Mülheim. Anstrengend, aber zufriedenstellend wertet Mülheims OB sein Jahr 2022. Im Interview nimmt er Stellung zu Herausforderungen im neuen Jahr 2023.
Mülheim hat erneut ein Krisenjahr hinter sich. Die Corona-Pandemie, auch das Hochwasser aus dem Juli 2021 waren noch nicht bewältigt, da kam der Ukraine-Krieg mit seinen Begleiterscheinungen wie Inflation, Energie-Engpass und Flüchtlingsstrom noch hinzu. Wir sprachen mit OB Marc Buchholz (CDU) zur Lage in der Stadt und Aussichten für 2023.
Fassen Sie mal Ihr Jahr als OB in drei Sätzen zusammen!
Marc Buchholz: Mein Jahr war anstrengend, am Ende zufriedenstellend, weil wir vieles dann doch durchgebracht haben, und in der Mitte nicht ganz ohne Hoffnung.
Ist Ihre Ungeduld, die sie im Vorjahr selbst als Makel für sich beschrieben haben, gewachsen? Beim Mega-Projekt „Mülheim-West“ lässt der städtebauliche Wettbewerb auf sich warten, die von Ihnen erhoffte Bewegung am Rathausmarkt kommt frühestens 2024, in der VHS-Frage ist die Stadtspitze keinen Deut weitergekommen in dem Ansinnen, zum Frieden mit dem Bürgerentscheid zu kommen.
Zu „Mülheim West“: Ich habe die Ideenskizzen der Eigentümer schon mal sehen dürfen. Das sind nicht unsere Grundstücke. Wir wollen es ja mit den Eigentümern entwickeln. Deshalb habe ich Verständnis dafür, wenn wir ein Jahr mehr Planungszeit erbringen müssen. Mülheim-West ist ein Projekt für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Da ist dies nichts, was das Ganze ins Stocken bringt.
Gehen denn die Vorstellungen so überraschend weit auseinander, dass man jetzt um ein Jahr schieben musste?
Nein, ganz und gar nicht. Was ich da so vernehme, würde mir gut gefallen für Unternehmen, die sich dann ansiedeln wollen.
Mülheims Rathausmarkt: Laut OB Buchholz „eine verzwickte Geschichte“
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Im Interview zum vergangenen Jahreswechsel hatten Sie gesagt, dass Sie Hoffnung haben, dass sich in diesem Jahr schon was am Rathausmarkt tut.
Wir sprechen über den Kiosk. Das ist eine verzwickte Geschichte, weil am Kiosk die ganze Infrastruktur für die darunterliegende Tiefgarage hängt. Deswegen ist es nicht so einfach, jetzt schon abzureißen, um zumindest den Schandfleck dort schon mal weg zu haben.
Das ist aber keine neue Erkenntnis.
Für das nächste Jahr soll zunächst ein Kunstprojekt rund um den Kiosk laufen, bevor wir ihn dann abräumen. 50.000 Euro für den Abriss ist eine Menge Geld. Wir haben auch andere Stellen im Haushalt, wo wir 50.000 Euro gut gebrauchen können. Das Konzept aber steht: Es soll dort eine Gastronomie entstehen, die von den Fliedner-Werkstätten geführt wird. Wir haben bei Fliedner schon dafür geworben, dass der Innenausbau von Fliedner selbst kommen soll. Wenn die Politik einen Beschluss fasst und Geld für einen Bau zur Verfügung stellt, wollen wir Städtebau-Mittel beim Land abfragen.
OB zur Mülheims VHS-Frage: Die Bürgerinitiative hat immer noch nicht verstanden
Zur VHS haben Sie sich jetzt nicht geäußert.
Die Bürgerinitiative ist immer noch unterwegs, das kann ich ihr nicht verwehren. Sie hat aber immer noch nicht verstanden, dass wir diese 30 Millionen Euro plus die anschließenden Betriebskosten nicht haben und wir feststellen müssen, dass wir für das Gebäude keinen Nutzer haben. Deswegen bleibe ich bei meiner Idee, einen Investor zu finden, der es uns ermöglicht, Teile der Volkshochschule wieder an die Bergstraße zurückzubringen, wenn dort ein neues Haus geplant und gebaut werden würde. Klar ist: Wir können für die VHS nicht mehr Mietkosten aufwenden, als wir es bisher tun.
