Hagen. Seit Jahren geht bundesweit die Zahl an Diskotheken zurück. In Sauer- und Siegerland öffneten gleich vier neue Clubs ihre Pforten.

Totgesagte leben offenbar doch länger: Während seit Jahren im Bundesgebiet das böse Wort vom Diskotheken-Sterben die Runde macht, haben in der Region in diesem Herbst vier Discos – oder sollen wir neudeutsch sagen: Clubs – neueröffnet: das „Phoenix“ in Menden, das „Q“ in Freudenberg, die „Schauburg P3“ in Iserlohn und das „Nexo“ in Winterberg. Die Hintergründe.

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Guido Piepenbrink öffnet seinen Club Nexo freitags und samstags ab 22 Uhr. Und sieht das Nexo als Ergänzung im Winterberger Nightlife. Platzhirsch ist seit eh und je die Tenne, die seit den 60er Jahren „kleine Legende unter den Diskotheken“ (Eigenbeschreibung). Der Bedarf für solche Unterhaltungstempel jedenfalls sei auf dem Land groß, findet Piepenbrink: „Wenn es kein Nachtleben gibt, wandern die jungen Leute ab. Sie wollen am Wochenende feiern gehen, der Besuch in der Dorfkneipe reicht ihnen nicht.“

Motto-Partys als großer Trend

Und sie wollten Motto-Partys feiern, berichtet der Hochsauerländer von dem großen Trend in der Disco-Branche. Am Abend und in der Nacht vor dem 1. November ließen sich Gäste aus dem Sauerland auf der Halloween-Party im Nexo mit Lichtshows und modernen Rhythmen unterhalten. Bei dem Winterberger Gastronomen dürfte die Überzeugung gewachsen sein, dass eine Disco-Neueröffnung anno 2024 keinesfalls der blanke Horror ist. „O.k.“, sagt Piepenbrink dann doch, „ohne finanziellen Background sollte man heutzutage keine Disco eröffnen.“

Eröffnung Q auf de rWilhelmshöhe
Eine Aufnahme aus dem neuen Club „Q“ in Freudenberg. © Jürgen Schade | Jürgen Schade

Denn, so berichten Club-Betreiber im Bundesgebiet, angesichts steigender Fixkosten für Miete, Energie oder Gema-Gebühren sowie einer allgemeinen Konsumzurückhaltung unter den Gästen werde das wirtschaftliche Risiko immer größer.

Auch in Freudenberg wurde das „Wagnis“ eingegangen, wie es Martin Gadek ausdrückt, „es ist heutzutage keineswegs selbstverständlich, eine Disco zu eröffnen“. Gadek ist Betriebsleiter der am 18. Oktober eröffneten Diskothek Q. In dem Gebäude war bis zu ihrer Schließung im vergangenen Juli die größte Disco des Siegerlandes - das Ox - beheimatet. Warum ein Wagnis? „Bei den jungen Leuten hat sich das Ausgehverhalten verändert“, sagt Gadek, „die Generation hat die Pandemie erlebt, in der Diskotheken geschlossen bleiben mussten. Sie hat den Discobesuch verlernt.“

Shuttle-Bus zur Diskothek

Das Q befindet sich im Gewerbegebiet Wilhelmshöhe in unmittelbarer Nähe zur Autobahn 45. „Der Standort ist Bombe, super zu erreichen, auch mit dem Shuttle-Bus aus der Siegener City“, schwärmt Gadek – „und ohne Nachbarn in Wohnhäusern, die sich über Ruhestörungen beklagen.“ Die schnelle Anwahl des Polizeinotrufs, so berichten Diskothekenbetreiber auch in Südwestfalen, scheint zunehmend ein Problem zu sein.

