Hamburg. Nach zehn Jahren am Museum für Kunst und Gewerbe geht Direktorin Sabine Schulze zum Monatsende in den Ruhestand. Eine Bilanz.

Zu ihrem Bewerbungsgespräch in Hamburg trug sie knallgrüne Schuhe. Dem Thema „Sneaker“ widmete sie später eine ganze Ausstellung. Auch für Apple, Loriot, Udo Lindenberg und zuletzt Otto öffnete sie während der zehnjährigen Schaffenszeit ihr altehrwürdiges Haus am Hauptbahnhof und entstaubte das Museum für Kunst und Gewerbe – kurz MKG – auch auf diese Art.

An Kreativität hat es Sabine Schulze nie gemangelt. Manchmal aus der Not heraus, denn die vielen Sonderausstellungen hätte ihr Etat eher nicht von selbst getragen. Aber bitte zum Abschied jetzt bloß keine Generalabrechnung, sagt Sabine Schulze. Die großzügigen Stifter der Stadt werde sie ebenso vermissen wie ihr Team, sagt die 64-Jährige beim Bilanzinterview in ihrem lichten Museumsbüro.

Zehn Jahre im Museum für Kunst und Gewerbe gehen nun zu Ende. Wie geht es Ihnen?

Sabine Schulze: Ein bisschen melancholisch bin ich, das ist klar. Aber es ist meine Entscheidung, es ist so in Ordnung. In den vergangenen Jahren konnte ich das umsetzen, was ich mir vorgenommen hatte: Das Haus öffnen durch eine weite, helle und großzügige Architektur. Vor allem konnte ich über spannende Themen sprechen. Viele tolle Ausstellungen haben wir gemeinsam am MKG realisiert und damit ein breites Publikum erreicht, was will ich mehr? Natürlich denkt man immer, man könnte noch dieses oder jenes Projekt machen. Ich könnte jetzt zum Beispiel noch den Keller sanieren ... (lacht)

Können Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag erinnern?

Ja, und ich weiß auch genau, was ich anhatte. Ich hatte mir extra neue Klamotten gekauft, von denen ich dachte, so was muss eine Direktorin tragen: einen grauen Baumwollanzug – und dazu die grünen Schuhe aus dem Bewerbungsgespräch. Ich habe gedacht, das müssen die Hamburger aushalten. Dann saß ich in meinem Büro und wusste gar nicht, was ich machen soll. Man hat ja am Anfang noch gar nichts zu tun. Das würde mir jetzt nicht mehr passieren.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie „vor ­allem Pünktlichkeit“ von den Hanseaten gelernt hätten. Das ist ja geradezu frech ... Mehr nicht?

Sie lachen, aber das Auf-den-Punkt-pünktlich-Sein, das musste ich wirklich lernen und habe noch heute Schwierigkeiten damit. Wenn man in Hamburg um acht Uhr eingeladen ist, ist um fünf nach acht die Suppe durch. Aber im Ernst: Ich bin sehr, sehr gerne hier ­gewesen.

Was nehmen Sie mit aus zehn Jahren am Museum für Kunst und Gewerbe?

Die Provenienzrecherche war mir immer sehr wichtig. Deshalb war die Rückgabe eines Kidduschbechers an die Nachkommen der 1939 enteigneten jüdischen Besitzer letzte Woche ein besonders bewegender Moment. Auf solche Projekte, die Zeit und Geld kosten, die sich aber nicht in Besucherzahlen und Eintrittsgeldern messen lassen, bin ich stolz.

Sie gelten unter Kollegen als große Erneuerin, nicht nur, was das Bauliche angeht, sondern auch inhaltlich. An welche Ausstellung erinnern Sie sich besonders gerne?

An die Ausstellung „Body and Soul“ gleich am Anfang 2012 denke ich gerne zurück. Die Abteilungen waren wegen der Sanierung geschlossen, so konnten wir Hauptwerke aus den verschiedenen Epochen und Kulturen in einer großen Vitrine zusammenführen, gruppiert nach allgemein menschlichen Themen von der Geburt bis zum Tod über Leidenschaft, Schönheit und Kampf. Das Museum für Kunst und Gewerbe hat so herrliche, vielseitige Sammlungen! Das High and Low hat mich dabei immer fasziniert: Dinge der Hochkultur auf der einen Seite und dann wieder Alltagsgegenstände, die aber persönlichen, emotionalen Wert haben, wie etwa eine Kindergitarre oder einen ganz besonderen Hut. Davon lebt jetzt auch die Ausstellung „68. Pop und Protest“. Das ist das Faszinierende an einem Museum für angewandte Kunst: Wir beherbergen Objekte von großer Selbstverständlichkeit. In dem Moment, in dem man etwas benutzt, merkt man nicht, dass das einmal das Signum einer Epoche wird!

