Lüdenscheid. Seit Montag kontrolliert die Polizei das Lkw-Durchfahrverbot in Lüdenscheid. Der Einsatz an der A 45 ist ein Rekord – und eine Lotterie.
Nabil sitzt jetzt erst mal fest. Da hilft kein Diskutieren, kein Flehen, auch nicht die Charmeoffensive, die der freundliche Lkw-Fahrer am Ende eines längeren Zwangsstopps in Richtung der Polizisten startet. Endstation Autobahnabfahrt Lüdenscheid Mitte. Für Nabil und andere geht es hier nicht mehr weiter.
Das seit Samstag in Lüdenscheid geltende Durchfahrverbot für den überregionalen Schwerlastverkehr auf der Umleitungsstrecke der gesperrten A 45 hat den 52-Jährigen auf der Fahrt von Hanau nach Unna unvorbereitet getroffen. Sagt er jedenfalls. „Ich wusste nichts davon“, meint Nabil, klagt dann sein Leid über das Dasein als Lkw-Fahrer und fehlende Wertschätzung („Wir machen den Service für Deutschland“), bis er schließlich fragt: „Woher muss ich jetzt fahren?“
Gute Frage, und es ist eine Frage, die die Polizei am Montag, dem ersten Tag der Kontrolloffensive zur Durchsetzung des Durchfahrverbots, immer wieder hört. Zwar wird großräumig mit Schildern auf die neue Maßnahme hingewiesen, mit der die leidgeplagten Anwohner entlastet werden sollen. Aber die einen Lkw-Fahrer sehen die Hinweise nicht, die anderen beachten sie nicht, und dann gibt es noch die, die sie nicht verstehen, weil sie kein Deutsch sprechen.
Wer das Pech hat, zur Kontrolle aus dem Verkehr gezogen zu werden, steht jetzt hier, gleich an der Autobahnabfahrt Lüdenscheid Mitte, wo seit dem frühen Morgen stichprobenartig Lkw überprüft werden. Mit teils kuriosen Szenen.
Größte Polizeiaktion in der Geschichte des Märkischen Kreises
Da ist etwa der ukrainische Lkw-Fahrer aus Charkiw, der zurück auf die Autobahn geschickt wird, beim Wendemanöver ein Tempo-30-Schild am Straßenrand touchiert – und dann zum Abschied freundlich den Ordnungshütern zuwinkt.
Mehr als 200 Einsatzkräfte sind laut Polizeiangaben an den sieben Kontrollstationen im Einsatz, die in und um Lüdenscheid zur Durchsetzung des Lkw-Transitverbots eingerichtet wurden. Für zunächst vier Wochen läuft die Aktion, die vor allem Laster ins Visier nimmt, aber auch etwa Pkw mit Anhänger zur gewerblichen Nutzung. Die Polizei ist jeden Tag im Einsatz, in drei Schichten. Beamte aus ganz NRW sind dabei, etwa eine Hundertschaft aus Dortmund.
Gemessen an der Zahl der Einsatzkräfte sei es die größte Polizeiaktion in der Geschichte des Märkischen Kreises, sagt Marcel Dilling. Das Zwischenfazit des Polizeisprechers nach den ersten Stunden: „Es ist wie an jedem anderen Montag. Wir haben nicht den Eindruck, dass weniger los ist auf den Straßen. Wir gehen davon aus, dass es sich einspielen und sich unter den Brummifahrern rumsprechen muss.“
Lkw-Fahrer, die wie Nabil nichts von der neuen Regelung wissen und gegen das von der Stadt Lüdenscheid angeordnete Durchfahrverbot für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen verstoßen, müssen 130 Euro Strafe zahlen. Die Summe setzt sich zusammen aus Bußgeld und Verwaltungsgebühr, zahlbar bar oder mit Karte. „Die weitaus größere Strafe aber ist, dass die Lkw-Fahrer wenden und zurückfahren müssen“, sagt Dilling.
Nabil, und da ist er an diesem Tag nicht der einzige Fahrer, glaubt, dass er nach Zahlung der Strafe weiterfahren dürfe, durch Lüdenscheid, über die gewohnte Umleitungsstrecke. Ein Irrglaube. Als er hört, dass er wenden und sich eine neue Route suchen muss, entfährt ihm: „Mein lieber Scholli! Ich brauche einen Helikopter.“
Er muss also mit seinem Lkw zurück auf die A 45 Richtung Süden, dann beispielsweise über Olpe, Köln und Wuppertal nach Unna fahren (über A 4, A 3 und A 1). Oder über Meinerzhagen und über Land. Die Polizei verteilt Flyer in sieben Sprachen, um den oft ausländischen Lkw-Fahrern die Lage und Ausweichstrecken zu erklären. Hilft aber auch nicht immer.
Kontrolle ist „ein Stück weit Glückssache“
Der ungarische Fahrer eines Lkw mit österreichischem Kennzeichen spricht etwas Deutsch, versteht aber nicht alles. Den Flyer, den ihm die Polizisten servieren, belächelt er, weil der keine Erklärung auf Ungarisch enthält. Von der Sperrung der A 45 wegen des Neubaus der Rahmedetalbrücke hat er gehört, dass er eine Strafe zahlen muss, wird ihm schnell klar. Dass er aber nicht weiterfahren darf, sondern an Ort und Stelle wenden muss, das lässt ihm dann doch seine Gesichtszüge entgleiten. „Ich muss große Umweg fahren?“, fragt er – und seufzt.
Danach greift er zum Handy, ruft seinen Chef an, um dem zu erklären, dass er den Liefertermin nicht halten könne. Wegen des großen Umwegs. Dann bittet er die Polizisten, seinem Chef doch bitte zu bestätigen, dass die Verspätung nicht seine Schuld sei. All das dauert, die Kontrollen sind oft keine Sache von wenigen Minuten.
Der Redebedarf ist an diesem ersten Tag erheblich. Die Ungerechtigkeit aus Nabils Sicht auch. Er beschwert sich, weil, während er kontrolliert wird und schließlich umdrehen muss, viele andere Laster mit ortsfremden Kennzeichen unbehelligt nach Lüdenscheid und über die Umleitungsstrecke fahren. Nicht alle dürften eine Genehmigung haben, mit der sie vom Verbot ausgenommen sind.
„Hier kommen jeden Tag 5500 mautpflichtige Lkw durch, wir können nicht jeden anhalten“, sagt Polizeisprecher Marcel Dilling. Vier bis fünf Lkw können sie gleichzeitig in ihrem Checkpoint am Straßenrand anhalten lassen. Wen es trifft und wen nicht, „das ist ein Stück weit Glückssache“, räumt Dilling ein.
Nabil gehört am Montag zu den Lkw-Fahrern, die eine Niete gezogen haben. In den ersten acht Stunden des Einsatzes, zwischen 6 und 14 Uhr, passierten laut Polizeiangaben 1723 Kraftfahrzeuge über 3,5 Tonnen die Kontrollstellen. Etwa ein Viertel davon (406) wurde überprüft. 83 verstießen gegen das Verbot, mehr als die Hälfte (46) kam aus dem Ausland. Hinzu kamen sechs weitere Ordnungswidrigkeiten, etwa Verstöße gegen Sozialvorschriften oder mangelhafte Ladungssicherung.