Siegen. Kleiderladen, Fahrrad-Werkstatt, Praxis für Menschen ohne Versicherung: Kommt die Uni ins Zentrum, müssen sie weg. Erstmal. Es gibt neue Pläne.

Mehrfach schon wurde Ärger um den Umzug der Universität Siegen in die Innenstadt (Projekt Siegen – Wissen verbindet) laut, weil die Gebäude entlang Friedrichstraße und Häutebachweg nicht leer stehen. Mieter brauchen andere Wohnungen, Unternehmen neue Geschäftsräume. Auch eine „Sozial-Infrastruktur“ hat sich auf den untergenutzten Grundstücken etabliert, die viele Angebote für Bedürftige bereithalten. Die Uni hat darauf nun reagiert: Geplant sind demnach nun auch Flächen für karitativ ausgerichtete Initiativen oder Vereine.

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Viele Flächen entlang der beiden Straßen, auf denen die Teilcampus’ Nord und Süd entstehen sollen, sind mindestens „untergenutzt“: Parkflächen, Hinterhofstruktur, teils auch verfallende Architektur, Leerstände. Stadt und Uni wollen diese Bereiche mit der Verlagerung zweier weiterer Fakultäten ins Zentrum aufwerten – die Uni zieht „zu den Menschen“ in die Innenstadt, die dadurch belebter und attraktiver werden soll. Aber diese Bereiche sind eben nicht komplett leer: Zwar verschwindet nur recht wenig Wohnraum (nach offiziellen Angaben weniger als 30 Einheiten), aber betroffen sind eben auch Unterstützungsangebote für Menschen, die nicht so viel Geld haben.

Hilfsangebote für Bedürftige müssen in Siegen gut erreichbar sein

Dazu zählt etwa die Malteser-Praxis für Menschen ohne Krankenversicherung, das Fahrrad-Repair-Café des Vereins AlterAktiv, der Kleiderladen der Frauenhilfe. Sie alle müssen umziehen und sich neue Räume suchen, haben oft aber nur wenig Geld für die Anmietung geeigneter Immobilien. Denn mit Blick auf ihre Klientel benötigen all diese Anlaufstellen recht zentral gelegene, mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbare Räumlichkeiten. Die sind in Siegen knapp und umso begehrter. Die Stadt sieht die Problematik: „Gerade da, wo die Mieten bezahlbar sind, entstehen die Nischen für solche Einrichtungen“, sagt Stadtbaurat Henrik Schumann.

Am ehemaligen Möbelhaus Wonnemann gehen die Arbeiten für das künftige SSC voran.
Am ehemaligen Möbelhaus Wonnemann gehen die Arbeiten für das künftige SSC voran. © Hendrik Schulz

Die Uni wiederum möchte in der Innenstadt Standorte schaffen, die allen Menschen offen stehen und dazu auch die Wege-Verbindungen verbessern, etwa durch öffentliche Aufzüge oder Treppenanlagen. Damit ist Hilfsinitiativen aber nicht geholfen. Die Hochschule bekommt für das Gesamtprojekt Geld vom Land auf der Basis von Raumprogrammen, also dem Flächenbedarf, den die Uni für Seminarräume, Büros usw. hat. Mittel für „Hochschulfremde“ sind dabei zunächst nicht vorgesehen.

