Lüdenscheid. Die Talbrücke Rahmede ist gesperrt, der Verkehr fließt durch Lüdenscheid, wo Anwohner jetzt an Klage denken. Was der Rechts-Experte dazu sagt.
Elissavet Simeon ist eine freundliche Frau, die leise spricht – aber ihr Körper bebt dabei vor Zorn. „Wir sind verzweifelt“, sagt sie. „Wir haben jetzt die Autobahn 45 vor der Haustür. Jeden Tag, den ganzen Tag.“ Das Besondere: Sie ist gleich doppelt betroffen. An der Lennestraße in Lüdenscheid betreibt sie seit 2007 ihr Brautmoden-Geschäft – eine Etage darüber wohnt sie mit ihrem Mann.
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„Ich kann in keiner Nacht länger als 30 Minuten am Stück schlafen – und das seit acht Wochen. Ich fühle mich krank“, sagt die Frau. Lkw-Lärm weckt sie auf. Ihr Blick ist leer, die Haut fahl. „Und im Geschäft bleiben mir die Leute weg.“ Die Kunden – viele aus Iserlohn oder Hagen – riefen an und sagten Termine ab, weil sie den Weg ins Verkehrschaos scheuten. Was sonst verlässlich 30 Minuten dauerte, kann nun doppelt so lang in Anspruch nehmen – wenn es gut läuft. Januar, Februar, März – das seien die Monate, in denen der meiste Umsatz gemacht werde, sagt Frau Simeon. Ihre Verluste kann sie noch nicht beziffern, aber sie seien da, sagt sie.
Lärm und Schmutz auf der Bedarfsumleitung: Es gibt kein Entrinnen
Wegen der einsturzgefährdeten und deshalb gesperrten Rahmedetalbrücke verlagert sich ein Teil des Verkehrs auf die Bedarfsumleitung durch die Stadt. Die führt wenige Meter an Elissavet Simeons Wohn- und Geschäftshaus vorbei. Lkw, dicht an dicht, aus Bulgarien, Slowenien, Polen. 4000 bis 5000 am Tag. Anfahren, zischend bremsen, die Steigung hinauf beschleunigend. Es gibt kein Entrinnen. Eine Wand aus Lkw versperrt beständig den Weg auf ihren Parkplatz. „Was wenn das hier zehn Jahre so geht? Niemand weiß das. Und niemand fühlt sich für uns zuständig.“
Das ist die A45-Talbrücke Rahmede
Das ist der Grund, warum sie rechtliche Schritte in Erwägung zieht. „Ich halte das für beinahe kriminell, uns diesem Lärm und Dreck auszusetzen – ohne Erklärung, ohne Mitgefühl.“ Simeon führt die Gemeinschaft mehrerer Ladenbesitzer entlang der Lennestraße an. Sie litten und leiden unter dem Einfluss von Corona, aber der Verkehr gibt ihnen gerade den Rest.
Klagen? Welche Chancen der Rechts-Experte sieht
Ein halbes Dutzend Parteien seien sie, die derzeit prüften, welche rechtlichen Möglichkeiten sie haben, die Situation zu verbessern. Problem bislang: Jede Anwaltskanzlei, bei der sie anfragten, winkte ab. Ein hoffnungsloser Fall?
+++ Auf sein Grundstück fällt die Talbrücke Rahmede +++
Ja und nein, sagt Dr. Stefan Kracht, Experte für öffentliches Recht an der Fern-Universität in Hagen. Rechtlich sei das „ein schwieriger Fall“, sagt er, denn ein Schuldiger sei schwerlich auszumachen. Die Autobahn GmbH hat rückblickend zwar eingeräumt, bei der letzten Beurteilung einen Fehler gemacht zu haben. Die Experten hatten den Neubau der Brücke 2017 wegen ihres unbedenklichen Zustandes auf 2026 verschoben. „Um aber mit einer Klage Erfolg haben zu können, müsste klar dargelegt werden können, dass die Gutachter auf Basis der ihnen damals zur Verfügung stehenden Informationen schuldhaft agierten“, erklärt Kracht. Das sei sehr unwahrscheinlich und daher fast unmöglich.
Lösungen: Nachtfahrverbot für Lkw oder Tempo-30-Zonen
Aber zwei andere Chancen täten sich auf. Es läge zwar keine Fehlplanung oder Fehlnutzung vor, weil es von niemandem beabsichtigt sei, diese Straßen so zu nutzen wie derzeit. Dennoch könnte es einen Anspruch gegen den Staat auf körperliche Unversehrtheit geben, wenn gegen das Bundesemissionsschutzgesetz verstoßen wird, wenn also Lärm- oder Abgaswerte die Richtwerte überschreiten. Daten dazu liegen allerdings noch nicht vor.
+++ Die Rahmedetalbrücke soll noch 2022 gesprengt werden +++
Zweite Möglichkeit, die Kracht sieht: „Die Eingriffe in Gesundheit und wirtschaftliches Eigentum müssen selbst bei einer Notlösung wie derzeit verhältnismäßig sein und bleiben.“ Heißt: Maßnahmen, die dazu dienen, die Last der Bürger zu verringern, hätten eine Chance auf Durchsetzung. Ein Nachtfahrverbot für Lkw wäre eine solche, oder auch die Einrichtung von Tempo-30-Zonen in stark belasteten Gebieten. Theoretisch denkbar: Die Lastverteilung durch die Nutzung verschiedener Bedarfsumleitungen. Drei Monate lang diese, drei Monate die nächste. Doch so viele Straßen, durch die Tausende Lkw täglich gelotst werden können, gibt es in Lüdenscheid nicht.
Einladung an die Bedarfsumleitung
Es wird also in jedem Falle noch etwas dauern, bis Elissavet Simeon geholfen werden kann. Ihr Angebot formuliert sie in der Hoffnung, dass jemand, der es erlebt hat, schneller und konsequenter handelt, weil er weiß, was es bedeutet, dort derzeit zu wohnen. „Ich lade jeden Verantwortlichen oder Politiker ganz herzlich ein, bei uns oder im nahe gelegenen Hotel eine Nacht zu verbringen“, sagt sie. „Danach weiß derjenige, wovon ich hier spreche.“