Mülheim. Ihr Lohn, den sie mit putzen verdient, ernährt die Familie nicht. Daher stockt die Mülheimerin mit Sozialleistungen auf. Was das im Alltag heißt.

  • Die Mülheimerin Andrea Schink verdient ihr Geld seit über zehn Jahren mit putzen.
  • Ihr Gehalt aber ist nicht ausreichend, um ihre Familie zu ernähren, sagt die Alleinerziehende.
  • Als Aufstockerin bezieht sie daher zusätzliche Sozialleistungen, um über die Runden zu kommen.

Sie geht arbeiten, ihr Leben lang schon, putzt, um sich und ihre Familie über Wasser zu halten. Was sie mit ihrem Job erwirtschaftet, reicht allerdings hinten und vorne nicht – erst recht nicht mehr, seit die Lebenshaltungskosten explodieren. Menschen wie ihr, bedürftigen Mülheimerinnen und Mülheimern, wollen wir mit unserer Benefiz-Aktion Jolanthe helfen und sammeln Spenden. Wie Andrea Schink als Aufstockerin über die Runden kommen muss.

Einen Tannenbaum gab’s nicht an Weihnachten, Geschenke für die beiden Kinder auch nicht. „Aber die sind ja inzwischen auch erwachsen“, beinahe klingt es entschuldigend, wenn Andrea Schink das sagt. Natürlich hätte sie ihrem Sohn und ihrer Tochter gern eine Kleinigkeit geschenkt. Dieses Jahr aber war das nicht drin, alles ist so teuer geworden. Solange sie denken kann, muss sie jeden Cent umdrehen, erzählt die 59-Jährige. Der Vater ihrer Kinder ging, als die Tochter vier Monate alt war. „Da habe ich gelernt, die Ellenbogen auszufahren und mit wenig zurechtzukommen“, schildert die Dümptenerin. „Wenn man Kinder hat, darf man sich nicht hängenlassen“, lautet ihre Überzeugung.

Mülheimerin, die ihr ihr Gehalt mit Sozialleistungen aufstockt, handelt pragmatisch

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Andrea Schink ist keine, die den Kopf in den Sand steckt, das klingt im Gespräch mit ihr schnell durch. Im Gegenteil, wie Gabi Spitmann, Beraterin im Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz), weiß, die Andrea Schink seit Jahren immer mal wieder berät, wenn es besonders eng wird. „Frau Schink ist eine Kämpferin, war immer hart gegen sich selbst.“ Was auch bedeutet, dass die Mutter oftmals zurückgesteckt hat, damit genug für ihre Kinder da ist. Mitleid will die 59-Jährige dafür nicht, sie packt das Leben eben pragmatisch an.

Gabi Spitmann, Beraterin im Mülheimer Arbeitslosenzentrum Malz, berät Aufstockerin Andrea Schink, die nicht erkannt werden möchte, schon seit Jahren, weil sie mit ihrem Job in der Gebäudereinigung nicht genug verdient, um sich und ihre Familie zu ernähren.
Gabi Spitmann, Beraterin im Mülheimer Arbeitslosenzentrum Malz, berät Aufstockerin Andrea Schink, die nicht erkannt werden möchte, schon seit Jahren, weil sie mit ihrem Job in der Gebäudereinigung nicht genug verdient, um sich und ihre Familie zu ernähren. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Gearbeitet habe sie immer, die Tochter als Baby einfach mitgenommen, als sie im Callcenter tätig war. „Meine Jobs waren immer versicherungspflichtig und auf Steuerkarte, das war mir immer wichtig“, betont sie. Heute arbeitet die gelernte Textilverkäuferin, wie schon seit über zehn Jahren, in der Gebäudereinigung. Ein Knochenjob, den sie nicht nur in ihrer künstlichen Hüfte spürt. Manchen gilt das Putzen auch als Stigma, hat Andrea Schink mehr als ein Mal erfahren: „Bekannte fragen manchmal, kannst du nicht was anderes machen als bloß putzen zu gehen? Dann sage ich: Klar könnte ich, aber so komme ich zurecht, und einen anderen Job, den muss man auch erstmal finden.“ Ihr sei egal, womit sie Geld verdiene: „Ich würde auch mit der Zange Müll aufsammeln.“ Allein, zum Leben, gerade mit Kindern im Haushalt, hat es nie gereicht. Andrea Schink ist auf zusätzliche Sozialleistungen angewiesen, gilt als Aufstockerin. Nur vom Amt leben, das wollte sie nie, sondern ihren Kindern auch ein Vorbild sein.

