Mülheim. Nebenan könnten bald 700 Geflüchtete untergebracht werden – das bereitet Anwohnern des geplanten Flüchtlingsheims in Mülheim-Raadt Sorgen.

  • Das Land erwägt, in einem leerstehenden Bürokomplex in Mülheim-Raadt bis zu 700 Geflüchtete unterzubringen.
  • Anwohnerinnen und Anwohner haben große Bedenken angesichts der Größe der Unterbringung.
  • Sie sehen die Infrastruktur des Stadtteils als Knackpunkt.

Die Verunsicherung ist groß im kleinen Mülheimer Stadtteil Raadt, in dessen Mitte und Nahbereich gleich zwei Flüchtlingsunterkünfte für insgesamt bis zu 1400 Menschen entstehen könnten. Anwohnerinnen und Anwohner fühlen sich von den Verantwortlichen im Stich gelassen und fordern Antworten auf ihre drängenden Fragen.

Es sind unzählige Fragen, die die Anwohner der Parsevalstraße in Raadt und der umliegenden Straßen umtreiben, seitdem bekannt wurde, dass das Land erwägt, im ehemaligen Bürokomplex der Telekom-Tochter T-Systems eine Flüchtlingsunterkunft mit Platz für 500 bis 700 Menschen einzurichten. Hinzu kommt die geplante Unterbringung der gleichen Anzahl an Menschen auf dem Areal der ehemaligen Stadtgärtnerei, rund anderthalb Kilometer entfernt.

Familien aus der Neubausiedlung in Mülheim-Raadt sprechen von „Schockreaktion“

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Sie reden über das Thema, wenn sie sich auf der Straße in ihrer Siedlung treffen, und tauschen sich in einer Whatsapp-Gruppe aus, die rund 50 Teilnehmer hat, berichten Beteiligte. Mit Blick auf die Unterbringung von Geflüchteten in dem ehemaligen Bürogebäude zwischen Zeppelin- und Parsevalstraße schildert ein Anwohner: „Die geplante Einrichtung überfordert aus unserer Sicht Infrastruktur und Anwohner in Raadt in hohem Maße.“

Manche sprechen angesichts des „gigantischen Vorhabens“ von einer „Schockreaktion in den Familien“, die durch die Planung des Flüchtlingsheims ausgelöst worden sei. Einige realisierten gerade, „wie sich die Lebensumstände in naher Zukunft ändern könnten, was 700 neue Nachbarn bedeuten könnten“, heißt es in einer E-Mail, die an diese Redaktion gerichtet wurde.

Mülheimer Anwohner haben Sorge um die Kinder, wenn Flüchtlinge nebenan wohnen

Dass diese neuen Nachbarn – Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten geflüchtet sind – Hilfe benötigen, stehe außer Frage, betonen die meisten. Doch da seien auch Bedenken, was werde, wenn Flüchtlinge direkt nebenan lebten, die Sorge um die Familie wachse, um die kleinen Kinder, die draußen spielten. Seinen Namen nennen und offen darüber sprechen, was sie befürchten, wenn nebenan Geflüchtete wohnen – das will bislang niemand.

Die neue Wohnsiedlung an der Theo-Wüllenkemper-Straße liegt direkt neben dem ehemaligen Telekom-Bürogebäude in Mülheim-Raadt, das nach ersten Überlegungen des Landes zu einer Flüchtlingsunterkunft umgebaut werden könnte.
Die neue Wohnsiedlung an der Theo-Wüllenkemper-Straße liegt direkt neben dem ehemaligen Telekom-Bürogebäude in Mülheim-Raadt, das nach ersten Überlegungen des Landes zu einer Flüchtlingsunterkunft umgebaut werden könnte. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Das Thema sei zu heikel, heißt es. Seine Meinung zu äußern, die eben auch Zweifel daran enthalte, dass ein friedliches Miteinander garantiert wäre, sei unpopulär. Eine Anwohnerin, die mit ihrer Familie in der Neubausiedlung an der Theo-Wüllenkemper-Straße lebt, antwortet per E-Mail: „Ich möchte nicht mit meinem Namen zitiert werden – traurig, aber wahr. Ich hätte auch nicht gedacht, dass es mal so weit kommt.“ Ihre Befürchtung: Sei man dagegen, werde man schnell in die rechte Ecke gesteckt. Die Mutter fragt sich: „Ist nicht das sichere Aufwachsen unserer Kinder genauso wichtig wie die menschenwürdige Unterbringung Geflüchteter? Nur lässt sich damit kein Geld verdienen.“

Mutter aus Raadt fragt: „Was sollen die Geflüchteten denn den ganzen Tag machen?“