Stichwort Mülheim-West: Die Ruhrbania-Baufelder 3 und 4 zwischen Radschnellweg und Adenauer-Brücke sind ein Teil davon. Die Stadt besitzt nach dem Ankauf des AOK-Grundstücks nun die kompletten Flächen. Was tut sich da?
Verraten kann ich nichts, weil das letztlich der Politik obliegt, was mit dem Gelände passiert. Ich gehe aber davon aus, dass wir 2023 eine Entscheidung herbeiführen werden, ob und gegebenenfalls an wen das Gelände veräußert wird. Aber der Ankauf ist die Grundlage dafür, dass wir jetzt handeln können, auch wenn noch nichts im Stadtbild zu sehen ist.
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Die Parkstadt auf altem Tengelmann-Areal in Speldorf ist noch so ein Mega-Projekt. Gegen die Hochhaus-Pläne und die Planungen, dort bis zu 800 Wohnungen zu schaffen, gibt es massive Kritik insbesondere aus den umliegenden Quartieren. Welcher Kompromiss zwischen Rendite-Träumen des Investors und Bürger-Interessen schwebt Ihnen vor?
Der Siegerentwurf geht jetzt in die Überarbeitung. Ich glaube, dass wir uns in Mülheim grundsätzlich zwei Fragen beantworten müssen. Das eine ist die Frage, ob wir die Freiflächen wie am Auberg, am Fulerumer Feld, auf den Selbecker Höhen bebauen wollen. Wir brauchen Bauflächen für den Wohnungsbau. Wenn wir solche Flächen weiterhin nicht bebauen wollen, dann gibt es nur die Möglichkeit, in die Höhe zu bauen. Da kommt jetzt die zweite Frage: Was ist für uns denn In-die-Höhe-Bauen? Heißt das sechs, zwölf, 15 oder 20 Stockwerke? Das wird man für die Parkstadt diskutieren müssen.
Parkstadt Mülheim: OB will Bebauung „in deutlich weniger Massivität“
Wie sähe denn Ihre persönliche Antwort aus?
Ich bin nicht als Architekt bewandert. Aber im Entwurf, sagt mir mein Planungsdezernent, war schon erkennbar, dass es viel Kubatur war. Ich persönlich gehe davon aus, dass der überarbeitete Entwurf zwar weiterhin Hochbauten ausweisen wird, aber in deutlich weniger Massivität.
Zur Entwicklung am Flughafen: Die Jurysitzung zur Bewertung möglicher Entwicklungsszenarien hat längst stattgefunden. Warum halten Sie mit dem Ergebnis hinter dem Berg?
Ich halte nichts hinter dem Berg. Der Siegerentwurf wird nach der Jurysitzung jetzt noch mal angepasst. Sobald das vorliegt, wird es der Öffentlichkeit vorgestellt.
Für die Parkstadt ist der Siegerentwurf direkt öffentlich präsentiert worden. Ist das Flughafen-Thema dafür zu heikel?
Nein, eigentlich nicht. Aber ein Punkt ist: Gemeinsam mit Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen müssen wir schauen, wie wir das Flughafen-Thema in unseren Städten positionieren. Ich bin ja Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafen-Gesellschaft und bekomme natürlich mit, dass die Themen des Flughafens in beiden Städten unterschiedlich wahrgenommen werden.
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Die Essener stehen dem Weiterbetrieb des Flughafens deutlich skeptischer gegenüber. Wie wollen Sie das kippen?
Ich habe eine klare Positionierung. Wir haben der WDL ein Recht bis 2085 eingeräumt zum Flugbetrieb für den Zeppelin und die Nutzung der tollen Halle, die da entstanden ist. Im Interesse und im Ausgleich mit der Nachbarschaft wäre es mir ein Anliegen, den Status quo an Flugbewegungen beizubehalten. Ich will dort kein Dortmund oder Münster haben. Aber die Flugschulen dort sind für uns wichtig. Auch kann Elektrofliegen interessant werden.
OB Buchholz will sich für Fortbestand des Flughafens Essen-Mülheim einsetzen
Ende 2023: Welche Ergebnisse sehen Sie da für die Entwicklung am Flughafen?
Ich hoffe, dass wir eine Entscheidung in der Politik haben für einen Fortbestand des Flughafens mit entsprechenden Auflagen, die die Interessen der Anwohner berücksichtigen. Der Flughafen hat seine Bedeutung als Frischluftschneise und Biotop. Deswegen ist eine Bebauung dort in Gänze keine Option. Ich freue mich aber auf die wirtschaftliche Entwicklung, die wir dort jetzt sehen mit Pitstop, dem Dudoq-Gelände und dem, was die WDL dort macht. Wenn es nach mir geht, würde ich der Politik empfehlen, im nächsten Jahr dort weitere Grundstücke zu verkaufen. Mit Blick auf die 1000 bis 2000 Arbeitsplätze, die dort entstehen könnten, sollten wir uns dann auch über einen Einzelhandelsstandort für den Stadtteil unterhalten.
