Hagen. Ende der Regierungskoalition wird in Südwestfalen als überfällig bewertet. Es sorgt aber auch für Ungewissheit. Was Bürger befürchten.
Erst die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, dann das Aus für die Ampelkoalition in Berlin: Es sind turbulente Zeiten, auch für die Menschen in Südwestfalen.
Als Überraschung, so ergibt eine Straßenumfrage in der Region, ist das Ende des rot-gelb-grünen Bündnisses in der Region nicht aufgenommen worden, zu lange schon gab es Streit in der Bundesregierung. Auch Bedauern über die Scheidung zwischen SPD und Grünen auf der einen und der FDP auf der anderen Seite ist nicht zu vernehmen. Sehr wohl aber Sorge – Sorge vor dem, was kommt.
Ampel-Aus „war überfällig“
Sie war „nicht für den Typen“, gemeint ist: Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner, auch nicht für dessen Partei, die FDP, sagt Ilona, 73, die am Donnerstagmittag vor einem Café in Hagen-Haspe auf ein wärmendes Getränk wartet.
Als „überfällig“ bezeichnet sie – wie andere Befragte – das Ende der Zusammenarbeit zwischen den drei Ampelparteien in Berlin, das nur Stunden nach dem Trump-Comeback kam. „Bedient“, sagt die Rentnerin, „war man schon, als man gehört hat, wer in den USA gewonnen hat.“ Und dann der Knall in Berlin.
„Den Lindner finde ich sehr ehrlich.“
Einen Alleinverantwortlichen für das „Hin und Her“ in der Bundesregierung in den vergangenen drei Jahren und das Aus für die Ampel möchte die Seniorin nicht benennen. Sie beschäftigt vor allem der russische Krieg gegen die Ukraine, auch die vielfältigen Herausforderungen im eigenen Land, etwa Leerstände in Innenstädten wie in Hagen-Haspe. „Ich hoffe, dass es wirtschaftlich mal wieder bergauf geht“, sagt Ilona.
Ein Stück entfernt eilt eine Fußgängerin durch die Hasper Einkaufspassage. Ihren Namen möchte sie nicht nennen, wohl aber ihre Meinung zum Ampel-Aus kundtun. „Ich bin verärgert, das war ungerecht von Scholz“, sagt die 53-Jährige. Der Kanzler und sein Vize, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), seien verantwortlich. Und FDP-Chef Christian Lindner, den Scholz in beispielloser Weise als Schuldigen präsentiert hatte? „Den Lindner finde ich sehr ehrlich“, sagt die Dame, die bei Neuwahlen allerdings die CDU/CSU wählen würde, weil es die FDP möglicherweise gar nicht mehr in den Bundestag schafft. Zudem wünscht sie sich „mehr Realismus“ in der Politik, etwa bei Bürgergeld, Zuwanderung, Klima- und Energiepolitik.
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Sorge vor Bündnis aus CDU und AfD
Ortswechsel. In Gevelsberg, SPD-Hochburg im Ennepe-Ruhr-Kreis, sagt Bernhard von Scheidt: „Von Lindner die Arbeit, die war nichts.“ Der inzwischen ehemalige Bundesfinanzminister habe Vereinbarungen nicht eingehalten. „Olaf Scholz hat immer gesagt, er kriegt’s geregelt, aber Lindner hat er nicht gebändigt gekriegt“, sagt Bernhard von Scheidt, der hofft, dass nun „Scholz irgendwie eine Lösung findet“.
Die wird wohl lauten: Neuwahlen. Denen blickt Stefan mit Sorge entgegen. „Ich fürchte mich vor dem Ergebnis, weil ich befürchte, dass SPD und Grüne für das Verhalten der FDP mit abgestraft werden und die AfD dazugewinnt“, sagt der 42-Jährige.
