Hamburg. Kurz vor Antritt seines Jobs kam der neue Rowohlt-Verleger nach Hamburg, um sein neues Buch vorzustellen
Will man den Ort mit dem Inhalt des Buches kurzschließen, kann man wohl sagen: Die Gedrängtheit des Stoffes spiegelte sich in der forcierten Tuchfühlung der Zuhörer. Sie saßen bei der Veranstaltung mit Florian Illies auf zwei Etagen und drei Aufgängen und lauschten in atmosphärischer Enge den atmosphärischen Geschichten des Jahres 1913. Dieses Jahr 1913 ist eine Art Fetisch für Illies, den Kulturhistoriker der kleinen Form. Sein zweites Collagenwerk jener fernen und doch nahen Epoche steht derzeit auf der Bestsellerliste, nachdem das erste das meistverkaufte Sachbuch seines Erscheinungsjahres 2012 war.
Es war, die obige Beschreibung der örtlichen Gegebenheiten dürften den Buchkäufern der Hamburger City bereits eindeutige Hinweise gegeben haben, die Buchhandlung Felix Jud, in der Illies zu erleben war. Als Unterhalter, der eingeklemmt zwischen Büchern und Menschen seine kurzweiligen Stücke vortrug. Das Publikum lauschte, wie man so sagt: gebannt.
Das traditionsreiche Geschäft am Neuen Wall trat damit abermals den Beweis an, dass es in Hamburg am allermeisten den zwischen bourgeoiser Gediegenheit und reizendem Altmodischsein changierenden Ehrentitel „Bücherstube“ verdient. Der richtige Ort für einen wie Illies also, den ehemaligen „FAZ“-Feuilletonisten, Kunstzeitschriftsgründer, Kunsthändler und amtierenden „Zeit“ -Herausgeber? Ja, sicher. Und nein, nicht zwangsläufig. Zumindest was das Altmodischsein angeht. Bei Holtzbrinck, dem großen Medienunternehmen, werden sie sich zumindest ansatzweise gedacht haben, dass der 47 Jahre alte Bestsellerautor Illies modern genug sein müsste, um der darbenden Buchbranche neue Impulse zu geben.
Ab Januar ist Illies verlegerischer Geschäftsführer bei Rowohlt
Ab Januar ist Illies neuer verlegerischer Geschäftsführer des zu Holtzbrinck gehörenden Rowohlt-Verlags. Und deshalb war die Veranstaltung bei Felix Jud auch so etwas wie eine Antrittsvorlesung. Die Buchhändlerin Marina Krauth hieß den, natürlich, Wahlberliner jedenfalls und in diesen Worten herzlich willkommen in Hamburg und äußerte gleich hinterher die wie eine deutliche Aufforderung klingende Vermutung, dass Illies „ab Januar sicherlich das Hamburger Kulturleben aufmischen“ werde.
Und dann kam Krauth noch auf Erich Heckel zu sprechen, einen der vielen Protagonisten in Illies’ aktuellem Buch „1913: Was ich unbedingt noch erzählen wollte“, und auf den Kunstkritiker Gustav Schiefler, den Heckel 1913 in Hamburg traf. Vielleicht ist da Heckels Radierung „Badende an der Alster“ entstanden, kann schon sein. Jedenfalls hätte die Episode gut ins Buch gepasst, in das immerhin Heckels Sommerfrische auf Fehmarn Eingang gefunden hat. Und jedenfalls stehen ebenjene „Badende an der Alster“, wie Marina Krauth sich beeilte mitzuteilen, bei Felix Jud zum Verkauf, das neben Buch- ja auch Kunsthandlung ist.
Was Illies mit der Bemerkung quittierte, das sei wohl die berühmte Hamburger Kaufmannsseele, die aus Krauth spreche, damit er das an diesem Abend mit seinem Buch verdiente Geld gleich wieder ausgebe. Da lachten neben der Gastgeberin auch die übrigen Hamburger, sie haben meist nicht nur Geschäftssinn, sondern auch Selbstironie. Womit man ungeachtet dessen noch einmal bei Illies und dem Ort ist, der passend für einen wie ihn erscheint. Kunst und Literatur, vereinigt in einer schmalen Stätte.
Illies, der feine Spötter
Picasso, Kafka, Kandinsky, Hesse, vereinigt in einem Buch. Apropos Picasso: Wenn es eines weiteren Beweises bedurft hätte, dass Autoren die sogenannten Autorenlesungen nicht nur machen, um Bücher zu verkaufen, sondern um sich am eigenen Tun zu delektieren – hier war er. Von Rudolf Steiners 1913er Yoga-Kampagne kommt Illies im Buch und dann eben während der Lesung auf den großen spanischen Maler und seinen kleinen Wauwau: „Picasso blickt hinab zu seinem aufschauenden Hund“.
Das Publikum, augenscheinlich New-Age-unbeleckt, begriff nicht gleich, worauf Illies der anscheinend im Obergeschoss anwesenden Ildikó von Kürthy zurief, sie solle den Hamburgern die Sache mit dem Yoga doch mal erklären. Das geschah dann zwar nicht, muss aber noch nicht als Unbotmäßigkeit verstanden werden. Dass die Rowohlt-Autorin bei der Lesung ihres künftigen Verlegers anwesend war, gibt bestimmt ein Pluspünktchen. Auch Illies wusste, was sich gehört: Er las natürlich die Dehmel-Stelle. Die Stelle, in der davon berichtet wird, dass so ziemlich alles, was Rang und Namen hatte (und immer noch hat), im Jahr 1913 spendete, damit Richard Dehmel, der damals berühmteste Dichter des Landes, an dessen 50. Geburtstag sein bislang gemietetes Wohnhaus in Blankenese käuflich erwerben konnte. Illies ist ein feiner Spötter, aber wie sein „Hamburgs Beitrag zur Weltliteratur“ in Bezug auf Dehmel gemeint war, verstand jeder.