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Es ist vor allen Dingen das Ausmaß der geplanten Unterkunft, das die Anwohner unruhig werden lässt. „Wenn dort 50 oder hundert Familien aus der Ukraine wohnen würden, hätte ich nichts dagegen“, sagt eine Raadterin am Telefon und mutmaßt: Sollten hingegen Menschen in der Landeseinrichtung untergebracht werden, die keinerlei Perspektive haben oder gar abgeschoben würden, „dann ist das eine andere Stimmung.“ Ihre Zweifel beziehen sich auch auf die Abgeschiedenheit des Stadtteils: „700 Menschen mitten im Nirgendwo verwahren? Ohne ein Amt, eine Kita oder Einzelhandel in der Nähe? Ohne Außenanlagen am Gebäude? Wo sollen die Menschen denn hin und was sollen die den ganzen Tag machen?“ Die Mutter zweier Kinder verweist zudem auf den nahe gelegenen Flughafen: „Kann der Fluglärm vielleicht bei manchen Traumata auslösen?“

Mülheimer Anwohner stören sich an hoher Anzahl von Plätzen im Flüchtlingsheim

Was viele Anwohner beschäftigt, ist die Befürchtung, dass die Stadt auf ihrem Rücken einen Deal mit dem Land geschlossen haben könnte. Fakt ist, dass Oberbürgermeister Marc Buchholz in einer Sondersitzung angekündigt hatte: „Wenn das Land die Flüchtlingseinrichtung an der Parsevalstraße installiert, kann die Hälfte der Plätze der Stadt zugerechnet werden.“ Die Stadt könnte sich einen Teil der Menschen dort anrechnen lassen, die sie aufgrund der gesetzlichen Aufnahmeverpflichtung sonst anderweitig beherbergen müsste.

Das große Bürogebäude in Mülheim-Raadt, in dem die Telekom-Tochter T-Systems untergebracht war, soll womöglich eine Landeseinrichtung zur Unterbringung von Geflüchteten werden. Lange schon stehen die rund 12.000 Quadratmeter zwischen Wohnstift Raadt und Neubausiedlung an der Theodor-Wüllenkemper-Straße leer.
Das große Bürogebäude in Mülheim-Raadt, in dem die Telekom-Tochter T-Systems untergebracht war, soll womöglich eine Landeseinrichtung zur Unterbringung von Geflüchteten werden. Lange schon stehen die rund 12.000 Quadratmeter zwischen Wohnstift Raadt und Neubausiedlung an der Theodor-Wüllenkemper-Straße leer. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Auch in Sozialen Netzwerken hat sich eine Diskussion um die Ansiedlung von Geflüchteten in Raadt entsponnen, eine Frau schreibt: „Ein Gebäude zu nutzen, welches vorhanden ist, macht Sinn. Ein Bürogebäude als Wohnunterkunft – trotzdem schwierig irgendwie, zu groß. Wenn ich dort untergebracht würde als Frau, ich hätte dort Angst in so einem Komplex. Wirtschaftlich gesehen verstehe ich Herrn Buchholz. Erst mal auch besser als eine Turnhalle.“

Bezirksregierung Düsseldorf schweigt zu offenbar noch laufenden Verhandlungen

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Noch stochern die Raadter mit ihren Fragen im Dunkeln, einzelnen hat Sozialdezernentin Daniela Grobe kurz vor Weihnachten noch schriftlich auf eine Mail voller Fragen geantwortet, erzählt ein Anwohner. Ganz zufrieden können die Ausführungen der Dezernentin die besorgten Mülheimer wohl nicht machen: Grobe signalisiere in ihrer Mail zwar Verständnis für die Verunsicherung der Anwohner, verspreche Kommunikation und Einbindung vor Ort, verweise aber auf die Zuständigkeit des Landes.

Von dort sei allerdings bislang keine Antwort gekommen, schildert der werdende Vater, der sich mit seinem Brief nicht nur an die Stadt, sondern auch an die Landesregierung gewendet hatte: „Davon bin ich schwer enttäuscht, denn ich hätte da auch die hiesigen Landtagsabgeordneten in der Pflicht gesehen.“

Entscheidung über Verkauf der Mülheimer Büroimmobilie wohl auf Januar vertagt

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Auf weitere Auskünfte aus Düsseldorf warte man aktuell nach Aussage von Stadtpressesprecher Volker Wiebels auch bei der Stadtverwaltung: „Wir können auf Detailfragen keine Antworten geben, sondern sind auf Informationen des Landes angewiesen.“ Man müsse abwarten, was genau das Land plane.

Auf Nachfrage erklärte eine Sprecherin der Düsseldorfer Bezirksregierung auch am Mittwoch, dass es zu einer möglichen Landeseinrichtung in Raadt keinen neuen Sachstand zu berichten gebe. Die Düsseldorfer Behörde hat bislang noch nicht einmal Verhandlungen mit dem Eigentümer der Leerstandsimmobilie oder einem potenziellen Käufer für sie bestätigt. Der Redaktion liegt aus informierten Kreisen die (allerdings unbestätigte) Information vor, dass eine Entscheidung über den Verkauf der Büroimmobilie auf die Zeit nach den Weihnachtsferien vertagt ist. (mit sto)