Hamburg. Der Dirigent gibt mit den Symphonikern Hamburg sein Antrittskonzert. Ein Gespräch über die Pläne des Franzosen.
Als der Fotograf zum Termin bittet, wandelt sich der Mann mit dem grauen Pferdeschwanz und dem französischen Tonfall von einem lebhaften 70-Jährigen zum Maestro. Sylvain Cambreling zieht sein Jackett an, strafft die Schultern und schreitet den Gang vom Dirigentenzimmer der Laeiszhalle entlang, als träte er gleich auf. Am Vormittag hat er mit den Symphonikern Hamburg für das Konzert am kommenden Sonntag geprobt. Mit Werken von Lachenmann, Beethoven und Schönberg gibt Cambreling seinen Einstand als Chefdirigent des Orchesters.
Wenn zwei Menschen sich zum ersten Mal begegnen, entscheiden die ersten Sekundenbruchteile über Sympathie oder Antipathie oder über die Qualität der Interaktion. Aus dem Orchester hat man schon nach Ihrer ersten Zusammenarbeit beglückte Reaktionen gehört. Wie zeigt sich diese sogenannte „Chemie“?
Sylvain Cambreling: Ich dirigiere seit 44 Jahren! Und trotzdem weiß ich nicht, wie das funktioniert. Ich hatte großen Spaß an der Probenarbeit mit den Symphonikern. Wir haben sehr bald dieselbe Sprache gesprochen, dieselben Wünsche gehabt. Aber woran das liegt, das bleibt geheimnisvoll.
Die Bindung zwischen Jeffrey Tate und dem Orchester war sehr eng. Ist Ihnen etwas bange?
Cambreling: Die Frage stelle ich mir nicht. Die Beziehung zwischen einem Orchester und seinem Chef baut man nicht in einer Woche auf. Vielleicht können wir in einem Jahr sagen, wie sie funktioniert. Ich hoffe, zwischen uns wird sie ähnlich gut wie mit Tate. Aber anders wird sie auf jeden Fall. Die Musiker erwarten etwas anderes von mir, sie wollen einen Cambreling!
Sie haben selbst als Posaunist im Orchester angefangen. Wie hilft Ihnen das beim Dirigieren?
Cambreling: Ein Dirigent sollte schon viel über die Spielweisen wissen. Mit den Jahren habe ich viele technische Details gelernt. Ich war auch Kontrabassist, Schlagzeuger und Pianist. Über Streichinstrumente habe ich mich informiert, so gut es ging, habe oft bei Streichquartettproben zugehört. Das Mysteriöse ist: Wie mache ich aus 80 Menschen einen Korpus? Man kann nicht immer erklären, wie das geht. Die Arbeit eines Dirigenten ist komisch: Sie ist zunächst mal nichts als eine Geste. Die soll einen Klang produzieren. Nicht einzelne Töne! Man lernt sehr langsam, für welchen Klang man welche Geste braucht.
Sie sind diesen Sommer 70 geworden. Wann ist man als Dirigent im besten Alter?
Cambreling: (denkt nach) Ich kann nur für mich sprechen, es gibt keine Theorie. Bei mir geht es um die Breite des Repertoires, vom Barock bis ins Heute. Ein Großteil davon ist Oper, ich habe 117 Opern dirigiert. Das ist eine besondere Art der Arbeit, weil man auch dramaturgisch denken muss. Oper hat mit Theater und Literatur zu tun. Wenn man von der Oper geprägt ist, erlebt man jede Musik so. Ein Mozart-Klavierkonzert ist eine kleine Oper! Und eine Mahler-Sinfonie auch.
Im Sommer haben Sie als Generalmusikdirektor der Stuttgarter Oper aufgehört. Gibt es ein Leben ohne Oper für Sie?
Cambreling: GMD sein, die Zeit ist vorbei. Für jede Premiere sieben Wochen Proben, das möchte ich nicht mehr permanent machen. Aber ein Leben ohne Oper? Hm, ich glaube nicht. Ich liebe das Theater, ich arbeite gern im Team und vor allem die Arbeit mit Sängern.
Sie haben kaum eine renommierte Station ausgelassen. Sie haben die Brüsseler Oper auf die internationale Landkarte gehoben, waren Intendant und GMD der Oper Frankfurt, Chefdirigent des mittlerweile zwangsfusionierten SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg, zweimal wurden Sie als „Dirigent des Jahres“ ausgezeichnet. Was hat Sie bewogen, Chefdirigent der Symphoniker zu werden?
Cambreling: Ich hatte mich entschieden, als GMD in Stuttgart aufzuhören. Und nach der Zusammenarbeit bei unserem ersten Projekt passte das für mich. Die Dimensionen der Stadt liegen mir – und der Saal! Ich habe die Laeiszhalle immer fantastisch gefunden. Die Möglichkeit, alle Proben in so einem Saal abzuhalten, ist ein Luxus, den man nicht immer hat.
Bei der Vertragsunterzeichnung haben Sie gesagt, Sie könnten sich noch etwas mehr Schnittigkeit und Flexibilität für das Orchester vorstellen. Wie erreicht man das?
Cambreling: Das ist eine Frage des Repertoires. Ich möchte die ganze Breite mit dem Orchester entdecken. Das gibt offene Ohren. Bislang haben die Musiker relativ wenig ganz moderne Musik gemacht wie „Staub“ von Lachenmann, mit dem wir am Sonntag beginnen werden. Durch die Beschäftigung mit Neuer Musik lernt man anders zu hören. Was für ein Spektrum von Dynamik gibt es und was für einen Reichtum an Rhythmen! Das strahlt auf frühere Epochen zurück.
Welches Profil stellen Sie sich für die Symphoniker vor?
Cambreling: Ich wünsche mir für jedes Orchester ein bestimmtes Profil. Die Laeiszhalle ist sehr anders als die Elbphilharmonie. Meine Idee ist es, die Programme für einen bestimmten Ort und auch für ein bestimmtes Publikum zu denken. So ein Profil wächst nicht in einem Jahr. Dafür muss man bestimmt 25 Programme zusammen gemacht haben.
Und haben Sie schon Ihre Kollegen Nagano und Gilbert getroffen?
Cambreling: Kent Nagano kenne ich seit 35 Jahren! Wir haben uns oft getroffen. Alan Gilbert kenne ich nicht persönlich. Ich möchte natürlich gerne einmal in die Oper gehen oder in die Elbphilharmonie. Aber wir sind so beschäftigt. Am ehesten klappt es spontan.