Uni Siegen reagiert auf Kritik und Anregungen aus der Bevölkerung

Andererseits hat die Uni Siegen von Beginn an ihren Charakter als „Bürger-Uni“ betont, der mit dem Umzug noch geschärft werden soll. Daher sind nun auch Flächen für karitativ ausgerichtete Flächen geplant, heißt es auf Anfrage: So habe man mit den jetzigen Eigentümern und Nutzern gesprochen, um Möglichkeiten einer künftigen gemeinsamen Nutzung auszuloten. Grundsätzlich beteilige man Bürgerinnen und Bürger in verschiedenen Formaten, etwa Quartiergängen oder öffentlichen Informationsveranstaltungen.„Durch diese Beteiligung sind vielfältige Fragen, Kritikpunkte und Anregungen aus der Stadtgesellschaft an uns herangetragen worden, denen wir Rechnung tragen – dazu zählt der Nutzen für jeden Bürger und jede Bürgerin Siegens“, heißt es weiter. „Wir möchten uns mit dem Umzug weiterer Fakultäten in die Innenstadt der Stadtgesellschaft öffnen, daher ist das in unserem Interesse.“ Was nichts daran ändert, dass erstmal abgerissen und gebaut werden muss, alle bisherigen Nutzer also früher oder später erst einmal weichen müssen, wobei die Hochschule unterstützt. Nach Angaben Henrik Schumanns unterstütze auch die städtische Wirtschaftsförderung bei der Suche nach neuen Räumen.

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Es gebe bereits viele Ideen, aber man sei noch in einem sehr frühen Stadium, so die Uni. Wie kürzlich bekannt geworden war, wurde der Uni-Umzug dahingehend präzisiert, als dass die beiden Teilcampus nacheinander umgesetzt werden sollen statt wie bis dahin – mehr oder weniger – gleichzeitig.

Kleiderladen der Frauenhilfe zieht von Siegen nach Weidenau – Fahrradwerkstatt sucht

Bereits weit fortgeschritten sind die Arbeiten am früheren Möbelhaus Wonnemann an der Sandstraße, wo in Kürze die Fahrrad-Werkstatt des Teams um Klaus Reifenrath ausziehen muss. Dass die Immobilie nur eine Lösung auf Zeit war, stand von Beginn an fest, weil die Uni hier ihr Student Service Center (SSC) errichtet. Weil die Baulogistik gut geplant war, benötige man den gemeinsam mit dem Repair-Café genutzten Innenhof doch noch nicht, so dass die Initiative länger bleiben kann, so die Uni weiter. Was Klaus Reifenrath erst einmal hilft: Denn trotz langer und intensiver Suche hat er noch keine Alternative. „Wir arbeiten komplett ehrenamtlich, wir verdienen keinen Cent“, betont Reifenrath – die Fahrräder werden ebenso wie Werkzeug und Ersatzteile gespendet und auch zusammen mit Bedürftigen, darunter viele Geflüchtete, instandgesetzt und verschenkt. Miete für eine Werkstatt kann Reifenrath nicht zahlen, er hofft auf Sponsoren, damit die Arbeit fortgeführt werden kann. Denn die Nachfrage ist ungebrochen groß: Jedes alte Fahrrad, das die Ehrenamtlichen reparieren, wird ihnen nur so aus den Händen gerissen. „Wir sind alle mit Herzblut dabei“, sagt Klaus Reifenrath. Dringend benötigt wird eine Immobilie in Tallage zwischen Eiserfeld und Geisweid, ein altes Haus oder ein leerstehendes Ladenlokal reicht, sagt er: „Wir haben keine hohen Ansprüche.“

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Ebenfalls weichen muss der Kleiderladen der Frauenhilfe an der vorderen Friedrichstraße, das Areal ist ebenfalls als Standort für die Fakultät I vorgesehen. Derzeit werde der Zustand des Hauses untersucht, in dem auch Geschäftsstelle und Büros der Frauenhilfe und der Diakonie untergebracht sind und das in der Tat schon lange renovierungsbedürftig sei, so Heike Henrichs-Neuser, Geschäftsführerin des Bezirksverbands der Siegerländer Frauenhilfen. Dieser Standort sei optimal erreichbar und trotz zentraler Lage ruhig. Man habe mit den Räumen des ehemaligen Unverpackt-Ladens in Weidenau zwar mit Unterstützung der Uni Ersatz finden können, den gewohnten Service dort aufrecht zu erhalten, werde aber sicher eine Herausforderung. Auch, weil der Standort am Hauptmarkt weniger gut angebunden ist als die Friedrichstraße. Die Uni finanziert auch den Umzug nach Weidenau.