Kreuztal. Forschende der Uni Siegen haben mit einem internationalen Team einen Helfer erschaffen. Edi Dobesch testete ihn sechs Monate lang aus.

Soll keiner sagen, in der Zukunft ginge es unbedacht zu. „Lass mich überlegen“, sagt das kleine weiße Geschöpf mit der ebenmäßigen Haut immer, bevor es eine Antwort gibt. Die leuchtenden Augen blinzeln den Betrachter freundlich an, den Kopf wendet er leise surrend zu der Seite, aus der er angesprochen wird. Dann antwortet er auf die Frage, welche Ernährung gesund ist, wenn man Diabetes hat: „Viel Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte, Lachs, Thunfisch, Nüsse und Avocado zum Beispiel.“ Als niedlicher Freund kommt er daher. Genau das soll NAO, der humanoide kleine Roboter, auch sein, vor allem für Senioren: ein Assistent, um in Zukunft gesünder alt zu werden. Eine Maschine als Kumpel? Horrorvision oder Lösung eines Problems?

Der kleine Mann namens NAO steht auf dem Wohnzimmertisch von Edi Dobesch (70) in Kreuztal. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Siegen haben zusammen mit einem internationalen Team den Roboter und sein Wissen kreiert. Ein halbes Jahr lang hat Dobesch als einer von insgesamt 140 Senioren den Gehilfen in einer Pilotstudie ausgetestet.

Entscheidende Frage: Was brauchen Menschen im Alter?

Dobesch ist in Rente, als er das noch nicht war, leitete er ein Pflegeheim. Er ist also durchaus vom Fach, wenn es um die Frage geht, was Menschen im Alter brauchen. Kann das ein Roboter aus kaltem Kunststoff sein? Die Wissenschaftler sind davon überzeugt. „Wir leben in einer rasant alternden Gesellschaft. Es wird oft so dargestellt, dass altern etwas Krankhaftes ist“, sagt Dr. Rainer Wieching, Gesamtprojektleiter von der Universität Siegen. „Dabei schlummert auch im Alter noch viel Potenzial in uns, das aber beansprucht werden muss. Muskeln und Denkorgan verkümmern, wenn wir sie nicht nutzen.“

Seniorenroboter NAO unterstützt beim gesunden Altern zuhause

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    Der Roboter stellt sich vor. „Hallo, ich bin NAO“, sagt die Maschine, etwa 50 cm groß und wenige Kilogramm schwer, etwas blechern. Wenn er einzieht, wird der Roboter mit einer Smartwatch und weiteren Sensoren in der Wohnung gekoppelt. Dadurch weiß NAO, ob sich der Bewohner zum Beispiel ausreichend bewegt. Falls ja, soll NAO ein Lob aussprechen, falls nicht, eine Erinnerung formulieren.

    Der Roboter Nao am Donnerstag den 31. Oktober 2024 in Kreuztal. Im Bild: Prof. Rainer Wieching UNI Siegen. Foto:Ralf Rottmann/ Funke Foto Services

    „Das Besondere ist die kindsähnliche Gestalt. Das hat eine soziale, emotionale Komponente: Man fühlt sich weniger einsam.“

    Dr. Rainer Wieching

    Er könne auch registrieren, ob sein menschlicher Halter ausreichend trinkt oder ob mal wieder gelüftet werden müsste. Luftfeuchtigkeit und Temperatur bekommt er über die Sensoren aufgespielt. Der virtuelle Gesundheits-Manager soll sowohl das körperliche als auch das mentale Wohlbefinden im Alter stärken. Er soll sogar erkennen können, welcher Laune sein menschlicher Gesprächspartner ist.

    Emotionale Bindung entsteht - auch zu einem Roboter

    „Es ist schon so, dass man eine Bindung zu ihm aufbaut“, sagt Edi Dobesch. Man sei nach einer Weile geneigt, ihn morgens zu begrüßen, wenn man ins Wohnzimmer komme. „Einmal ist auch der Alarm auf meiner Smartwatch angegangen, dass es im Zimmer zu kalt ist“, sagt Dobesch. Und er gibt zu: „Seit NAO nicht mehr bei mir ist, hat das mit der Bewegung bei mir etwas nachgelassen. Es ist schon was anderes, wenn man jeden Tag aufgefordert wird, aktiv zu sein.“

