Hamburg. Was die Kulturlandschaft Hamburgs 2018 prägte, weiß wohl niemand besser als die Kulturredaktion des Hamburger Abendblatts.
Das Schöne daran, in der zweitgrößten Stadt des Landes zu wohnen: Es passiert eigentlich immer irgendetwas Spannendes. Das Schlimme daran: Es ist absolut sicher, dass man – egal, was man gerade macht – irgendetwas anderes mindestens genauso Spannendes verpasst. Wahrscheinlich gibt es keinen Hamburger, der von sich behaupten kann, alle 25 kulturellen Highlights des Jahres live miterlebt zu haben. Aber das macht nichts: Denn einer der Kollegen aus der Kulturredaktion war garantiert dabei und hat seine Eindrücke für das Hamburger Abendblatt festgehalten.
Die folgenden Höhepunkte und Videos wurden von der Kulturredaktion ausgewählt und werden hier in chronologischer Reihenfolge präsentiert. Die Abendblatt-Rezensionen und Texte dazu finden Sie als Links.
Januar
Ein fulminanter Start ins Jahr: Regisseur Fatih Akin gewinnt für sein Drama "Aus dem Nichts" einen Golden Globe. Das ist zwar längst nicht die einzige, dafür aber die international bekannteste Auszeichnung für das NSU-Drama – das dem Hamburger sogar einen Eintrag ins Goldene Buch der Stadt einbringt. Der da Noch-Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sagt dazu: „Wir sind stolz auf Fatih Akin, den Sohn unserer Stadt und großartigen Regisseur.“ Man möchte ihm nicht widersprechen.
Februar
Kurioses am Ende des Winters: Was hören eigentlich der Kultursenator und der Chef des Literaturhauses für Musik? Und was kommt dabei heraus, wenn man beide ans DJ-Pult lässt? Eine der lustigsten Veranstaltungen in der Geschichte des Literaturhauses, urteilt Thomas Andre. Schade ist wohl bloß, dass sich Carsten Brosda an den Ratschlag seines Pressesprechers hält und ohne Cowboyhut gegen Rainer Moritz antritt...
März
Auch wer mit harter und härtester Musik so überhaupt nichts am Hut hat, kennt Metallica zumindest dem Namen nach. Das hat auch mit der Länge der Karriere der Amerikaner zu tun: Sie seien inzwischen alte Männer, räumt Frontmann James Hetfield beim Konzert im März in der Barclaycard Arena ein. Zum Glück für Fans (die auf dem Schwarzmarkt bis zu 200 Euro für eine Karte ausgegeben haben) und Kritiker Holger True tut das Alter dem Spaß am zelebrierten Lärm keinen Abbruch – auf und vor der Bühne.
April
Mozart und Beethoven in der Elbphilharmonie können vom alltäglichen zum außergewöhnlichen Konzerterlebnis (Erlebniskonzert?) werden – zumindest, wenn Teodor Currentzis den Taktstock schwingt: "So dirigiert, wie der junge Muhammad Ali seine Gegner mit breitem Grinsen in den Wahnsinn tänzelte, bevor der entscheidende Punch kam."
Mai
Noch mehr Klassik abseits des Üblichen – diesmal aber von vornherein so gedacht: Karlheinz Stockhausen war für die deutsche Gemütlichkeit der 50er-Jahre ein Skandal. Dafür reicht "der visionäre Wahn-Sinn, mit dem Stockhausen seine Ton-Zentrifuge anwarf", wie Verena Fischer-Zernin schreibt, heute natürlich nicht mehr aus. Wohl aber für die Überraschung, einen der Höhepunkte des diesjährigen Musikfestes nicht in Elbphilharmonie oder Laeiszhalle, sondern im Mehr! Theater zu finden: Stockhausens "Gruppen" als Gastspiel mit einem Orchester an drei Orten und mit drei Dirigenten.