Mola Adebisi als DJ im Phoenix in Menden
Zur Eröffnung des „Phoenix“ in Menden legte der ehemalige Moderator des Musiksenders Viva, Mola Adebisi, als DJ auf. © Westfalenpost | Thomas Hagemann

Was erwarten junge Leute von einer Diskothek in diesen Zeiten, in denen sich viele Freizeitaktivitäten ins Private und in den digitalen Raum verlagert haben? „Unterhaltung und Entertainment“, sagt Gadek und zählt auf: Motto-Partys wie Halloween- oder Mallorca-Partys, Auftritte von Reality- und Musikstars sowie DJs und so weiter und so fort. Und es müsse auch ein attraktives Getränkeangebot geben. Allerdings: „Für die jungen Leute ist eine Disco kein Trinkladen zum Abhängen.“

„Die jungen Leute haben in der Pandemie den Discobesuch verlernt.“

Martin Gadek
Betriebsleiter Diskothek „Q“ Freudenberg

Einen Abend mit guter Musik verbringen, tanzen, Freunde treffen und neue Leute kennenlernen – das ist seit dem 18. Oktober auch in Iserlohn wieder möglich - in der „Schauburg P3“. Bereits Anfang Oktober eröffnete in Menden der Club „Phoenix“. Am ersten Wochenende meldete Betreiber Jozeh Ramazani ein volles Haus. Der TV-Prominente Mola Adebisi legte als DJ auf.

Das dürfte nach dem Geschmack des Sozialwissenschaftlers Bernhard Heinzlmaier sein, der in einem NDR-Interview mit Blick auf das Programm und die Besuchergewinnung von Discos auf dem Land davon sprach, dass sich das „08/15-Modell totgelaufen“ habe: „Ich glaube, da muss man wirklich die Kultur etwas mehr eventisieren: Man muss große Events mit Stars dorthin bringen.“

Nexo Halloween 2024
Der Nexo Club in Winterberg feierte Halloween unter anderem mit Lichtshows. © WP | Bastian Honekamp

Gleich vier Disco-Neueröffnungen in Südwestfalen: Erzählt man Aurélie Bergen vom Bundesverband deutscher Discotheken und Tanzbetriebe (BDT) im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) davon, freut sie sich. Denn: „Durch wirtschaftliche Herausforderungen und die Nachwirkungen der Pandemie wurde die Diskotheken-Branche hart getroffen, sodass einige Betriebe zur Geschäftsaufgabe gezwungen waren.“

Vielfältige Herausforderungen für Betreiber

Einer Dehoga-Statistik zufolge gab es 2015 noch 1630 umsatzsteuerpflichtige „Discotheken und Tanzlokale“, sechs Jahre später waren es nur noch 864. Im Jahr 2022 stieg die Zahl wieder leicht an – auf 1037. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.

Und die Unternehmen, die bis heute überlebt beziehungsweise neueröffnet haben, seien vor vielfältige Herausforderungen gestellt, so die BDT-Referentin: „Der Konkurrenzdruck aufgrund des größer gewordenen medialen Angebots für die klassischen Diskotheken-Gäste hat zugenommen.“ Insbesondere soziale Netzwerke und Medien deckten Angebote ab, die früher als Alleinstellungsmerkmal für Diskotheken gegolten hätten. Aurélie Bergen erinnert hier beispielhaft an die Musikplattform Spotify oder die Dating App Tinder.

Konkurrenz in Gemeindehallen

Hinzu komme, so die Branchenvertreterin: „Zahlreiche, einmal im Jahr stattfindende Veranstaltungen in Scheunen, Gemeindehallen oder auf Open-Air-Wiesen, die vielfach ohne Beachtung der Sperrzeit, der gesetzlichen Hygiene-, Brand- und Jugendschutzvorschriften durchgeführt werden, ziehen den Diskotheken Gäste ab.“ Nicht zu vergessen aus Aurélie Bergens Sicht: „Der demografische Wandel, steigende Gema-Gebühren, allgemein zunehmende Bürokratie, die Auswirkungen des Mindestlohns, veraltete, starre Vorgaben bei der Arbeitszeit und ein sehr strenges Markenrecht.“

Derweil bereitet sich das Team des „Q“ in Freudenberg auf das kommende Wochenende vor. Unter dem Motto „Zurück in die Neunziger“ tritt am Samstagabend die Band Rednex auf. Und erinnert an ein Jahrzehnt des Diskotheken-Booms.

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