Hamburg. Acht Jahre nach seinem Abschied vom NDR-Orchester dirigiert Christoph von Dohnányi sein erstes Konzert in der Elbphilharmonie.

Jetzt, endlich, ist auch mal Schluss mit „hätte“ für Christoph von Dohnányi. 2010 hätte er das Eröffnungskonzert in der Elbphilharmonie dirigieren sollen, aber die war damals erst fast fertig. Dann folgte sein ­Abschied im Unfrieden vom NDR-Orchester, weil man sich über Besetzungsfragen nicht einigen konnte. Für Mai 2017 war sein Comeback und Saal-Debüt ­geplant, doch da bremsten ihn ­Gesundheitsprobleme aus.

Nun aber, mit agilen 89, holt der ehemalige NDR-Chefdirigent sein erstes Konzert im Großen Saal nach. Drei Termine und Bruckners Achte, wenn schon, denn schon. Das Gebäude kennt er allerdings bereits, er hat gemeinsam mit dem Akustiker Yasuhisa Toyota eine Probe gehört. Nach der ersten eigenhändigen Probe dort war Zeit für einen Rückblick ohne Zorn und einen Rundblick auf das Konzerthaus, Inhalte und Aufgaben.

Wie war es denn so für Sie dort, im Zentrum der Bühne?

Christoph von Dohnányi: Ich hab mit der Akustik kein Problem.

Ob und wie der Saal gelingt, war für Sie in Ihrer Ära ein großes Thema, Sie haben viele wichtige Weichen gestellt. Und dann steht man da, gibt den ersten Einsatz und es kommt tatsächlich Musik.

Dohnányi: Na ja, das ist der Beruf. Dieses Haus hier hat für manche Probleme. Das Volumen der Bässe … Ein Saal ist das Instrument des Orchesters. Ein Musiker muss sich einstellen und hört, was notwendig ist.

Falls Sie Erwartungen hatten – wurden die übertroffen oder unterschritten?

Dohnányi: Beides trifft nicht zu. Eine Erfahrung stellt sich ein, und auf die reagiert man. Ich habe noch nie erlebt, dass ich einen Konzertsaal nicht in den Griff bekommen hätte.

Zum ersten Mal auf dieser Bühne zu sein, fühlt sich das spontan gastlich an oder fremdelnd?

Dohnányi: Wenn Sie gut Auto fahren, können Sie mit jedem Auto gut Auto fahren.

Und wie war die Wiederbegegnung mit dem Orchester nach sieben Jahren?

Dohnányi: Das war sehr nett. Sie haben sich wirklich gefreut und ich mich auch. Wir hatten Probleme, aber die waren von meiner Seite her immer sachlicher Natur. Ich kam aus Cleveland und vom Philharmonia zum NDR, da hatte ich sehr hohe Maßstäbe. Wir haben einige sehr schöne Konzerte gemacht, manchmal fand ich, es könnte auch besser sein.

Wie hat sich das NDR-Orchester nach ­Ihnen verändert? Hat es etwas verlernt?

Dohnányi: Ich merke, dass sie sehr offen sind fürs Arbeiten, sehr willig, sehr freundschaftlich. Es war ein wirklich gutes Wieder­sehen, kein Problem.

Hat das Orchester etwas gelernt?

Dohnányi: Was sie gelernt haben, weiß ich nicht. Dafür müsste ich Konzerte gehört ­haben.

Den Namen „Elbphilharmoniker“ wollten Sie seinerzeit immer verhindern. Jetzt heißt das NDR Elbphilharmonie Orchester beinahe genau so.

Dohnányi: „Elphi“ ist noch schlimmer. Aber „Orchester der Elbphilharmonie“ – das, in Gottes Namen, kann man machen.

Sie haben in der Anfangsphase viele wichtige praktische Ratschläge gegeben, für die Hardware des Saals. Legendär geworden ist Ihre rhetorische Antwort auf die Frage nach dem Bedürfnis für ein zweites Konzerthaus: „Gab es ein Bedürfnis für Coca-Cola oder Beethovens Neunte?“ Empfinden Sie nun, wo alles fertig ist, Stolz?

Dohnányi: Ich freue mich, dass ich mich einsetzen konnte; dass sich diese Stadt in eine Richtung bewegt, die mir sehr wichtig ist – in der Musikkultur. Ich hoffe, dass die Spielplanung so ist, dass das Kommerzielle weitgehend in den Hintergrund tritt. Nun hat man diesen sehr ­angenehmen, interessanten Raum, ein sehr besonderes Gebäude. Da soll man froh sein.

Sie kennen jeden wichtigen Konzertsaal: Wie ist Ihre Meinung zur offiziellen Ansage, der Große Saal solle in den Top Ten sein?

Dohnányi: So etwas ist immer schwierig … Eine der zehn schönsten Frauen, einer der zehn besten Fußballer? Nehmen Sie Boston Symphony Hall: ein herrlicher Raumklang. Der Wiener Musikverein ist ein gnädiger Saal, da klingt jedes Orchester sehr gut …

Dieser hier gilt als unbarmherzig …

Dohnányi: … der hat eine große Durchhörbarkeit. Das ist für jemanden, der auch durchhört, gut.

Das dürfte bei der Probenintensität heute eine gewisse Rolle gespielt haben – dass Sie hier noch mehr hören, was passiert.

Dohnányi: Ich hab immer ziemlich gut gehört. ­Musiker wollen nicht immer nur pauschal gelobt werden, die sind ja viel zu klug. Die wollen jemanden, der ihnen sagen kann, wo es langgeht.

Fehlt Ihnen beim Saal-Design etwas, dass Sie damals immer empfohlen und eingefordert hatten?

