Hamburg. Tulga Beyerle will verstärkt ein junges Publikum ansprechen und denkt über einen zweiten Museumseingang nach.

Österreichern wird ja gemeinhin nachgesagt, sie brächten so eine Gemütlichkeit mit sich. Kekse gibt es zum Antrittsinterview mit Tulga Beyerle zwar, aber keine Kaffeehausatmosphäre. Nach kurzer Konversation („Ich habe nicht lange über das Angebot nachgedacht und bin sehr froh, wieder in einer großen und so aufregenden Stadt wie Hamburg zu leben“) kommen gleich klare Ansagen von der neuen Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe: „Das Haus steht sehr gut da, aber nach zehn Jahren braucht es den Blick von außen, um an einigen Ecken nachzuschärfen.“

Schon an Tag drei nach ihrer Amtseinführung – das Bücherregal in ihrem Büro ist erst zur Hälfte eingerichtet – nimmt die gebürtige Wienerin Fahrt auf in Richtung Museumszukunft. „Uns steht ein Paradigmenwechsel bevor. Die bildungsbürgerliche Vorstellung vom Museum, schöne Dinge zu präsentieren, reicht nicht mehr aus. Wir müssen uns fragen, wonach sich die Museumsbesucher sehnen, was wirklich ihr Leben betrifft. Um neue Besucher zu gewinnen, muss ein Museum ihnen neue Qualitäten bieten, die sie sonst nirgendwo bekommen.“ Meint: nicht im Shoppingcenter und nicht im Kino.

Das müsste Musik in den Ohren von Kultursenator Carsten Brosda (SPD) sein, der sich ja auch gerade damit beschäftigt, die Ausstellungshäuser neu zu denken. Käme von Beyerle nicht gleich hinterher: „Aber das braucht Personal, und das braucht Mittel!“

Gesellschaftlich relevante Themen

Während ihrer fünfjährigen Tätigkeit als Direktorin des Gewerbemuseums Dresden, Schloss Pillnitz, habe sie die Entwicklung des bedeutenden Schwestermuseums genau verfolgt. Es sei eine große Ehre, dass sie die Wunschkandidatin von Sabine Schulze war. Tulga Beyerle weiß aber natürlich auch um den Kampf, den ihre Vorgängerin und der kaufmännische Geschäftsführer Udo Goerke in ihrer gemeinsamen Amtszeit um Gelder von der Stadt und Drittmittel geführt haben. Und man hat jetzt schon das Gefühl, dass sie diesen Kampf munter weiterführen wird. Die inhaltliche Linie von Sabine Schulze will Tulga Beyerle auf jeden Fall fort­setzen.

Ihr Werdegang: Nach einer abgeschlossenen Tischlerlehre studierte sie Industrial Design in Wien und arbeitete anschließend als selbstständige Kuratorin. 2006 gründete sie die Vienna Design Week und leitete diese bis 2013. „Meine Kompetenz ist Gestaltung“, sagt sie. Wobei Design alles andere als oberflächlich zu verstehen ist; „schließlich ist fast alles, was uns täglich umgibt, auch von uns gestaltet“, so die 54-Jährige. Selbstverständlich hat sie sich schon mit Babette Peters, der Geschäftsführerin des Designzentrums „designxport“ in der HafenCity, intensiv zum Thema ausgetauscht.

Daneben werden gesellschaftlich relevante Themen wie auch unter Sabine Schulze eine große Rolle spielen. Die erste Ausstellung, die Beyerle mitbringt, dreht sich um die Designerinnen der Deutschen Werkstätten Hellerau 1898 bis 1938 und trägt den Titel „Gegen die Unsichtbarkeit“.

Projekt mit Geflüchteten

Im Rahmen der großen „Social Design“-Ausstellung im Frühjahr plant die Direktorin eine Zusammenarbeit mit dem benachbarten Drob Inn, einer Beratungsstelle mit integrierten Drogenkonsumräumen. „Es nützt nichts, wenn wir unser Umfeld ignorieren oder verdrängen. Da können und sollten wir als Museum für Gestaltung einen Beitrag leisten. Das ist auch Teil unserer kulturellen Verantwortung. In Sachen Grenzüberschreitung ist Tulga Beyerle geübt. Ausgerechnet in Dresden, der einstigen Pegida-Gründungsstätte, setzte sie ein Museumsprojekt mit Geflüchteten um. Und um zu wissen, wie ihr Publikum tickt, lud sie verschiedene Besuchergruppen an den Wochenenden ein und entwickelte mit ihnen Mini-Ausstellungen.

Solche Ausstellungsformate kann sie sich auch im MKG vorstellen. Und noch viel mehr: Um angewandte Kunst unter die Leute zu bringen, möchte sie in Zukunft die altehrwürdigen Mauern des Museums verlassen und in die Stadtteile gehen, um dort mit Kultur­institutionen zusammenzuarbeiten.

Den entscheidenden Schritt, das Museum baulich zu modernisieren und durch niedrigschwellige Ausstellungsformate für jüngeres Publikum zu öffnen, habe ihre Vorgängerin bereits getan, sagt sie. Aber das Haus präsentiere sich trotz seiner zentralen Lage am Hauptbahnhof als „geschlossene Auster“. Sie habe die Vision, dass sich das Museum zur Stadt hin öffne: „Das meine ich ganz praktisch: Ein zweiter Eingang etwa könnte auf der gegenüberliegenden Seite sein, also zum Zentrum hin.“ Denkbar sei auch ein Raum im Haus, den man besuchen kann, ohne gleich Eintritt zahlen zu müssen. „Vielleicht trinkt man nur einen Kaffee. Vielleicht beschließt man aber auch, sich eine der Ausstellungen anzuschauen.“

Eines scheint sicher: Tulga Beyerle, die, wie sie sagt, „keine Zeit für Hobbys“ hat, wird keine 100 Tage brauchen, um sich mit ihren Ideen und ihrer Entschlossenheit in der Hamburger Museumsszene einen Namen zu machen. Und sie ordentlich aufzumischen.