich auch verhoben, Siegen wäre auf Jahre eine einzige Riesen-Baustelle gewesen. Unter heutigen Rahmenbedingungen auch schwer vorstellbar. Also: Einheit für Einheit umziehen, im Realbetrieb erproben, nächste Schritte angehen.
Raumprogramme setzen der Uni beim Umfang des Umzugs Grenzen. Die sind abhängig sind von Studierendenzahlen, die in den vergangenen Jahren - wie prognostiziert - gesunken sind. Gleichzeitig kommen nicht mehr alle Studierenden persönlich an die Uni, jedenfalls nicht jeden Tag: Digitale Lehre, das Pendant zum Homeoffice, ist durch die Corona-Zeit deutlich wichtiger geworden: Längst nicht alle sitzen noch persönlich in Seminarräumen. Ob größere Hörsäle wie im Entwurf benötigt werden „muss man sehen.“ Die Entwicklung macht sich auch auf dem Wohnungsmarkt bemerkbar. Der Bedarf an Räumen ist nicht mehr so groß. Auch an Park-Räumen nicht: Ein am ehemaligen Kreiswehrersatzamt an der Tiergartenstraße geplantes Parkhaus wird nicht mehr benötigt. „Wir wollen ja nicht mehr errichten, als wir wirklich brauchen“, sagt Christian Vitt.
Kein reines Siegener Problem
Dass die Uni weniger Studierende hat, ist kein reines Siegener Problem. So geht es vielen kleineren Hochschulen, sagt Christian Vitt. Neben Drittmitteln für Forschung ist die Anzahl der Immatrikulierten eine maßgebliche Größe für die Finanzausstattung einer Uni - und das machen sich die Bildungseinrichtungen in den meist ohnehin beliebteren Metropolen zu Nutze. Wenn dort die Zahlen zurückgehen, senken sie einfach die Zulassungshürden und werden so für mehr junge Menschen attraktiv.
„Die Fragestellungen haben sich seither verschoben“, so Vitt - und verschieben sich weiter. Würde heute geplant, sähe das Projekt deutlich anders aus. Mehr Bestandsbauten sanieren. Auch vor dem Hintergrund des Klimawandels ist „graue Energie“ in der Bauwirtschaft erheblich wichtiger geworden: Hinsichtlich der CO2-Emissionen ist es nachhaltiger, das fit zu machen, was schon da ist und CO2 bindet. Allerdings ist das auch oft teurer - was sich aber zunehmend ändert.
Mit dem Umzug der Uni Siegen in die Innenstadt mehr und bessere Wegeverbindungen schaffen
Gleichwohl sei man strukturiert vorgegangen, habe Geld an den richtigen Stellen und im erforderlichen Ausmaß investiert, um die am Ende nötigen Grundstücke und Gebäude auch zur Verfügung zu haben. Kaufen, Verträge schließen - das dauert, „man verliert dadurch Jahre“, sagt der Baufachmann - aber man sei planerisch in den Innenstadt-Quartieren auch schon deutlich weiter, als es auf den ersten Blick aussieht. Alle nötigen Optionen hat die Uni jedenfalls. Es soll nicht an einzelnen Grundstücken oder Gebäuden scheitern.
Städtebaulich geht es maßgeblich um Querverbindungen, die durch drei Campus-Teile für die Stadt selbst entstehen: Von der Friedrichstraße auf den Siegberg gelangen und vom Häutebachweg zum Obergraben, immer in Richtung Unteres Schloss. In der schon länger angemieteten Villa Sauer etwa sind weitere Umbaumaßnahmen geplant - für die Psychologie und auch um die Verbindungen zu schaffen, die das Projekt im Namen trägt. Die schwarz-grüne Landesregierung fördert laut Vitt genau solche Vorhaben: Hochschulen in die Innenstädte zu holen. Auch eine Maßnahme gegen das Zentrensterben. In Siegen geht es zudem um Flächen in zentralster Innenstadt-Lage, die stark untergenutzt sind und stellenweise wie Hinterhöfe eines Industriegebiets am Stadtrand wirken.
