Mülheim. Vor zwei Jahren warnte eine Klimatologin noch eindringlich vor großen Bau-Fantasien am Flughafen Essen-Mülheim. Jetzt ist plötzlich alles anders.

Nach mehrfach erfolglosem Drängen hat Mülheims Stadtverwaltung dieser Redaktion nun die neuen Gutachten zur Verfügung gestellt zur Masterplanung, auf dem Areal des Flughafens Essen-Mülheim ein neues Stadtquartier mit bis zu 7000 neuen Bewohnern und 2000 Arbeitsplätzen durch neues Gewerbe entstehen zu lassen. Insbesondere das Fazit des Klimagutachtens überrascht.

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Im Planungsausschuss hatte Mülheims Baudezernent Peter Vermeulen zum aktuellen Stand des Masterplan-Prozesses informiert, der Ende 2021 abgeschlossen sein soll. Dabei hatte Mülheims Verwaltung zwar verkündet, dass die nötigen Gutachten (Entwässerung, Klima, Mobilität, Wirtschaft) vorlägen, es aber bei einer äußerst knappen Zusammenfassung der Ergebnisse belassen. Die Politik insistierte nicht. Die Gutachten sollen laut Mülheims Stadtverwaltung erst Anfang des neuen Jahres in einer gemeinsamen Sitzung der Planungsausschüsse Essen und Mülheim zur Debatte stehen.

Mülheims Verwaltung hatte bislang nur Mini-Fazit zu Gutachten veröffentlicht

Hellhörig gemacht hatte insbesondere das, was Mülheims Planungsamt als Zusammenfassung des neuen Klimagutachtens präsentiert hatte. Da hieß es, „dass durch die Entwicklung des Flughafenareals keine signifikanten Beeinträchtigungen der klimaökologischen Situation zu erwarten sind“.

So sehen die Ideenskizzen für eine Bebauung am Flughafen aus, die Politiker und Verwaltungsmitarbeiter aus Essen und Mülheim vor rund zwei Jahren angefertigt haben.
So sehen die Ideenskizzen für eine Bebauung am Flughafen aus, die Politiker und Verwaltungsmitarbeiter aus Essen und Mülheim vor rund zwei Jahren angefertigt haben. © WNM | FFS

Weder habe eine großflächige Bebauung negative Auswirkungen auf die Kaltluftzufuhr zur Mülheimer Innenstadt noch „auf die thermisch belasteten Stadtstrukturen Essens“. Das Gutachten liefere lediglich wichtige Hinweise auf eine klimaoptimierte Bebauungsstruktur, die Teilnehmern des angepeilten städtebaulichen Wettbewerbs zur Vorgabe gemacht werden sollten.

Neues Gutachten steht im Widerspruch zu Aussagen einer Bochumer Klimatologin

Tatsächlich ist der Kern des Gutachtens in dieser Form treffend zusammengefasst. Die Kernaussage überrascht indes umso mehr, als dass Klimatologin Monika Steinrücke, die mit ihrer Bochumer Gesellschaft „K.Plan“ seit Jahren das Mülheimer Klima erforscht, noch im Oktober 2018 Mülheims Planungspolitik eindringlich gewarnt hatte vor allzu ausufernden Bau-Fantasien auf Flughafen-Grund.

Die drei Werkstatt-Skizzen

Szenario 1: Je ein Drittel des Areals wird für Wohnen, Gewerbe und Natur genutzt, der Flughafenbetrieb 2034 eingestellt. Um die heutige Landebahn, die als grüne Schneise mit zentralem Quartiersplatz dienen soll, sollen Wohnraum für rund 7000 neue Menschen und 2000 Arbeitsplätze geschaffen werden.

Szenario 2: Eine Entwicklung mit Flughafenbetrieb über das Jahr 2034 hinaus. Der Flughafen soll sich auf kleinerer Fläche im Nordosten des Areals konzentrieren, von Nord nach Süd ist eine gestaffelte Bebauung angedacht – mit kleinteiliger Bebauung am Rande von Raadt sowie größeren Wohn- und Gewerbebauten im Süden des Areals.

Szenario 3: Eine Entwicklung, die das Grün in den Mittelpunkt stellt. Drei Bauabschnitte nördlich der heutigen Landebahn soll es geben, von grünen Freiräumen umsäumt und von Süd nach Nord auffächernd. Maximal 40 Prozent der Fläche sollen demnach bebaut werden.

Steinrücke hatte insbesondere eine Brisanz gesehen für eine Bebauung von 30 Hektar Fläche im Nordosten des Areals, das zum Essener Stadtgebiet zählt. Die dort entstehende Kaltluft fließe komplett ins Rumbachtal und die Randbereiche der Innenstadt, so Steinrücke seinerzeit. Es gingen laut Berechnung 36 Millionen Kubikmeter Kaltluft (5,6 Prozent) für die Frischluftströmung verloren.

Errechneter Verlust an Frischluft für das Rumbachtal: nur zwei Prozent

Nein, dem sei nicht so, stellt nun das neu beauftragte Gutachten von Geo-Net Umweltconsulting (Hannover) fest. Es geht - bei „leicht geändertem Untersuchungsansatz“ – lediglich von einem Frischluft-Verlust für die Schneise durch das Rumbachtal von maximal zwei Prozent aus. Weder werde die in einem Werkstattprozess skizzierte Bebauung relevante negative Auswirkungen auf die Frischluftzufuhr in Mülheims Innenstadt haben noch auf Teile Essens wie Haarzopf und die Margarethenhöhe, die auch im Einflussbereich des Flughafen-Hochplateaus zu verorten sind. Für Mülheims Rumbachtal sei lediglich festzustellen: Wenn am Flughafen gebaut werde, seien Freiflächen im Tal noch entschiedener zu schützen.

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Politiker und Verwaltungsmitarbeiter aus den Städten Mülheim und Essen hatten zusammen mit Planern Anfang 2018 drei Entwicklungsszenarien für eine Flughafen-Bebauung aufgezeigt. In der Spitze sollte der Ortsteil Raadt um bis zu 7000 Bewohner und 2000 Arbeitsplätze wachsen. Auch für eine solche Aufteilung des 140 Hektar großen Areals in je ein Drittel Wohnen, Gewerbe und Freiraum sehen die Gutachter aus klimaökologischer Sicht keine Veranlassung für ein Veto. Alle drei Ideenskizzen seien realisierbar.

Gutachter empfehlen Bebauung, die sich am Luftstrom orientiert

Die Gutachter empfehlen aber klimaökologische Maßnahmen auf dem Flughafen-Areal selbst, um dort die Durchlüftung zu fördern und eine Überwärmung zu verhindern. So könnten etwa Grünachsen und Gebäude an den Luftströmen orientiert angeordnet werden, sollten Gebäude begrünt, möglichst wenig versiegelt und Plätze und Wege verschattet werden.

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