Duisburg. Vor einem Jahr meldete die Stadt Duisburgs 1. Corona-Fall. Wie Verwaltung, Feuerwehr und Stadtspitze seither kämpfen, was gut lief und was nicht.

Drei Monate brauchte das neuartige Coronavirus, um von der chinesischen Provinzhauptstadt Wuhan in deren deutsche Partnerstadt Duisburg zu gelangen: Am 29. Februar 2020 bestätigte ein Labor die erste Infektion einer Duisburgerin mit SARS-CoV-2. In den folgenden 365 Tagen zählte das Gesundheitsamt unter den knapp 500.000 Duisburgern über 19.100 positive Corona-Tests und 518 Todesopfer. In den Krankenhäusern der Stadt wurden mehr als 2000 Infizierte stationär behandelt, während des Teil-Lockdown mussten bis zu 2501 Betriebe gleichzeitig Kurzarbeit anmelden. Die wichtigsten Maßnahmen werden auf Bundes- und Landesebene beschlossen, die Kommunen aber müssen einen Großteil davon umsetzen. Die Duisburger Stadtverwaltung hatte es dabei – als klamme Haushaltssicherungskommune im größten Dauer-Hotspot Nordrhein-Westfalens – besonders schwer. Über ihren Kampf in der Krise berichten wir seit einem Jahr. Was gut lief und was nicht – eine meinungsbetonte Stärken-Schwächen-Analyse kritischer Beobachter:

Corona in Duisburg: Achillesferse Gesundheitsamt

Die Gesundheitsämter sollen das Rückgrat der Pandemiebekämpfung sein – die Duisburger Behörde aber war zunächst eine Schwachstelle an der Front. Wie in fast allen Gesundheitsämtern fehlte Personal zur so entscheidenden Kontaktpersonennachverfolgung. Probleme mit einem Labor, schlechte Erreichbarkeit, Inkonsequenzen bei Tests und Kontaktverfolgung: Die Überforderung war groß.

Auf eine solche Ausnahmesituation konnte sich das unterbesetzte Gesundheitsamt nicht vorbereiten. Es enttäuscht dennoch, dass die selbst ernannte „Smart City Duisburg“ auch hier ihrem Anspruch einer digitalen Verwaltung nicht gerecht wurde. Die ersten Corona-Fälle wurden in Excel-Tabellen erfasst, obwohl die Software „SORMAS“ des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung seit 2016 kostenlos zur Verfügung steht. Mit „SORMAS“, das wohl Pflicht auch in NRW wird, arbeitet Duisburg (wie die meisten anderen Städte und Kreise) weiter nicht, stattdessen mit einer eigens entwickelten Datenbank. Das erschwert den Austausch mit anderen Städten.

Eine Stärke der Stadt: Sie ließ früh intensiv und gezielt testen. Im Bild: Die Feuerwehrleute Markus Jendryck (links) und Christian Engels nehmen einen Abstrich.
Eine Stärke der Stadt: Sie ließ früh intensiv und gezielt testen. Im Bild: Die Feuerwehrleute Markus Jendryck (links) und Christian Engels nehmen einen Abstrich. © Stadt Duisburg | Uwe Köppen

Mit den ersten Corona-Erfahrungen und dem neuen Leiter Ludwig Hoeren hat sich das Amt anscheinend verbessert. Ein Indiz: Unsere Redaktion erreichen weniger Bürger-Beschwerden. Auf die Personalnot reagierte die Stadt kurzfristig mit Aushilfen, langfristig mit der Aufstockung des Personaletats. Dennoch wäre das Callcenter bei der Kontaktverfolgung in der zweiten Welle ohne 30 Bundeswehrsoldaten vollends untergegangen.

Anerkennung verdient der außerordentliche Einsatz des unter Hoch- und Dauerdruck stehenden Teams, das sich sieben Tage die Woche, oft bis in die Nacht gegen das Virus stemmt. Träger der Altenpflege loben das Amt und Amtsärzte, etwa für die Organisation der Impfungen.