Elf Jahre lang beim selben Arbeitgeber, dann wurde Mülheimerin outgesourct

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Elf Jahre war sie zuletzt bei einem Arbeitgeber angestellt, dann wurde ihre Abteilung outgesourct. „Mit den Bedingungen in der neuen Firma war ich nicht einverstanden, da habe ich mir einen neuen Arbeitgeber gesucht“, schildert Andrea Schink vehement. Die Malz-Beraterin kann vor diesem Optimismus nur den Hut zeihen: „Zwei Jobverluste, zumal in diesem Alter, steckt nicht jeder so gut weg. Und im Anschluss direkt immer neue Verträge zu haben, das ist nicht selbstverständlich.“ Andrea Schink weiß sich durchzusetzen, sagt ganz lösungsorientiert: „Wenn eine Tür zugeht, mache ich eine neue Tür auf.“

Zurzeit arbeitet sie 25 Stunden in der Woche, putzt Objekte in Essen, Gelsenkirchen und Bottrop. „Längst würde ich in Vollzeit arbeiten, seit die Kinder größer sind, aber das hat die Firma nicht mitgemacht“, erzählt die Dümptenerin. „Vollzeitstellen sind in der Gebäudereinigung kaum zu kriegen“, ordnet Malz-Beraterin Spitmann ein. „Zuletzt habe ich 108 Euro Wohngeld bekommen, das muss wegen des Jobwechsels nun neu berechnet werden“, schildert Schink. Wann sie mit der neuen Summe rechnen kann, steht in den Sternen. „Die Bearbeitung solch eines Antrags dauert schonmal mehrere Monate“, weiß Spitmann.

Tochter bekommt Bafög, die Mutter hat Kinderzuschlag beantragt

Zusätzlich hat die Aufstockerin nun Kinderzuschlag beantragt, ihre volljährige Tochter lebt noch zu Hause, macht eine schulische Ausbildung zur Erzieherin. „Das Verfahren für den Kinderzuschlag läuft seit September, ohne dass ich etwas gehört habe. Da erreicht man auch keinen.“ Ihre Tochter bekommt Bafög. „Das fließt in die Berechnung ein, davon kann sie keine großen Sprünge machen“, verdeutlicht die zweifache Mutter, die weiß: „Meine Tochter ist sehr sparsam und kauft sehr bewusst.“ Die 21-Jährige hat es nicht anders gelernt, ist mit wenig Geld aufgewachsen. „Als sie kleiner war, hat sie schon mal gesagt: Mama, ich möchte auch gerne mal in Urlaub fahren. Dann hab ich gesagt: Das möchte ich auch, aber das geht nicht. Ich bin ja froh, wenn der Kühlschrank voll ist.“ Das gilt bis heute bei den Schinks.

Wenn das Geld knapp wird, lässt die Mülheimer Aufstockerin das Auto, das sie für ihren Putzjob braucht, stehen und erledigt Einkäufe zu Fuß (Symbolbild).
Wenn das Geld knapp wird, lässt die Mülheimer Aufstockerin das Auto, das sie für ihren Putzjob braucht, stehen und erledigt Einkäufe zu Fuß (Symbolbild). © dpa | Arne Dedert

Wenn ihr Gehalt kommt, dann zahle sie erstmal das Wichtigste, sagt Andrea Schink. Zwischen 700 und 800 Euro netto hat sie dann zur Verfügung, je nachdem, für wie viele Stunden ihr Arbeitgeber sie wirklich eingesetzt hat. Zusätzlich kommt Geld vom Amt, das stockt den Betrag auf bis zum Existenzminimum – „Ich hab das, was mir gesetzlich zusteht.“ Die Miete geht zuerst weg, rund 650 Euro, der Vermieter hat die Nebenkosten für die Heizung längst angehoben, beinahe verdoppelt. „Gas für warmes Wasser muss ich noch separat zahlen.“ Klamotten bekommt sie von der netten Nachbarin oder sucht sich etwas in der Kleiderkammer aus. „Ich bin keine Frau, die teure Kosmetik braucht.“

Mülheimer Aufstockerin muss sparsam leben und muss wohl bis zur Rente putzen gehen

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Andrea Schink ist mit ihren zusätzlichen Sozialleistungen kein Einzelfall im Mülheimer Arbeitslosenzentrum. „Die meisten, die zu uns kommen, sind Aufstocker“, ordnet Spitmann ein. Alle mussten vorher schon aufs Geld achten, jetzt aber müssen sie jeden Cent drei Mal umdrehen. Im Supermarkt gehe sie in Gedanken immer ihre Vorräte durch: „Ist vielleicht noch was eingefroren? Dann kaufe ich das ein oder andere noch dazu – man muss eben arrangieren.“ Der Einkaufswagen ist längst nicht mehr voll, natürlich greife sie zu Angeboten. Wozu denn sonst?

Die Preisexplosionen an allen Ecken scheinen Andrea Schink nicht sonderlich zu schockieren, sich einzuschränken, daran ist sie gewöhnt, der Normalfall. Bis sie in Rente gehen kann, wird sie wohl putzen gehen. Geld zurücklegen für Notfälle, sparen fürs Alter? „Das ist nicht drin.“

Unsere diesjährige Jolanthe-Benefiz-Aktion kommt in Zusammenarbeit mit dem Mülheimer Arbeitslosenzentrum (Malz) bedürftigen Mülheimerinnen und Mülheimern zugute, die beim Malz in der Beratung sind und deren Hilfsbedürftigkeit bekannt ist. Unser Jolanthe-Konto: DE05 3625 0000 0175 0342 77, Sparkasse Mülheim.