Hamburg. Die abenteuerlustige Geigerin kombinierte im Großen Saal der Elbphilharmonie Vivaldi mit italienischer Avantgarde.
Das Konzert am Abend begann – und die Solistin des Abends stand nicht vor dem Orchester, wo man sie vermuten dürfte. Stattdessen spielte die Geigerin Patricia Kopatchinskaja schon mal im Tutti eines Vivaldi-Concertos mit, vorglühend für das, was noch kommen sollte in ihrem „What’s next, Vivaldi“-Programm. Fünfmal prächtig belebte venezianische Barock-Portionen im Großen Saal der Elbphilharmonie, zwischen denen Frei- und Reflexionsraum für die Musik zeitgenössischer Italiener geschaffen und inszeniert wurde.
Für Luca Francesconis „Spiccato il Volo“ beispielsweise schlich die Solistin wie ein vorwitziger Troll aus dem Tutti in die Bühnenmitte und wirbelte Motiv-Ideen Vivaldis fröhlich durcheinander, bevor die Rolle rückwärts ins Barock stattfand. Simone Movios „Incanto XIX“ zog eine faszinierende Nebelwand als Vorhang vor die Klangwelt des barocken Komponisten. Nur noch einige wenige Schemen und Ahnungen konnten sich noch den Weg zum Publikum bahnen.
Nebenbei bediente Kopatchinskaja die Windmaschine
Noch radikaler: Giacinto Scelsis Violinsolo „L’âme ouverte“, bei dem Kopatchinskaja mit dem Geigenbogen lange, irisierende Klangschlieren aus ihrem Instrument herauszog, bevor das Concerto „La Tempesta di Mare“ folgte. Dort bediente sie auch mal eben am Bühnenrand die Windmaschine, um die Spezialeffekte dieser Musik noch drastischer funkeln zu lassen. Am Donnerblech leistete ihr dabei Giovanni Antonini Gesellschaft, eigentlich auf Barock spezialisierter Blockflötist und Leiter des auf Barock spezialisierten Ensembles Il Giardino Armonico. Aber auch ihnen machte das Wechselbad der Stile und Gefühle unüberhörbar enormen Spaß.
Mal etwas ganz anderes. Kein Blick auf die Noten, der durch historisch informierte Routine in diesem Repertoire-Bereich womöglich verstellt wurde. Das Abenteuer-Experiment funktionierte also bestens, und in beide Richtungen. Und so ging der Abend weiter und blieb kurzweilig. Flotter Abschluss war das Concerto „Grosso Mogul“, in dem Kopatchinskaja eine der wenigen handschriftlich erhaltenen Original-Kadenzen Vivaldis spielte, die mit ihrem enormen Drive und Schwung stellenweise mehr an einen Italo-Western erinnerte als an venezianische Gondeln im Kerzenschein des 18. Jahrhunderts. Zwei Zugaben und die Erkenntnis: Vivaldi kann, so gespielt, noch besser sein als sein Ruf.