Juni
Auch das nächste Highlight findet an mehreren Orten statt, unter anderem in der Redaktion des Hamburger Abendblatts. Die Triennale der Fotografie macht Hamburg 2018 zur Fotohauptstadt, einer der Stars der großen Ausstellungsreihe ist Anton Corbijn. Seine großartigen Bilder (die noch bis zum 6. Januar im Bucerius Kunst Forum zu sehen sind) bringt der Niederländer im Juni nicht nur auf Foto-, sondern auch auf Zeitungspapier. Corbijn gestaltet eine ganze Ausgabe des Hamburger Abendblatts. Und wie sich das für ein Kunstwerk gehört, sind die Reaktionen durchaus unterschiedlich: Von "geile Zeitung" bis "ab in die Mülltonne" reichen die Bewertungen der Corbijn-Ausgabe.
Fliegen lernen mit den Foo Fighters: So mancher Fan wünschte sich wahrscheinlich, "Learn To Fly" ganz wörtlich nehmen zu können. Denn so großartig das Konzert ist, so sehr ärgern sich viele (darunter auch Abendblatt-Reporter Tino Lange) über An- und Abfahrt. Mit 60.000 Menschen ist man in Bahrenfeld an der Trabrennbahn etwas überfordert. Dave Grohl ist natürlich trotzdem für alle "My Hero". Besonders für Holger Bracker vom "Weinhaus Gröhl" am Eppendorfer Baum. Dem beschert der Foo-Fighters-Frontmann einen Kundenansturm ungeahnten Ausmaßes... Wer das alles übrigens verpasst hat: Im Juni 2019 sind die Foo Fighters beim Hurricane Festival in Scheeßel.
Juli
Stecker raus, Hut auf: Udo Lindenberg ist im Juli schon zum zweiten Mal zu einem "MTV Unplugged"-Konzert auf Kampnagel zu Gast. Natürlich wieder mit vielen Songs, Stargästen und Brimborium. Wie groß die Begeisterung für Hamburgs berühmtesten Atlantic-Gast ist, sieht man nicht nur daran, dass in diesem Fall Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider die Kritik zum Konzert verfasst. Sondern auch am Fazit, zu dem er kommt: "Dieser Udo Lindenberg ist der beste, den es je gegeben hat."
Das kann man so von Helene Fischer eventuell auch behaupten. Schon weil die deutsche Schlagerkönigin nicht nur einmal, sondern gleich an zwei Tagen hintereinander im Volksparkstadion (!) auftritt. Holger Trues Ausflug in die Glückseligkeit der Unterhaltungsmusik bekommt irgendwann messianischen Charakter: "Fehlt nur noch, dass sie übers Wasser geht? Keine Sorge, das kommt auch noch."
Helene Fischer in Hamburg – was für eine Show!
Übers Wasser gehen kann Ed Sheeran zwar nicht, auf Händen tragen würden ihn die 80.000 Fans an der Trabrennbahn Bahrenfeld aber auf jeden Fall. Wie viel Bambule ein einzelner Musiker auslösen kann, davon ist auch Tino Lange mehr als nur ein bisschen beeindruckt: "Es. Ist. So. Absurd."
Ed Sheeran auf der Trabrennbahn
August
Apropos Bambule: So hieß das Album der Beginner, als die noch Absolute waren und Hamburger Hip-Hop das Maß des Deutschraps. 20 Jahre später kehren die Herren zurück und gönnen sich zwei Tage Open Air am Großmarkt: "Der Testsieger rappt wieder"
September
Otto Waalkes ist museumsreif? "Das dürfte dann zunächst einmal manch einen grundsätzlich wundern und überraschen, der mit Waalkes’ Werdegang nicht bis ins letzte Detail vertraut ist", räumt auch Thomas Andre ein. Der Auftrieb am Museum für Kunst und Gewerbe ist trotzdem groß zur Eröffnung der Ausstellung, die das malerische Werk des Ostfriesen würdigt, der seit Jahrzehnten Wahlhamburger ist. "Otto. Die Ausstellung" ist für alle Fans und Skeptiker noch bis Mitte Februar zu sehen.