Die Stadt müsste selbst viel investieren. Schulsanierungen haben bei der Politik seit Jahren Priorität, für die Erweiterung von Schulen aufgrund der erwartet hohen Schülerzahlen sind noch mal Abermillionen nötig, eine halbe Milliarde Euro beträgt mittlerweile der Sanierungsstau bei den Straßen. Die Liste könnte ich fortführen. Baukosten aber sind gestiegen, die Möglichkeiten zu investieren, arg begrenzt. Ohne mal den sicher berechtigten Ruf nach einer Altschuldenlösung zu wiederholen: Wie soll es unter gegebenen Umständen weitergehen?
Den Euro, den wir haben, können wir nur einmal ausgeben. Ich bin sehr zuversichtlich: Die Stadt Mülheim kommt mit dem Geld der Bürger im Moment aus, wir müssen keine zusätzlichen Kredite aufnehmen. Ich hoffe, dass wir 2024, wenn wir aus dem Stärkungspakt kommen, über die nötigen Mittel verfügen werden, um die notwendigen Gelder für Investitionen in den Bildungsbereich, in die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.
Vallourec-Fläche: „Werden unser Vorkaufsrecht zum Grundstückswert prüfen“
Mutmaßlich auch einen satten Millionenbetrag müsste die Stadt in die Hand nehmen, um das Vallourec-Gelände per Vorkaufsrecht an sich zu reißen, um es selbst zum Wohle der Stadt zu entwickeln. Wie ist der Stand?
Nachdem das Unternehmen anfangs sehr deutlich gesagt hat, dass es bis Jahresende Transaktionssicherheit herstellen möchte, ist uns bisher nichts Weiteres zugegangen. Sollte jetzt was kommen, werden wir unser Vorkaufsrecht zum Grundstückswert prüfen. Dazu haben wir drei Monate Gelegenheit. Ich habe einen einstimmigen Beschluss aus dem Rat, dass dort auch wieder produzierendes Gewerbe und Arbeitsplätze entstehen sollen und eben keine großen Logistiker unterkommen sollen.
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Ämter der Stadtverwaltung mussten im vergangenen Jahr massenhaft ihren Service einschränken oder eingestehen, dass sie ihr Pensum unter gegebenen Umständen nicht länger leisten können. Jüngst hat der Personalratsvorsitzende der Stadt eine schwerwiegende Personalkrise angeheftet, weil viele unbesetzte Stellen unbesetzt blieben und auch Fachpersonal das Weite suche. Was ist Ihre Antwort als Dienstherr?
Dass Fachkräfte das Weite suchen, würde ich so nicht stehen lassen wollen, denn wir haben keine größere Fluktuation als andere Städte auch. Dass wir Fachkräfte gewinnen können, zeigt die Besetzung unserer Amtsleitungen im vergangenen Jahr, in dem etliche gewechselt haben. Ich will das jetzt nicht auf die Amtsleitungen beschränken: Wir konkurrieren als öffentlicher Arbeitgeber im Ballungsgebiet mit den umliegenden Städten und anderen Behörden. Bezirksregierung und Ministerien etwa haben, was die Vergütung angeht, noch mal andere Möglichkeiten. Deswegen ist die Not in den Kommunen so groß. Ich bin den Kolleginnen und Kollegen im Haus wirklich sehr dankbar, dass sie unter Corona, den unbesetzten Stellen und der Grippewelle jetzt immer noch die Fahne hochhalten. Wir sind mit dem Personalrat im Gespräch. Man muss beispielsweise schauen, ob eine Verbeamtung eine Lösung ist. Da sprechen wir aber nur über zehn, zwölf Köpfe. Das ist dann nur ein Instrument, wenn wir fast jede fünfte Stelle unbesetzt haben. Wir entwickeln weitere Ideen mit Personalrat und Fachämtern.