Dohnányi: Ich habe eine gewisse Skepsis gegenüber der „Weißen Haut“. Auch optisch ist sie etwas unruhig. Wir vergessen manchmal, dass wir auch mit den Augen hören. Ein weiteres Thema: die Höhe der Bühnenpodien. In Los Angeles – auch ein Toyota-Saal – habe ich auf einer flachen Bühne gespielt, weil ich nicht den letzten Geiger solistisch ­hören will, sondern einen integrierten Sound möchte. So ist es ja auch komponiert.

Nach Ihnen hat mittlerweile auch Ihr Nachfolger Thomas Hengelbrock vorzeitig und verärgert das Handtuch geworfen. Können Sie ihn verstehen?

Dohnányi: Ich kann immer verstehen, wenn ­jemand etwas aus für ihn wichtigen Gründen tut. In diesen Fall kann ich mich überhaupt nicht einmischen und will das auch gar nicht. Seine Arbeit hier habe ich nicht verfolgt, höchstens mal etwas gelesen. In seinem Fach, er kam ja aus der Barockmusik, hat er sehr Gutes geleistet.

Der Erfolgsdruck auf das NDR-Orchester ist nach wie vor groß: Sie sollen am besten blitzartig so toll werden, wie Ihr Konzertsaal von Anfang an war.

Dohnányi: Da muss man vorsichtig sein: Dieses ­Orchester kennt den Raum wie kein anderes. Es hat vier Proben, maximal fünf, um ein Programm gut abzuliefern. Wird verglichen mit Weltorchestern, die ihr Tour-Programm schon mindestens achtmal gespielt haben. Totale Beherrschung des Materials, die spielen das im Schlaf. Und der Autowechsel, von dem wir sprachen, ist für die überhaupt kein Problem. Der Wechsel zu einem Saal ist bei Weitem unproblematischer als in kurzer Zeit in einem Saal, den man kennt, ein Programm zu erarbeiten.

Dann könnte ich mit dem Sprichwort kommen: Wenn man die Hitze nicht verträgt, soll man sich von der Küche fernhalten …

Dohnányi: Das ist im Grunde genommen aber falsch. Man vergleicht da ganz andere Mechanismen.

Hengelbrocks Nachfolger Alan Gilbert war in Cleveland Ihr Assistent, dann war er hier elf Jahre Erster Gastdirigent und jetzt hier, mit Beginn der Saison 2019/2020, der nächste Chef. Wie finden Sie das?

Dohnányi: Genau richtig. Er war davor einige Jahre Chef beim New York Philharmonic, und in dem Job müssen Sie schon ran. Er sollte ja schon damals mein Nachfolger werden, dann kam das Angebot aus New York und als New Yorker musste er das machen. Er ist ein sehr energischer Mann, ein hochintelligenter Mensch, mit einem modernen Kopf. Ich schätze ihn wegen seiner realistischen, klaren Analyse, was vor sich geht. Wenn ­Orchester und Betrieb mitmachen, wird das eine gute Wahl sein.

Was hören Sie an Branchen-Meinung über die „Musikstadt Hamburg“?

Dohnányi: Sie sorgt für eine sehr große Wertschätzungssteigerung. Die Orchester kommen alle gern hierher.

Und die Dirigentenkollegen?

Dohnányi: Der eine sagt: fantastisch. Der andere: Ich hatte gar keine Probleme, oder: bisschen wenig Volumen, das hab ich aber schnell geregelt. Jedenfalls habe ich von niemandem gehört: Da gehe ich nie wieder hin.

Gibt es in Ihrem Kalender schon Plätze für weitere Konzerte in Hamburg?

Dohnányi: Im Grunde genommen plane ich jetzt nur noch jene Dinge, die mir wirklich sehr wichtig sind. Hier wollte ich auch etwas abwarten, wie das jetzt ist: Wie das ­Zusammentreffen mit dem Orchester ist, wie der Raum dazu passt. Dann werde ich sicher gern wiederkommen.

Sie hatten rund ein Jahr nicht dirigiert. Wie gestaltet sich danach die Rückkehr ans Pult? Springt da ein Autopilot an, zurück und mittenhinein in die Musik? Oder muss man sich erst wieder vortasten?

Dohnányi: Dirigieren kann man so schwer lernen, außer durch Erfahrung. Aber wenn man die einmal hat, ist das Dirigieren sehr vom Nervensystem gesteuert, von Empfindungen, von Intellektualität. Das ­Bewegen der Hände wird schnell übertragen. Es ist ein Begegnen mit Musik.

Gab es während dieser Zwangspause ein Entzugsgefühl?

Dohnányi: Das kommt. Aber Gott sei Dank kann ich ziemlich gut Partituren lesen und habe eine Begabung, Klangvorstellungen ­innerlich zu hören. Wenn ich das lese, dann habe ich das Erlebnis der Musik sehr nah. Für dieses Talent bin ich sehr dankbar.

Ohne Dirigat aber auch kein Applaus, den man in Ihrem Job ansonsten regelmäßig ­nach getaner Arbeit bekommt. Wirft einen diese Art des Liebesentzugs etwas aus der Bahn?

Dohnányi: Nein, nein ... Viel Applaus ist schön, doch wegen des vielen Rein- und Rausgehens auch anstrengend.

Der Job an sich macht Ihnen aber auch mit ganz knapp über 70 noch Spaß?

Dohnányi: Große Freude, große Freude ... Es ist auch schön, immer wieder etwas zu ­erfinden – wie kann ich erreichen, dass der Klang, den ich mir vorstelle, realisierbar wird? Da kann man forschen. Wenn ich in einem Saal bin und ich merke, die Akustik ist vielleicht nicht ideal, dann stört mich das überhaupt nicht, weil ich mich ja mit der Materie befasse. Und die steht weit über akustischen Raffinessen.