Hat sich die gesellschaftliche Stellung des Museums mit der Zeit verändert?

Es wird immer wichtiger, über die Herkunft der Dinge zu sprechen. Zur gleichen Zeit müssen sich die Häuser öffnen und progressive Themen anbieten. Es geht nicht nur um Kunstgeschichte, um stilistische Einordnung und Wertbestimmung. Da kommen große Aufgaben auf alle Museen zu. Gerade Museen für angewandte Kunst müssen sich aktuellen, gesellschaftlich relevanten Themen stellen. Das ist uns im MKG in den letzten Jahren gelungen. Wir haben immer wieder Themen aufgegriffen, die die Menschen interessieren. Angefangen mit der „Klimakapsel“-Ausstellung über „Fast Fashion“ bis zum Plastikmüll-Projekt „Endstation Meer“. Diese konsumkritischen Projekte haben ein neues Publikum gefunden: junge Menschen und Familien, die noch ein Leben vor sich haben und sich bei uns informieren. Das freut mich besonders!

Sind das dieselben Besucher, die gezielt in populäre Ausstellungen wie „Tattoos“ und „Sneaker“ oder auch zu Otto ins Museum kommen?

Das sind ganz unterschiedliche Ausstellungsformate, aber niederschwellig sind sie alle.

Ist das der Schlüssel zum Erfolg? Niederschwellige Themen anzubieten, die aber von aktuellem Interesse sind?

Wenn Sie das so sehen, würde ich mich verstanden fühlen.

Dann wären Sie also mit Kultursenator Carsten Brosda auf einer Linie, der jüngst gefordert hat, Museen sollten keine Tempel der Hochkultur, sondern offene Häuser sein.

Mit Herrn Brosda verstehe ich mich gut, er hat gute Ansichten. Die allerdings auch finanziell umsetzbar sein müssen. Zum Beispiel sollten wir als offene Häuser nicht so hohen Eintritt nehmen müssen. Zurzeit sind es zwölf Euro, das ist viel. Mein Vorstandskollege Udo Goerke möchte genau wie ich die Dauerausstellungen frei zugänglich machen.

Nun gehen Sie, fast zeitgleich wechselt Christoph Martin Vogtherr von der Kunsthalle nach Berlin, und Börries von Notz verlässt die Stiftung Historische Museen Hamburg. Fühlen Sie sich angemessen wahrgenommen in der Stadt? Geht man in Hamburg gut um mit den Museen?

Ja, ich fühle mich verstanden und gemocht in der Stadt. Es gibt viele Hamburger, die das Museum für Kunst und Gewerbe ihr Lieblingsmuseum nennen. Und ich freue mich auch über die überregionale Wahrnehmung. Insgesamt stehen aber alle Museen unter großem Druck. Wenn man seinen Job als Direktor ernst nimmt, ist man eigentlich nur damit beschäftigt, Geld aufzutreiben. Die Angst vor Defiziten lässt schlecht schlafen.

Was würden Sie sich wünschen?

Das, was an anderer Stelle völlig selbstverständlich ist, nämlich Projektmittel. Karin Beier oder Kent Nagano müssen auch nicht durch die Stadt touren oder sich um Fonds bewerben, um eine Inszenierung zu realisieren oder ein Konzert zu dirigieren. Dieses Vertrauen sollte auch in die Museumsdirektoren gesetzt werden. Man muss auch mal etwas riskieren, denn Museen sind nicht nur dazu da, um zu digitalisieren und inventarisieren, sondern auch, um inhaltliche und ästhetische Akzente zu setzen.

Ist das letztendlich der Grund, warum Sie den Vertrag nicht noch einmal verlängert haben?

Milch und Honig fließen nirgends. Aber ja, der Kampf um Gelder war oft mühsam. Und ich wollte nicht zu den Leuten gehören, die irgendwann verbittert sind. Ich bin jetzt 64, da darf man guten Gewissens in Pension gehen und der nächsten Generation das Zepter übergeben.

Hat es eigentlich je eine Rolle gespielt, dass Sie als Frau ein Museum leiten?

Das ist heute zumindest in der Museumslandschaft kein Problem. Nicht alle haben mich geliebt, aber das hatte nichts damit zu tun, dass ich eine Frau bin, ich war einfach nur anderes als mein Vorgänger. Als Museumsdirektor steht man im Vordergrund, aber ein Museum ist eine unglaubliche Mannschaftsleistung. Was mich wehmütig macht, ist, dass die tägliche Arbeit mit den Kollegen im Haus nun zu Ende geht.

Was werden Sie jetzt machen?

Ich freue mich darauf, wieder Themen zu vertiefen, zum Beispiel an der Leuphana Universität in Lüneburg. Mehr reisen, mehr lesen, ins Kino gehen, Freunde treffen – alles ist ein wenig zu kurz gekommen in letzter Zeit.