Corona-Tests: Gute Noten für Strategie und Fleiß

Als vorbildlich stufen die Heime den Duisburger Alleingang vor Weihnachten ein: Die Stadt wartete wegen der vielen Todesfälle nicht noch länger, nicht auf das Landesgesundheitsministerium, und baute zum Schutz der Seniorenheimbewohner elf Schnelltest-Stationen auf, forderte für die Testungen der Besucher die Hilfsorganisationen an. Später beauftragte sie Vertragspartner.

Für ihre Test-Strategie haben sich Verwaltung und Feuerwehr ohnehin gute Noten verdient: Bei den Reihentestungen der „vulnerablen Gruppen“ in Gemeinschaftsunterkünften, den mobilen Testteams und den Drive-in-Testzentren ging Duisburg beherzt voran. Vergleiche zwischen Städten sind kaum möglich, allein schon wegen der unterschiedlichen Befallsraten. Der Eindruck: Die Stadt testet(e) fleißiger als andere.

Bis heute zählte sie 160.000 Corona-Tests außerhalb von Arztpraxen und Kliniken. Sie haben geholfen, die Dunkelziffer zu verringern und Infektionsketten zu unterbrechen.

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Feuerwehr setzt bundesweit Maßstäbe

Auch die Testungen hat die Feuerwehr Duisburg mit vorangetrieben. Auf sie und die 700 aktiven freiwilligen Feuerwehrleute konnte sich Duisburg verlassen. Sie war nicht nur Herr der längsten Lage, sondern hat – auch dank starker Logistik-Partner im Hafen – Maßstäbe gesetzt und bundesweit Anerkennung erfahren. Dank kreativer Desinfektionsmittelproduktion konnten die Duisburger etwa andere Kommunen mitversorgen, später orderte sogar der Bund in Duisburg 1,5 Millionen Liter.

Feuerwehr-Chef Oliver Tittmann (links) und Oberbürgermeister Sören Link im Impfzentrum, das die Feuerwehr in Rekordzeit betriebsbereit meldete.
Feuerwehr-Chef Oliver Tittmann (links) und Oberbürgermeister Sören Link im Impfzentrum, das die Feuerwehr in Rekordzeit betriebsbereit meldete. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Der Feuerwehr-Führungsstab um den Leitenden Branddirektor Oliver Tittmann gab beim Duisburger Krisenmanagement zunehmend die Richtung vor. Über ihren „Spontanhelfer“-Aufruf konnte die Feuerwehr hunderte Bürger mobilisieren, die Zehntausende Behelfsmasken nähten. Die ersten Drive-in-Teststraßen, die Testzentren in Arena, Glückauf-Halle und schließlich im Theater am Marientor (TaM) brachte die Truppe jeweils in Rekordzeit an den Start, zuletzt das Impfzentrum im TaM.

Von der Routine und der Durchschlagskraft der Wehr profitiert in Duisburg auch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNR). Zwar ist das Impfzentrum im TaM wegen des allgemeinen Impfstoffmangels längst nicht ausgelastet, die beinahe schon begeisterten Reaktionen Geimpfter nach der Betreuung im TaM sind dennoch ungewöhnlich.

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Ein Wermutstropfen: Der Zusammenhalt im #TeamDuisburg hat gelitten. Im Frühjahr wäre der Betrieb der Testzentren ohne die Hilfsorganisationen (Rotes Kreuz, Johanniter, Malteser, THW, DLRG und Ambulante Erstversorgung) nicht möglich gewesen. Die Kosten und Geldsorgen der ehrenamtlichen Katastrophenschützer belasten das Miteinander. Dabei zeigt das „Tübinger Modell“, dass sie einen Unterschied machen können: Den erfolgreichen Schutz der Älteren verdankt Tübingen vor allem den flächendeckenden Schnelltests, die DRK-Präsidentin Dr. Lisa Federle durchgesetzt hat.