Der Teilcampus Süd: Grundstück des Löhrtor-Stadtbads in Siegen spielt für Uni keine Rolle mehr
Im Süden sind die konzeptionellen Änderungen deutlicher als im Norden. Mit dem maroden Stadtbad ist mehr als nur ein Puzzleteil weggebrochen: Enorm viel Raum wird im Karstadt-Gebäude um-, statt am Löhrtor neu gebaut. Die Kaufhaus-Immobilie ist zunächst für zwei Jahre gesichert, um ein Planungs- und Nutzungskonzept zu erarbeiten, das der integrierten Nutzung - auch Einzelhandel soll hier einziehen - gerecht wird. Die Uni will einen Beteiligungsprozess mit allen Interessensgruppen anleiten, um zu einem optimalen Nutzungsmix zu kommen. Die Hochschule sehe sich aber nicht als alleiniger „Heilsbringer“, sondern sei bereit, die Eigentümer zu unterstützen. Der Bedarf nach neuen Gebäuden ist jedenfalls aber auch noch da: Kreishandwerkerschaft und angrenzende Gebäude, hin zur alten Druckerei am Häutebachweg. „Wir wollen einen Teilcampus an der Weiss errichten“, bekräftigt Christian Vitt. Aber eben nicht in dem Ausmaß wie vor vier Jahren angedacht. „Das Stadtbad-Grundstück spielt für die Uni keine Rolle mehr.“
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Wenn ein riesiger Leerstand mitten auf dem bereits bestehenden Campus-Kern mit einigen tausend Quadratmetern zur Verfügung steht, macht es kaum Sinn, ein marodes Hallenbad abzureißen. Also bleibt die Uni „diesseits“ des Löhrtors; der Campus überspannt die Straße nicht mehr, wie zunächst gedacht. Was übrigens auch ein Verkehrsproblem löst. Denn die Straße ist die Hauptzufahrt zu Alt- und Oberstadt und hätte mitten über einen zentralen Campusbereich geführt. Und es bleibt dabei: Der Häutebachweg soll Fahrradstraße werden.
Der Teilcampus Nord: Entlang Friedrichstraße in Siegen weniger Neubauten für die Uni Siegen
Alle Maßnahmen in dem Bereich sind nach wie vor ausgerichtet an einem Campus-Platz („Anger“), von dem aus eine große Freitreppe in die Oberstadt führt. Haus Hettlage bleibt als künftige Teilbibliothek (mit Aufzug) ein zentraler Baustein, als „Scharnier“ zwischen Friedrichstraße unten und Kölner Straße oben - die Direktverbindungen, statt des Umwegs übers Kölner Tor. Das Projekt, sagt Vitt, „läuft auf Hochtouren“. Ausschreibung, Vergabe, Planung - bis etwas sichtbar wird, kann es dauern.
Das sogenannte „Stoffelhaus“, im Hinterhof des ehemaligen Möbelhauses Wonnemann, inzwischen das erste fertige und gerade bezogene Uni-Gebäude („Studienservice“, SSC) am Teilcampus an der Sandstraße: Auch hier geht es um Verbindung: Von hier soll der Campus zu Fuß erreichbar sein - dafür ist das Gebäude wichtig. Und: Uni ist mehr als Büros und Seminarräume, auch die Studierendenschaft braucht Platz, für Cafés, Initiativen oder Veranstaltungen - hier könnte der Ort dafür entstehen.
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Die Europastraße ist die direkte Verbindung vom Hauptbahnhof zum künftigen Campus-Anger. Ob dort überall Neubauten stehen, wie im Entwurf visualisiert, ist fraglich. Da steht die ehemalige Textilfabrik, aus der das Jobcenter in Kürze auszieht (wir berichteten), die Uni hat das Gebäude bereits als Erbpacht übernommen. Und das Gebäude Friedrichstraße 27 (Frauenhilfe-Laden), das die Uni bereits nutzt und wo es auch schon eine Wegeverbindung Richtung Hauptbahnhof gibt. Das hübscheste Gebäude ist es indes nicht - und der Fußweg ist auch nicht genau die Achse, die die Europastraße zur Freitreppe verlängert. Probleme, die händelbar sind. Man sei pragmatischer geworden im Umgang mit dem Masterplan, sagt der Leiter der Abteilung für Bau- und Flächenmanagement - wenn ein bestehendes Gebäude erhalten werden kann, aber nicht so ganz in den Siegerentwurf passt, dann könne man damit leben. Neubauen nur aus Prinzip sei jedenfalls nicht das Ziel. Wichtig seien vielmehr attraktive Räume; dass Forschung und Lehre gute Bedingungen haben.