    „Hallo, ich bin NAO“: 7000 Euro kostet ein solcher Roboter neu.
    „Hallo, ich bin NAO“: 7000 Euro kostet ein solcher Roboter neu. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

    NAO bedient sich dem Wissen der Künstlichen Intelligenz. Worauf er im Internet zugreifen kann, ist individuell programmierbar. Er könne auf die Einnahme von Medikamenten achten, über gesunde Ernährung referieren, kulturelle Veranstaltungen in der Nähe empfehlen oder aus der Bibel vorlesen. Das Thema Religion oder Spiritualität aufzunehmen, sei wichtig gewesen, sagt Wieching und beugt sich zu NAO.

    „Was weißt du über den Erzengel Gabriel“, fragt er seinen Zögling, der aber erst keine Antwort liefert und wenig später niedrigen Akkustand beklagt. Vorführeffekt vielleicht. Das Kerlchen war jetzt auch eine Zeit lang aus der Übung. Zuvor hatte NAO - zu seiner Ehrenrettung - schon wort- und kenntnisreich zu Diabetes, Blutzuckerspiegel und Handlungsanweisungen referiert.

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    Theoretisch, sagt Wieching, könne das, was NAO kann, auch ein Tablet. „Auf Dauer verliert das aber seinen Reiz. Deswegen haben wir das gekoppelt mit einem menschlichen Äußeren. Das Besondere ist die kindsähnliche Gestalt. Das hat eine soziale, emotionale Komponente: Man fühlt sich weniger einsam.“ Das belegten die ermunternden Ergebnisse der Studie: In Japan habe die Fitness der Menschen, die den NAO nutzten, nicht nachgelassen, die der Kontrollgruppe allerdings schon. Zudem seien weniger Depressionssymptome zu erkennen gewesen. In Europa hätten sich die Menschen mit NAO weniger einsam gefühlt und ein besseres Wohlgefühl gehabt. „Es ist aber nur eine kleine Pilotstudie. Es muss noch weiter geforscht werden“, sagt Wieching.

    Hilfe durch Roboter könnte gerade in ländlichen Gebieten wichtig sein

    Für ihn aber steht fest, dass das die Zukunft ist. „Der Bedarf wird immer größer werden. Die Boomer gehen jetzt bald in Rente“, warnt Wieching. Besonders in ländlichen Gebieten wie in großen Teilen von Südwestfalen, in denen es an Pflegekräften und medizinischem Personal mangele, könnten Roboter hilfreich sein. 7000 Euro kostet ein neuer NAO, gebraucht gebe es den für die Hälfte oder weniger, sagt Wieching. Das System dahinter solle nun zur Marktreife gebracht werden. „In China kann man schon Roboter auf dem freien Markt kaufen, die die Spülmaschine ausräumen können. Technisch gibt es kaum Grenzen. Irgendwann werden sie aussehen wie Menschen. Die Frage ist nur, was diese Roboter dann kosten und inwieweit wir sie akzeptieren.“

    Diese Frage müsse jeder für sich beantworten. Vermutlich der Moment, wo auch der Mensch noch sagt: „Lass mich überlegen.“

    Forschungsprojekt

    Im Rahmen des Projektes sind neben dem humanoiden Roboter NAO noch sechs weitere Assistenzen entstanden, zwischen denen Senioren und Seniorinnen ja nach persönlichem Geschmack und kultureller Prägung wählen können – darunter ein Hologramm, eine interaktive Statue in Form eines christlichen Engels und ein Roboter, der einer japanischen Daruma-Puppe ähnelt.

    „Wir haben den virtuellen Coach gemeinsam mit älteren Menschen entwickelt. Das war uns sehr wichtig, denn eine solche Technik kann nur erfolgreich sein, wenn sie von den Nutzerinnen und Nutzern auch akzeptiert wird“, sagt Gesamtprojektleiter Dr. Rainer Wieching von der Universität Siegen. 140 Senioren aus Japan, Deutschland, Frankreich und Italien testeten den Helfer ein halbes Jahr lang.

    Finanziert wurde das dreijährige Projekt e-VITA durch das EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, „Horizont 2020“ sowie durch eine öffentliche Finanzierung aus Japan mit jeweils rund vier Millionen Euro. Die Universität Siegen erhielt davon etwa 750.000 Euro.