Eigentlich hätte Christoph von Dohnányi schon 2010 das Eröffnungskonzert in der Elbphilharmonie dirigieren sollen. Das klappte aus bekannten Gründen nicht, später kamen andere hinzu, die ihn hinderten. Im September dann nun, mit dezenter Verspätung von acht Jahren, das elbphilharmonische Debüt für den Dirigenten. Mit diesem Attribut wäre von Dohnányi übrigens wohl kaum einverstanden, wie er im großen Interview mit Joachim Mischke vor dem Konzert erklärte. Mit Mischkes Einschätzung, die Versöhnungsfeier mit Bruckners Achter im Großen Saal sei "ein Konzert, das klarstellte, wofür es Dirigenten braucht und was die Guten von den sehr Guten unterscheidet" gewesen, hatte er aber vermutlich keine Probleme.
Nino Haratischwilli ist eine Hamburger Schriftstellerin, die in Georgien geboren wurde. Mit "Das achte Leben (für Brilka)" wurde sie berühmt, für "Die Katze und der General" wird sie im September für den Deutschen Buchpreis nominiert. Im Interview mit Thomas Andre spricht sie über Literatur, Rassismus in Deutschland, Putins Russland und die Frankfurter Buchmesse. Und Maike Schiller begleitet Haratischwilli und das Ensemble des Thalia-Theaters zu einem besonderen Gastspiel: In der georgischen Hauptstadt Tiflis zeigten die Hamburger "Das achte Leben (für Brilka)".
Noch mehr Literatur, noch mehr Preise und ein eindrücklicher Aufruf von Thomas Andre: "Wer in Hamburg in diesem Herbst keine Lust hat, Richard Ford zu lesen, dem ist zumindest in literarischer Hinsicht sowieso nicht zu helfen." Denn Ford wird in Hamburg der Siegfried-Lenz-Preis verliehen. Damit ist der Amerikaner in exklusiver Gesellschaft: Den höchstdotierten aller deutschen Buchpreise bekamen vor Ford erst Amos Oz und Julian Barnes.
Namen? Schall und Rauch, weiß der Volksmund. Und doch haben sie viel Beharrungskraft. Sonst hätte es wohl kaum so eine große Diskussion darum gegeben, dass das Museum für Völkerkunde einen neuen bekommen sollte: Museum am Rothenbaum, Kulturen und Künste der Welt. Oder ganz kurz MARKK. Das scheint erst einmal wenig griffig und vielen auch völlig überflüssig, doch gibt es gute Gründe für die Umtaufe. Das erläuterte Ressortleiterin Maike Schiller im Frühjahr in einem Kommentar: "Sprache definiert und strukturiert nun einmal die Welt." Bei der Feier zur Umbenennung im September hatten sich die streiterischen Wogen auch schon wieder so weit geglättet, dass Direktorin Barbara Plankensteiner von einem ersten Meilenstein zur Neuausrichtung sprechen kann: „Ein Großteil unserer Arbeit liegt hinter uns.“
Oktober
Zum Hamburger Herbst gehört nicht nur Schmuddelwetter, sondern auch der Rote Teppich: Beim Filmfest Hamburg sind jedes Jahr deutsche und internationale Stars zu Gast, in diesem Jahr war Jamie Lee Curtis der bekannteste unter vielen bekannten Namen und Gesichtern. Sie brachte ausgerechnet einen Horrorfilm mit: Nach 40 Jahren übernahm Curtis wieder die Rolle der Laurie Strode im "Halloween"-Sequel. Im Interview mit Volker Behrens spricht sie über die Idee eines spontanen Karriere-Endes, über die #metoo-Bewegung und das "Angeber-Geschäft" Schauspielerei.