Zuständigkeiten: Schnittstellen-Probleme mit Folgen

Die Unstimmigkeiten mit den Hilfsorganisationen sind ein Beispiel für Probleme bei der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen. Dass es zwischen Kassenärztlicher Vereinigung Nordrhein (KVNO) und der Stadtverwaltung hakt, bekamen im Sommer etwa die Reiserückkehrer zu spüren, die vor dem TaM in der Hitze Schlange standen und sogar abgewiesen wurden, bis auch die KV ihre Testkapazitäten erhöhte. Mit deren Versagen bei der Impfterminvergabe hat die Stadt gar nichts zu tun.

Solche Schnittstellen-Probleme führten im Falle der städtischen Freibäder zu einer fahrlässigen Blamage. Die Verwaltung und DuisburgSport als Badbetreiber der „Smart City“ schafften nicht, was im Corona-Sommer für andere Kommunen und Trägervereine schnell und einfach war: Tickets mit Hilfe externer Anbieter online zu verkaufen und so Warteschlangen an den Kassen zu verhindern. Die Stadt mutete Duisburgern wegen der Zutrittsbeschränkungen stundenlange Ungewissheit zu und riskierte Ansteckungen. Erst am Ende des Sommers konnte man auch für Homberg und Walsum Tickets online buchen.

Über 200 Corona-Skeptiker und Impfgegner konnten am 19. Oktober ohne Folgen gegen Corona-Schutzauflagen verstoßen. Polizei und Ordnungsamt griffen nicht ein.
Über 200 Corona-Skeptiker und Impfgegner konnten am 19. Oktober ohne Folgen gegen Corona-Schutzauflagen verstoßen. Polizei und Ordnungsamt griffen nicht ein. © WAZ | Martin Schroers

Fehlende Abstimmung zwischen Stadt und Polizei hatte im Oktober fatale Folgen: Bei einer Kundgebung des Corona-Scharlatans Boris Schiffmann konnten über 200 Wohlstandsegoisten Corona-Regeln brechen und die Gesundheit der Mehrheit gefährden: im Risikogebiet, vor dem Rathaus. Andernorts hatte die Polizei die Demonstrationen beendet, in Duisburg waren Polizei und Ordnungsamt unterrepräsentiert. Die allein gelassenen Einsatzkräfte griffen nicht mal verbal ein, am Tag darauf folgte ein Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Polizei- und Stadtpressestelle.

Die Ordnungspartner lernten daraus: Einen Monat später bestätigte das Oberverwaltungsgericht ein von der Stadt verfügtes Verbot einer großen Skeptiker-Kundgebung. Als sich dennoch etwa 70 „Querdenker“ versammelten, griff die Polizei schnell ein. Wie wichtig es ist, dass Polizei und Ordnungsamt an einem Strang ziehen, war im Herbst in Marxloh zu sehen. Dort setzte die Polizei die Maskenpflicht mit großem Aufgebot durch.

Für Verwirrung sorgten Gesundheitsministerium und Stadt Mitte Dezember auch mit einem Formulierungspatzer in der für Duisburg verschärften Kontaktbeschränkung. Ein offenbar von Meinungsverschiedenheiten und Hektik geprägter Austausch zwischen Düsseldorf und Duisburg endete mit einer missverständlich und auch noch lückenhaft formulierten Verfügung. Das verunsichert zusätzlich und vollkommen unnötig.

Duisburgs Ordnungsamt ist NRW-Spitze

Das Ordnungsamt steht ebenfalls unter Dauerdruck. Überstunden sind an der Tagesordnung, die Amtsleitung verhängte zeitweise eine Urlaubssperre. Dennoch können die täglich 50 Mitarbeiter auf der Straße nicht überall gleichzeitig kontrollieren. Der Städtische Außendienst (SAD) wurde aufgestockt, kontrollierte schwerpunktmäßig dort, wo oft gegen die Verordnung verstoßen wurde, etwa in Hochfeld und Marxloh. Der Digitalisierungsschub durch die neue SAD-Zentrale kam gerade Recht: Seit August können die Kontrolleure Aufträge direkt mit dem Smartphone entgegennehmen.

