Mülheim. Mülheim plant nicht länger mit einem riesigen Containerdorf für Flüchtlinge aus der Ukraine. Warum der Millionen-Deal doch noch geplatzt ist.
Die Stadt nimmt Abstand davon, den von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung geräumten Standort an der Dümptener Straße für einen jährlichen Millionenaufwand zu übernehmen. Die Container-Hochschule war ursprünglich für die Unterbringung von Flüchtlingen aus der Ukraine angedacht. Für eine solche Großlösung sieht die Verwaltung derzeit aber keine Notwendigkeit mehr.
Erst Ende April hatte der Stadtrat der Verwaltung das Mandat zu Mietverhandlungen für die Nachnutzung der Container-Hochschule in Styrum erteilt, die ursprünglich 2012 errichtet worden war für die Hochschule Ruhr-West, so lange deren Campus in Broich noch nicht gebaut war. Angesichts der Flüchtlingszahlen aus der Ukraine, die seinerzeit täglich zweistellig waren, hatte die Verwaltung die Notwendigkeit gesehen, die Kapazität für die Flüchtlingsunterbringung deutlich zu erhöhen.
In Mülheim-Styrum soll Platz geschaffen werden für bis zu 800 Geflüchtete
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Die Stadt wollte die zu sechs Gebäudeeinheiten zusammengebauten 543 Container in Styrum anmieten, um dort bei Bedarf rund 800 Geflüchteten ein Dach über dem Kopf bieten zu können. Dies sollte verhindern, womöglich für eine längere Dauer Turnhallen als Notunterkünfte in Beschlag nehmen zu müssen, wenn der Flüchtlingsstrom aus der Ukraine nicht abebben würde.
Zur Erinnerung: Die Stadt war seinerzeit in der Einschätzung zu den Flüchtlingsbewegungen auf sich allein gestellt. Weder lagen Prognosen von Bund oder Land vor noch gab es eine geordnete Registrierung und Verteilung der Flüchtlinge. Die eigenen Flüchtlingsunterkünfte näherten sich der Vollauslastung; die Stadt bereitete schon die Harbecke-Halle als Notunterkunft vor. „Wir waren an einem Punkt, wo wir tatsächlich nur noch zwei freie Plätze hatten“, erinnert sich Sozialdezernentin und Ukraine-Krisenstabsleiterin Daniela Grobe.
Mietpreis von 22 Euro pro Quadratmeter und Monat war aufgerufen
Es war ein kostenträchtiger Schritt, den Mülheims Politik mit großer Mehrheit Ende April zu gehen bereit war: Die Anmietung der Container-Hochschule ab September sollte die Unterbringungsnot auf einen Schlag lindern und Turnhallen freihalten für Sportvereine und Schulen. Kalkuliert waren dabei nicht nur Umbaukosten von 800.000 Euro.
Das örtliche Immobilienunternehmen Imoba, das den Container-Standort betreibt, hatte einen Mietpreis von 22 Euro pro Quadratmeter und Monat aufgerufen – eine stolze Summe angesichts der Tatsache, dass sich die Container-Investition an Ort und Stelle schon mit der HRW als erster Mieterin gerechnet haben dürfte. Die Stadtverwaltung verwies zur Rechtfertigung eines angestrebten fünfjährigen Mietvertrages (mit einer zweimaligen Option zur Verlängerung des Vertrags um je ein Jahr) auf alternative Angebote, um schnell Container anzumieten. Die lagen noch weitaus höher – ein Anbieter hatte gar 124 Euro gefordert, ohne dass die Container schon aufgestellt und an Versorgungsleitungen angeschlossen worden wären.
Durch den Verzicht auf Anmietung spart Mülheim jährlich 4,5 Millionen Euro
Jährlich 4,5 Millionen Euro Miet- und Betriebskosten waren kalkuliert. Die will sich die Stadt nun sparen. Kämmerer Frank Mendack holte sich dafür am Dienstag das Einverständnis der Politik im Hauptausschusses des Stadtrates ein, der Stadtrat soll dies nun noch bestätigen. Dass dies überhaupt noch möglich ist, liegt daran, dass offenbar noch kein unterschriftsreifer Vertrag seitens Imoba vorlag. Die Immobilienfirma kann nicht eigenständig agieren. Sie musste für ein endgültiges Angebot Einvernehmen auch mit der Flächeneigentümerin Aurelis und dem Container-Vermieter Fagsi erzielen.