Zudem befürchte er, dass der Wahlkampf in Deutschland ähnlich populistisch geführt werde und hierzulande Verhältnisse wie in den Vereinigten Staaten einziehen könnten. Und: „Mir graut davor, dass die CDU auf die Idee kommt, mit der AfD zusammenzuarbeiten“, sagt Stefan, der seine Stimmung mit dem Satz zusammenfasst: „Ich bin gerade richtig pessimistisch.“
„Mir graut davor, dass die CDU auf die Idee kommt, mit der AfD zusammenzuarbeiten.“
„Entweder GroKo – oder großes Schlamassel“
Ähnlich klingt zunächst Rolf Remmel, der darüber klagt, dass im Lande wenig vorangehe, dass es viele Pläne gebe, aber keinen Masterplan, dass sich auch unter einer neuen Regierung wohl nicht viel bessern werde. Er sieht die Verantwortung für das Ampel-Aus bei allen drei Koalitionären und bemerkt, dass sein Vertrauen „in die Strukturen der Politik gelitten“ habe.
Trotz solcher nach Resignation klingenden Äußerungen sei er aber „total positiv gestimmt für die Zukunft“. Wieso das? „Weil ich mir erhoffe, dass sich entgegen meiner Erwartung Dinge bessern“, sagt der 58-Jährige.
Mit Skepsis blickt er allerdings auf das Ergebnis möglicher Neuwahlen. „Entweder GroKo – oder großes Schlamassel“, erwartet er, wobei er eine große Koalition aus CDU und SPD (GroKo) als das „geringere Übel“ bezeichnet. Das Aufkommen von AfD und BSW würde es erschweren, stabile Mehrheitsverhältnisse zu erreichen.
„Die Truppe hat sich Mühe gegeben, jeden vor den Kopf zu stoßen!“
Vergleich der Ampel mit dem BVB
Ortswechsel, Arnsberg-Neheim im Hochsauerland. Das Ehepaar Richter aus Neheim befürwortet das Ende der Ampel. Sie möchten „so schnell wie möglich“ Neuwahlen. Gleichzeitig ist ihnen bange vor einem Wahlerfolg der AfD. Diethild Richter, 66, wird angesichts des Verhaltens von Bundeskanzler Scholz deutlich: „Ich hätte nie gedacht, dass Scholz so ein A…loch sein kann.“ Sie findet, dass die Art und Weise der Kommunikation innerhalb und außerhalb der Ampelkoalition katastrophal gewesen sei. Ihr Mann Peter, 65, pflichtet ihr bei. Die „Truppe“, Richter meint damit die Ampelkoalition, habe „sich Mühe gegeben, jeden vor den Kopf zu stoßen“. Allgemein seien die vergangenen drei Jahre Ampel-Kommunikation schwierig gewesen. Er vergleicht das mit Fußball-Bundesligist Borussia Dortmund. „Da wird auch viel erzählt, aber es passiert nichts“, so Peter Richter.
FDP-Chef Christian Lindner hingegen, der sich in der Koalition für den Erhalt der Schuldenbremse aussprach, kommt bei ihnen gut weg. „Jeder hätte Kompromisse eingehen sollen. Trotzdem finde ich, dass Lindner vernünftig war. Er hat nicht mit Geld um sich geworfen. Er war massiv arrogant, was man als Minister vielleicht auch sein muss…“, beginnt Diethild Richter, „… aber er war der einzig klare Kopp!“, beendet ihr Ehegatte den Satz.
„Die CDU ist das geringste Übel.“
Das Zerwürfnis innerhalb der Koalition trage auch dazu bei, dass die Gesellschaft sich weiter spalte, so Peter Richter. Seine Frau ist sich unsicher, wen sie nun bei Neuwahlen wählen soll. Die CDU wird es wohl werden, sagt sie. „Die sind das geringere Übel.“ Sie betont aber auch, dass sie Friedrich Merz allein nicht wählen würde, die CDU schon.
Eine andere Passantin ist mit Kinderwagen in der Neheimer Innenstadt unterwegs. Sie, die namentlich nicht genannt werden möchte, sagt über das Aus der Ampel: „Ich bin verunsichert.“ Es sei richtig, dass sich die Koalition nun auflöse, jedoch sei der Zeitpunkt vor dem Hintergrund der US-Wahl „ungünstig“. Die 34-Jährige findet, dass Lindner nun etwas spät auf den Deckel bekommen habe. Zudem sei sie um einen kurzfristig angesetzten, ungeplanten Wahlkampf besorgt: „Das könnte die AfD ausnutzen.“
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