OB zur Flüchtlingsunterbringung: „Wir schwimmen genauso wie der Bund und das Land“
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Offensichtlich hat die Verwaltung lange keine zukunftssichere Strategie zur Flüchtlingsunterbringung entwickeln können. Erst haben Sie die Politik eine millionenschwere Container-Anmietung in Styrum beschließen lassen, dann die Idee wieder verworfen und kurze Zeit später dem Sport die Harbecke-Halle weggenommen. Auch heute scheinen Sie keine Lösung parat zu haben für die vielen Geflüchteten, die im Winter nicht nur aus der Ukraine erwartet werden.
Da ich nicht weiß, wie viele Geflüchtete kommen, kann ich diese Frage nicht beantworten. Mit der Anzahl an freien Plätzen sind wir im Moment aber nicht am Limit. Mit den zugesagten Wohnungen des Mülheimer Wohnungsbaus ab Jahresbeginn hoffe ich, dass wir keine weitere Sporthalle belegen werden müssen. Dass wir schwimmen: Ja, aber wir schwimmen genauso wie der Bund und das Land und wie alle Menschen in Europa, die nicht wissen, was der Krieg in der Ukraine macht, was die Unruhen im Iran machen. . . Wir sind in der Verpflichtung, Menschen Zuflucht zu geben. Aber genauso wichtig wie eine Willkommenskultur ist ein Rückführungsmanagement für diejenigen, die nicht als Kriegs-, sondern als Wirtschaftsflüchtlinge kommen.
500 bis 700 Flüchtlinge in Raadt: Ist die Idee des Landes, im Stadtteil mit nicht einmal 5000 Einwohnern eine Landesunterkunft einzurichten, tragfähig?
Um 500 bis 700 Menschen unterzubringen, muss man Infrastruktur schaffen, auch Begleitung. Werden die Personen zentraler untergebracht, fällt dies mitunter einfacher. Wichtig ist mir, dass die Menschen im Stadtteil regelmäßig einen Ansprechpartner auch bei uns im Rathaus haben, dass sie von mir, von der Sozialdezernentin, auch vom Planungsdezernenten Informationen bekommen, wie es weitergeht und wie lange es eigentlich weitergeht. In der Flüchtlingskrise 2015, 2016, 2017 war der größte Fehler der Öffentlichen Hand, dass man den Menschen a) nicht regelmäßig Rede und Antwort gestanden hat und b) auch keine Perspektive aufgezeigt hat. Wenn ich das mache, bekomme ich bestenfalls in Teilen eine Akzeptanz. Dann kann man Beweggründe für Kritik womöglich ein Stück weit umlenken. Eine Landeseinrichtung sehe ich nur als eine Zwischenlösung, bis die Unterkünfte auf dem Gelände der ehemaligen Stadtgärtnerei gebaut sind.
Klimanotstand: „2035 klimaneutral zu werden, ist unser Anspruch“
Was ist eigentlich Ihre Strategie zur Begegnung des Klimanotstands, der für Mülheim festgestellt ist?
2035 klimaneutral zu werden, ist unser Anspruch. Wir haben die Idee, im Ruhrbogen ein zweites Windrad und einen Solarpark zu ermöglichen. Damit könnten wir einen Stadtteil mit 5000 bis 8000 Menschen versorgen. Dann haben wir einen Großteil dessen, was die Klimaneutralität angeht, mit dieser Fläche auf den Weg gebracht neben den weiteren Verbesserungen bei Ladeinfrastruktur und Individualverkehr.
Das wird ja nicht reichen, das Ziel bis 2035 zu erreichen.
Wir brauchen eine noch stärkere Reduzierung des Wärmeverbrauchs durch Gebäudemodernisierung. Dabei liegt Mülheim bei der Gebäudesanierung bereits über dem Bundestrend. Da, wo ich an übergeordneter Stelle unterwegs bin, werbe ich allerdings dafür, dass es auch für denkmalgeschützte Häuser Lösungen geben muss. Da denke ich etwa an die Heimaterde und Solartechnik.
Wir haben jetzt über viele Stadtthemen gesprochen. Was sind Ihre drei wesentlichen Ziele für 2023?
Ich wünsche mir, dass wir im Dreiklang mit Bund und Land eine Altschuldenregelung herbeigeführt bekommen, weil es das Risiko steigender Zinsen aufzufangen gilt. Als zweites würde ich mir wünschen, dass wir den Baubeschluss für das neue Heißener Hallenbad auf den Weg bringen. Als Drittes möchte ich mir vorstellen, dass die Situation in der Welt nicht dazu führt, dass wir weiter Geflüchtete aufnehmen müssen. In keinem Interview darf der Wunsch nach Frieden fehlen.