Die Verhandlungsposition der Stadt sei jedenfalls klar gewesen, so Kämmerer Mendack: Die Stadt habe keinen Euro mehr ausgeben wollen als anfangs aufgerufen. Nun aber haben die offensichtlichen Verzögerungen bei den Vertragsverhandlungen bei der Stadtverwaltung die Einschätzung reifen lassen, auf die Risikovorsorge in Sachen Flüchtlingsunterbringung verzichten zu können.
Aktuell sind 1501 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer in Mülheim erfasst
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Derzeit seien in Mülheim 1501 Geflüchtete aus der Ukraine erfasst, darunter 530 Minderjährige, stellt Sozialdezernentin Grobe aktuell kaum bis keine Bewegung bei den Flüchtlingszahlen fest. Es gebe täglich nur wenige Neuerfassungen. In der Aufrechnung mit den Geflüchteten, die Mülheim wieder verlassen, sei kein Zuwachs zu erkennen.
Gleichzeitig nehme die Notwendigkeit ab, Geflüchtete im Dorf auf dem Saarner Kirmesplatz unterzubringen, weil sie zunehmend dezentral in Wohnungen untergebracht werden könnten, die unter anderem die Wohnungsbaugesellschaft SWB zur Verfügung stelle. 30 Wohnungen seien so schon vermittelt worden, weitere 30 SWB-Wohnungen für 120 Menschen seien in Kürze bezugsfertig. Und noch mal 15 bis 20 Wohnungen seien darüber hinaus bald zu nutzen.
Stadt Mülheim will nun anderweitig für den Notfall planen
So wird die Zahl der Menschen im Flüchtlingsdorf Saarn (aktuell 306 bei einer Kapazität von rund 360) absehbar sinken, so dass dort auch Platz wäre für jene 200 Menschen aus allen Nationen, zu deren Unterbringung die Stadt gesetzlich verpflichtet wäre. Wenn das Land diese Menschen überhaupt den Städten zuweise, so Grobe mit Verweis darauf, dass das Land in eigenen Einrichtungen selbst noch Platz für 15.000 Menschen habe.
Was aber, wenn die Flüchtlingszahlen doch wieder stark zunehmen? Mendack und Grobe wissen, dass jeder Versuch einer Prognose einem Blick in die Glaskugel gleichkäme. Vorbereitet sein will die Stadt aber doch. Anfang Juli will Grobe mit dem Baudezernat und dem Immobilienservice schauen, welche weiteren Wohnungen zu reaktivieren wären. Kämmerer Mendack will zudem noch mal neu eruieren, auf welchen städtischen Grundstücken bei Bedarf zügig Unterkünfte geschaffen werden könnten. Eine solche Vorratsflächenpolitik war die Stadt auch als Reaktion auf die Flüchtlingskrise 2015/16 gefahren.
Schulerweiterungen: Stadt will nun Container kaufen
Kämmerer Mendack hat nach eigener Auskunft Imoba am Mittwochmorgen darüber informiert, dass eine Anmietung der Container-Hochschule für die Stadt nicht mehr infrage kommt. Gleichzeitig habe er dem Unternehmen aber signalisiert, dass die Stadt sehr wohl an dem Kauf zahlreicher Container interessiert sei.
Das hat seinen Grund in der Planung zur Erweiterung von Schulen.Es gilt innerhalb weniger Jahre wegen der gestiegenen Schülerzahlen mehr Schulraum zu schaffen. Mendack rechnet grob mit einem Container-Bedarf, der einem Drittel bis zur Hälfte der 543 Container in Styrum entspricht. Diese könnten dann dauerhaft verbaut oder nur als Interimslösung aufgestellt werden – je nach dem Ausbaubedarf, den der Stadtrat im Rahmen der Bildungsentwicklungsplanung feststelle.