Brilon. Kühe bestimmen, wann sie gemolken werden, künstliche Intelligenz steuert Futter und Besamung: Wie ein Hof zum Vorzeigebetrieb wurde.
Ein bisschen Star Wars, mitten auf einem Hof im Sauerland. Es dauert nicht lange, dann taucht der Besucher der Sauerlandmilch GbR in Brilon-Rösenbeck in eine andere Welt ein: Roboter fahren per Lasersteuerung mit roten Tanks von Stall zu Stall. Kameras erkennen, welche Futterstellen leer sind, und füllen sie mit Spezialnahrung. 24 Stunden am Tag.
Die Tiere haben sich an die fahrenden Mitarbeiter auf vier Rädern gewöhnt. Im letzten Moment ziehen sie ihre durch die Fressgitterstäbe lugenden Köpfe wieder ein. Eine nach der anderen. Ein Schauspiel.
Wer nach oben blickt, sieht Sensoren, die auch die Temperatur im Stall messen. Wird es im Sommer zu heiß, fahren Duschen von der Decke hinab und lassen es regnen.
Euterliste und Wieder-Kau-Aktivität
Ein Gang führt die Tiere zu den mitten im Stall stehenden Melkrobotern. Dort lockt sie Kraftfutter. Betritt eine Kuh den Roboter, schließt sich das Tor. Automatisch sucht der Roboter die Zitzen per Laser. Danach streckt er langsam die Saugnäpfe hervor und beginnt die Kuh zu melken. Der Vorgang dauert sieben bis acht Minuten. Die künstliche Intelligenz (KI) „Horizon“ sammelt auch bei diesem Vorgang viele Daten. Sie hält den Landwirten die Gesundheit der Herde mittels Euterliste und Wieder-Kau-Aktivität zeitnah vor Augen.
Wie die Zukunft auf Milchviehhöfen aussehen könnte, das zeigt Landwirt Johannes Schütte. Der Betrieb der Sauerlandmilch GbR mit 488 Kühen, darunter 250 Milchkühen, ist einer der modernsten in NRW. Er ist 2022 vom Bundeslandwirtschaftsministerium für sein innovatives Stallbau-Konzept ausgezeichnet worden. Geführt wird er von Johannes Schütte und seinen Partnern Jonas und Friedbert Fredebeul-Krein. Sie haben 2011 auf Automatisierung gesetzt – und später auf die KI „Horizon“.
30 Pinzgauer auf der Weide
Insgesamt bewirtschaften die drei Landwirte 185 Hektar Land. Der Großteil ist Grünfläche, der Rest Acker und Stallfläche. Der Hof liegt in einem kleinen Tal, von wo aus sich der Blick auf viele Höhenlagen verliert, auf denen auch 30 Pinzgauer, eine alte Rinderrasse, weiden.
Mit der Automatisierung hat die Sauerlandmilch GbR eine Lösung gegen den Personalmangel in der Landwirtschaft gefunden: In den Ställen arbeiten neben den drei Partnern und einem Auszubildenden nur Roboter. Melk-, Fütterungs- und Einstreuroboter sowie Gülle-Schieber übernehmen die Arbeit. Sie melken, füttern, machen sauber und streuen ein. „Uns war wichtig, den Kühen so möglichst viel Zeit zum Liegen und Fressen zu geben“, erklärt Schütte. All das wird ergänzt durch den Einsatz der KI Horizon. Die, gefüttert mit vielen Daten, die Sterblichkeitsrate bei den Tieren deutlich reduziert und die Milchproduktivität gesteigert haben soll. Für den Betrieb, so der 37-Jährige, hätte sich der Einsatz von Robotern und der KI „voll gelohnt“.
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Sanft agierende Roboter
Alle Kühe können sich in den Ställen der Sauerlandmilch GbR frei bewegen. Die Tiere entscheiden dabei selbst, ob und wann sie gemolken werden. Bis zu viermal am Tag. „Jedes Tier hat dabei seinen eigenen Rhythmus“, sagt Schütte. Das Stallbau-Konzept mit den immer gleichen Arbeitsabläufen durch die sanft agierenden Roboter passe perfekt zu Kühen: „Es sind Gewohnheitstiere. Die wollen keine Überraschungen, sondern immer dasselbe.“
Die KI Horizon, erzählt der Sauerländer, werde kontinuierlich mit Daten gefüttert. Sie berechne dann unter anderem, wie viel und was eine Kuh fressen darf, „je nachdem, ob sie trächtig ist oder gerade gekalbt hat“. Beim Melken wird die Temperatur des Tieres gemessen und gegebenenfalls eine entsprechende Mitteilung an das Smartphone von Johannes Schütte weitergeleitet.
Alle Ausgaben und Einnahmen im Blick
Sensoren erfassen, wann und wie lange die Kuh frisst. „Sie können am Neigungswinkel des Kopfes erkennen, ob ein Tier Nahrung aufnimmt.“ Ausfälle würden dadurch gering gehalten. Die KI helfe anhand der Daten auch festzustellen, wann eine Kuh empfangsbereit sei und besamt werden könne. Dadurch spare man viel Zeit. „Kalbt eine Kuh, schickt die KI automatisch Daten an den Landeskontrollverband, damit alles ordnungsgemäß erfasst wird.“ Der Einsatz der KI habe dazu geführt, dass die Gesamtmarge der Herde ständig errechnet werden könne. „Sprich: wir haben die Ausgaben und Einnahmen jeder einzelnen Kuh immer im Blick.“
„Die Sensoren können am Neigungswinkel des Kopfes erkennen, ob ein Tier Nahrung aufnimmt.“
Die Sauerlandmilch GbR gehört laut dem Bundeslandwirtschaftsministerium zu den zehn besten Betrieben in Deutschland, bezogen auf die Milch-Leistung (Fett- und Eiweißgehalt pro Liter Milch). „Ein Prozent mehr Eiweiß in der Milch rechnet sich, man bekommt 7,9 Cent mehr pro Liter“, so Johannes Schütte. Manchmal, betont er, sei es sinnvoller, weniger Milch zu produzieren, dafür aber gehaltvollere, mit besseren Inhaltsstoffen.