Personalien sind ja oftmals eher trockene Angelegenheiten. Nicht so aber, wenn es um Orchester und ihre Dirigenten geht: Im Oktober bekamen die Symphoniker Hamburg einen neuen Chef: Sylvain Cambreling dirigiert seitdem das Orchester der Laeiszhalle – und spart nicht mit Vorschusslorbeeren für seine neue Wirkungsstätte: "Ich habe die Laeiszhalle immer fantastisch gefunden", sagt der Franzose im Interview mit Verena Fischer-Zernin. Ein Gefühl, das auf Gegenseitigkeit beruht: Publikum und Kritikerin waren schwer angetan vom "Neuen".
Dörte Hansen, "dieser ultranorddeutsche Name! Früher mal wohnhaft in Ottensen, dann im Alten Land, jetzt wieder in Nordfriesland, wo sie 1964 geboren wurde. Diese Dörte Hansen buchstabiert nun, in ihrem zweiten Roman, das Norddeutsche noch präziser durch als im Erstling." Nach "Altes Land" erscheint im Oktober "Mittagsstunde", Thomas Andre sagt dem Zweitling eine mindestens ebenso beeindruckende Karriere voraus wie Hansens erstem Werk.
Shakespeares "König Lear" ist "ein furchtbarer Mensch, ein richtig furchtbarer Mensch", sagt Edgar Selge im Interview mit Maike Schiller. Aber der Schauspieler mag ihn trotzdem. Was gut ist, schließlich hat er die Hauptrolle in der Tragödie übernommen, die das Schauspielhaus zur (verspäteten) Saisoneröffnung auf die Bühne bringt – honoriert mit großem Applaus des Premierenpublikums.
Musen altern souverän: Seit 175 Jahren gibt es das Thalia Theater, zum Geburtstag plaudern im Abendblatt Intendant Joachim Lux und sein Vorvorgänger Jürgen Flimm über die Geschichte des vom Sohn eines Schnapsfabrikanten gegründeten Hauses am Alstertor – und natürlich über die vermeintliche (?) Rivalität mit dem Schauspielhaus.
November
Spezialeffekte im Großen Saal: Patricia Kopatchinskaja spielt nicht nur in der Elbphilharmonie, sie bedient auch höchstselbst die Windmaschine. Dafür gibt es von Joachim Mischke Lob: "Vivaldi kann, so gespielt, noch besser sein als sein Ruf."
Als die Personalie bekannt wurde, schlug sie hohe Wellen – nicht so sehr wegen des Nachfolgers von Barbara Laugwitz beim Rowohlt-Verlag. Sondern eher wegen der Art und Weise, wie sie gegen Florian Illies ausgetauscht wurde. Die Nachricht erreichte die Mitarbeiter völlig unvermittelt. Illies' "Antrittslesung" in der Buchhandlung Felix Jud verläuft hingegen frei von Irritationen, wie Thomas Andre berichtet – bis auf die mit der Yoga-Pointe, die nicht so recht zünden wollte.
Keine ganz leichte Frage treibt Kultursenator Carsten Brosda Ende des Jahres um: "Wie findet man einen Museumsdirektor?" will Vera Fengler wissen. Der Grund: Nach nur zwei Jahren verlässt Christoph Martin Vogtherr die Kunsthalle. Sein Vorgänger Hubertus Gaßner kommt zwar zurück – aber nur als Foto an der Wand des Hauses.
Und noch ein Hamburger Wechsel vollzieht einen Wechsel an der Spitze. Im Museum für Kunst und Gewerbe ist die Nachfolgerin von Sabine Schulze aber schon bekannt. Denn Schulze geht nicht nach Berlin, sondern in den Ruhestand und bilanziert im Abschiedsgespräch mit Vera Fengler und Maike Schiller ihre Zeit am MKG: "Der Kampf um Gelder war oft mühsam." Wie sich Tulga Beyerle damit arrangieren wird, ist noch bekannt, klar ist aber schon: Die Österreicherin hat große Pläne – und will sie schon angehen, noch bevor ihr Büro fertig eingerichtet ist, wie Vera Fengler feststellt.