Lüdenscheid. Die Arbeiten an der Talbrücke Rahmede in Lüdenscheid schreiten voran. Das stimmt Anwohner plötzlich optimistisch - aber nicht alle.
Martin Krings (69) wohnt nicht weit weg. Das ist ja die ganze Zeit schon das Problem: Auf der Straße hinter seinem Haus in Lüdenscheid fahren seit Dezember 2021 Tausende Autos und Lkw, die früher auf der Autobahn 45 unterwegs waren. Er hat in der Bürger-Initiative A45 für ein Lkw-Durchfahrtsverbot gekämpft, das auch kam. Er hat sich Schallschutzfenster einbauen lassen (wir berichteten), die ein bisschen Linderung brachten, ein bisschen. Zwei Hörstürze habe er seit der Sperrung der Sauerlandlinie erlitten, vermutlich wegen des emotionalen Stresses. Ein Hörgerät trage er deswegen jetzt.
A45-Brücke: Fortschritte geben Hoffnung
Aber es ist eben auch in die andere Richtung nicht weit. Einmal nur durch den Wald müsse er gehen, sagt der 69-Jährige, dann habe er freien Blick auf das Tal, über das sich einst die Rahmedetalbrücke spannte, die wegen Einsturzgefahr gesperrt und gesprengt werden musste. Nun wird dort seit etwas mehr als einem Jahr die neue Brücke gebaut. Diese nimmt immer weiter Gestalt an: In den vergangenen Tagen wurde ein weiterer Metallkoloss montiert und Richtung Brückenmitte verschoben. Auf der Südseite liegt die Brücke damit nicht nur auf dem Behelfspfeiler auf, der wieder abgerissen wird, sondern sogar schon auf dem ersten Pfeiler, der bestehen bleibt. Alles sieht langsam nach Brücke aus. Und das macht etwas mit den Menschen. Sogar mit einem wie Martin Krings, der stark von den Folgen betroffen war und noch immer ist.
A45: Neubau der Rahmedetalbrücke schreitet sichtbar voran
Denn noch immer, sagt er, schlafe er nachts nicht oder kaum. Noch immer zählt er mit Hilfe einer Videokamera manchmal nachts die Fahrzeuge, die ihn um den Schlaf bringen, um belastbare Argumente zu haben. Aber wie die Brücke befindet sich auch Krings jetzt in einer neuen Phase dieses Projektes. „Diese ganze Katastrophe hat mich verändert. Erst ist man wütend, dann enttäuscht, dann beginnt man zu kämpfen, manchmal gegen Windmühlen. Aber jetzt sehen wir die Fortschritte. Es hilft mir, zu sehen und zu wissen: Irgendwann werden wir es überstanden haben. Ich bin jetzt langsam wieder positiv gestimmt.“
Freigabe für den Verkehr im Sommer 2026 - spätestens
Die Katastrophe dauert jetzt fast drei Jahre an. Einerseits. Andererseits soll der Verkehr zumindest auf der ersten Brückenhälfte spätestens im Sommer 2026 wieder fließen. Die zweite Brückenhälfte soll im dritten Quartal 2027 fertig sein. Rund anderthalb Jahre noch, bis Entspannung eintritt. Nach Wut und Ohnmacht stellt sich das Gefühl von Optimismus ein. Licht am Ende des Tunnels, Licht am Ende der Brücke.
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Von der Autobahn GmbH Westfalen gibt es längst keine Schreckensnachrichten mehr wie noch zu Beginn, als Fleder- und Haselmäuse störten. Die Arbeiten, so heißt es, lägen im Plan. Mindestens. Dass die deutsch-österreichische Bietergemeinschaft Habau/MCE/Bickhardt Bau, die den Auftrag erhielt, zügig arbeitet, ist sichtbar und nachvollziehbar. Sie erhält Bonuszahlungen, wenn sie früher fertig ist als geplant.
Von beiden Seiten wächst die Brücke Richtung Talmitte, das sogenannte Taktschiebeverfahren. Die beiden niedrigen Pfeiler, auf denen die Brücke später liegt, sind längst fertig, die beiden hohen Pfeiler wachsen in die Höhe. Auch die Arbeiten an den Pfeilern der zweiten Brückenhälfte sind bereits sichtbar.
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Krings - er hat es ja nicht weit - macht von den Fortschritten viele Fotos und auch Drohnenaufnahmen. Nach dem jüngsten Verschub der Brückenteile auf den ersten Pfeiler schickte er sein Material in eine WhatsApp-Gruppe mit Leidensgenossen, „um allen zu sagen, dass es vorangeht“. Er musste feststellen, dass längst nicht alle so optimistisch sind. „Einige sind noch sehr frustriert, das habe ich an den Reaktionen gemerkt. Sie haben die Fotos gesehen und gesagt: Aber die Lkw fahren doch immer noch vor meiner Haustür, wir leiden doch immer noch.“
„Wenn ich sehe, was vor meinem Haus los ist - da kann ich nicht optimistisch sein. Da will ich auch nicht optimistisch sein.“
Eine von denen, die das so sieht, ist Elissavet Simeon. Sie hat gelitten - und tut es immer noch (wir berichteten). Die Lüdenscheiderin wohnt nicht nur an der offiziellen Umleitungsstrecke, sondern hat im gleichen Haus auch ihren Brautmodenladen. Nach wie vor schlafe sie nachts kaum, weil nur wenige Meter Luftlinie entfernt die Lkw den Berg hoch ächzen oder an der roten Ampel vor sich hin dröhnen. „Hier auf der Straße hat sich nichts verändert“, sagt sie.
Wirtschaft, Krankenhaus, Schule, Innenstadt - die ganze Stadt leidet
Drei Kilometer liegen zwischen ihr und der Brücke, die da gerade wächst. Aber Elissavet Simeon schaut sie sich nicht an, bewusst nicht. „Ich versuche, zu vermeiden, da herzufahren“, sagt sie. „Da kriege ich schlechte Laune.“ Pause. „Was bringt es mir, zu sehen, dass es da vorangeht und dass es vielleicht nur noch zwei Jahre sind, bis sie fertig ist. Wenn ich sehe, was vor meinem Haus los ist - da kann ich nicht optimistisch sein.“ Pause. „Da will ich auch nicht optimistisch sein.“
Sie ist in Sorge. Mit Bestürzung blickt sie auf das, was die Sperrung mit der ganzen Stadt macht: In der Innenstadt, sagt sie, schließe ein Geschäft nach dem anderen, die Wirtschaft leide, dem Krankenhaus sowie den Schulen liefe das Personal weg, und die Straßen seien kaputtgefahren. „Die ganze Stadt leidet“, sagt sie. Im Großen wie im Kleinen. „Wer zahlt das denn alles? Unsere Häuser sind schwarz von den Abgasen und müssen gestrichen werden. Wer zahlt das alles? Wer?“