Schütte und seine beiden Partner verkaufen ihre Milch an Friesland-Campina mit Sitz in Amersfoort in den Niederlanden. Innerhalb von drei Tagen kommt der Tankwagen mehrfach auf das Hofgelände. Aus der Milch der Sauerländer wird Lactoferrin für Proteindrinks und ähnliches gewonnen. Jeder Automatisierungs- und Optimierungsschritt hat laut Schütte zu mehr Milch geführt. Mehr als 3,3 Millionen Liter Milch produziert die Sauerlandmilch GbR pro Jahr.
Hohe Wertschöpfung
„Früher war Milch Milch und wurde nach Fett- und Eiweißgehalt bezahlt“, berichtet Schütte. Heute spiele auch das Tierwohl und der CO₂-Fußabdruck eine Rolle. „Da schneidet unser Konzept besonders gut ab“, so der junge Landwirt. Er ist stolz auf die hohe Wertschöpfung: „Bei uns wird nichts mehr weggeworfen, selbst die Gülle wird zu 100 Prozent in der Biogasanlage verarbeitet.“ Die eigene Biogasanlage versorgt Haus und Hof mit Energie. Fünf seiner Kühe produzierten die Energie für ein Haus, wirbt er für sein Konzept.
2011 steckten die drei Landwirte viel Geld in den fast vollautomatisierten Hof. „Für 120 Kühe musste man mit 2,3 Millionen Euro rechnen“, erzählt der Sauerländer. Er berichtet über harte Jahre und enorme private Belastung. „Aber es war die richtige Entscheidung, auf Nachhaltigkeit und ressourcenschonende Effizienz zu setzen.“ Der Ertrag bestätige ihre Entscheidung.
KI auch für Büroarbeiten
Laut einer Studie des IT-Branchenverbands Bitkom von 2023 befasst sich fast jeder zweite landwirtschaftliche Betrieb in Deutschland mit dem Einsatz von KI.
Neun Prozent der 500 befragten Höfe setzen KI bereits ein, um über Wahrscheinlichkeiten das Wetter zu erahnen und Preise vorherzusagen. Auch für Büroarbeiten wollen Landwirte KI einsetzen, so die Studie. Und: Je größer der Betrieb, desto intensiver beschäftigen sich Landwirte mit KI.
„Die Sauerlandmilch GbR hat tatsächlich eine Leuchtturmfunktion in der Landwirtschaft“, berichtet Dr. Katharina Dahlhoff vom Versuchs- und Bildungszentrum Landwirtschaft Haus Düsse in Bad Sassendorf. Sie ist auch Expertin für den Einsatz von KI in der Landwirtschaft und kennt den Hof von Schütte und seinen Partnern. „Fortschrittlich, vorbildhaft“, sagt sie. Seit mehr als 20 Jahren arbeiteten Höfe in NRW mit Robotern. „Das hat schon eine lange Tradition.“
In Brilon funktioniere das Herdenmanagement-Programm „Horizon“ sehr gut. Der Einsatz von KI und Robotern gerade in der Milchwirtschaft sei auch dem Fachkräftemangel geschuldet. Das Zusammenspiel einer KI mit Robotern sei aber nur effizient, wenn die Landwirte einen Überblick über die Systeme behielten. Bisher arbeiteten nur wenige Landwirte in NRW mit KI-basierten Systemen. Das werde sich ändern: Zum einen, weil dadurch das Tierwohl gesteigert werden könne, zum anderen, weil es für die Landwirte Work-Life-Balance garantiere.
Kritischer Blick auf Automatisierung
Dario Sarmadi von Foodwatch Deutschland sieht den Trend zur Automatisierung der Milchviehhöfe eher kritisch: „Meistens bedeutet das nur Gewinnmaximierung. Da muss man jeden Hof für sich betrachten.“ Ein Indikator für erhöhtes Tierwohl sei die Zahl der Krankheitsfälle innerhalb einer Herde. Nehme sie ab, könne dies ein Zeichen dafür sein, dass es den Tieren besser als zuvor gehe. Hochleistungszucht und Produktivitätssteigerung durch den Einsatz von Robotern und KI müssten in den nächsten Jahren genauer betrachtet werden. Noch fehlten entsprechende Studien. „Tierwohl ist und bleibt schwer messbar.“
Zeit für die Familie
„Ein Landwirt ist grundsätzlich ein Workaholic“, sagt Johannes Schütte, „aber wir haben es geschafft, dank Automatisierung und KI jedes zweite Wochenende Zeit für die Familie zu haben.“ Der Landwirt blickt zufrieden zu seinem kleinen Sohn und seiner Frau, die entlang des Hofes zwischen fahrenden Robotern hinauf zu den Wiesen laufen.