Nicht nur Oberbürgermeister Links Ankündigungen sprechen dafür, dass der SAD besonders konsequent kontrolliert. Bis Mitte Januar leitete die Stadt etwa 8400 Ordnungswidrigkeitenverfahren ein. Damit war Duisburg zumindest nach den Ergebnissen einer dpa-Umfrage NRW-Spitze. Gleichwohl betonen die Verantwortlichen, die Streifen agierten maßvoll und auch als Aufklärer.

Bei den Masken-Kontrollen mit der DVG im ÖPNV kann man Duisburg nach anfänglicher Zurückhaltung sogar Vorbild-Charakter bescheinigen. DVG- und SAD-Kontrolleure setzen Zeichen, sorgen für mehr Infektionsschutz in Bussen und Bahnen. Außerdem veröffentlicht die DVG die Ergebnisse aller Kontrollen allwöchentlich. Demnach sank die Zahl der Verstöße.

Krisen-Kommunikation: Schweigen und Widersprüche zur falschen Zeit

Krisen-Kommunikation ist Chefsache, und während der ersten Welle hat Oberbürgermeister Sören Link auch mit Video-Appellen wichtige Zeichen gesetzt: Duisburg geht konsequent auf Nummer sicher, wann immer es der kommunale Handlungsspielraum zulässt.

Nach dem Sommer aber, als Duisburg zeitweise die meisten Infektionen aller deutschen Großstädte registrierte, meldete sich Link vorrangig mit Pressemitteilungen zu Wort. Andere Oberbürgermeister und Landräte informierten und appellierten indes wöchentlich via Facebook. Links Zurückhaltung in dieser kritischen Phase war auch unglücklich, weil der Krisenstab zwischen Mitte Mai und Ende November nicht mehr öffentlich informierte – der Oberbürgermeister im sommerlichen Wahlkampf jedoch allgegenwärtig gewesen war.

Ex-Krisenstabsleiter Martin Murrack (links) und Oberbürgerbürgermeister Sören Link, hier am Wahlabend im Rathaus.
Ex-Krisenstabsleiter Martin Murrack (links) und Oberbürgerbürgermeister Sören Link, hier am Wahlabend im Rathaus. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Link (SPD) prangerte mit Pressemitteilungen nur immer wieder das zweifelsfrei kritikwürdige Corona-Krisenmanagement der Landesregierung an, etwa das Verbot des Hybrid-Unterrichts und die verschleppte Kommunikation in die Schulen. Der OB selbst sendete zudem widersprüchliche Signale: Anfang Dezember forderte er den harten Lockdown, nachdem er wenige Tage zuvor noch das kostenfreie Parken in der Innenstadt ermöglicht hatte. Und ein zuvor produziertes „Null Toleranz“-Video ließ Link ausgerechnet am Morgen nach den Massen-Verstößen der Skeptiker vor dem Rathaus hochladen – was den Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit unglücklich betonte.

Wie Bund und Land nutzte auch die Stadt den Sommer zur Vorbeugung nicht. Warum beispielsweise startete der Krisenstab eine 14-sprachige Social-Media-Kampagne erst auf dem Höhepunkt der zweiten Welle? Warum mussten erst einzelne Polizisten und Bezirkspolitiker in Marxloh mit Zetteln in rumänischer und bulgarischer Sprache auf die Maskenpflicht hinweisen?

Da das Instrumentarium der Stadt in der Pandemie begrenzt ist, sind Kreativität und intensive Kommunikation gefragt. Diesem Anspruch wurde die Stadtspitze während der zweiten Welle nicht immer gerecht. Zuletzt bemühte sie sich durch Pressekonferenzen und die Veröffentlichung innerstädtisch aufgeschlüsselter Fallzahlen um mehr Transparenz.