Hamburg. Literaturhaus-Chef Rainer Moritz liebt Schlager, Kultursenator Carsten Brosda Country. Nun traten sie vor Publikum gegeneinander an.

Kurz vor einer Veranstaltung, die man nachher mit Fug und Recht als eine der lustigsten in der Geschichte des Literaturhauses bezeichnen durfte, zogen sich der Hausherr und sein hoher Gast ins Séparée zurück. Vorbesprechung. Literaturhaus-Chef Rainer Moritz trank ein Gläschen Grauburgunder, Kultursenator Carsten Brosda packte ein paar CDs aus, und dann erzählte er, dass ihm der Sprecher der Kulturbehörde dringend davon abgeraten habe, einen Cowboyhut („Stetson“) zu tragen. Behördensprecher, in diesem Falle heißt er Enno Isermann, sind Profis. Sie wissen, dass unernst gemeinte Fotos irgendwann aus dem Zusammenhang gerissen werden können.

Aber sonst war beinah alles erlaubt in einer Veranstaltung, die den ehrwürdigen Ort der Hochkultur keineswegs entweihte, aber für einen Abend umwidmete. Es ging um Musik. „Der wilde, wilde Westen“, so war das Gipfeltreffen angekündigt, und weiter: „Countryzeit, Schlagerzeit – Carsten Brosda und Rainer Moritz legen auf“.

Brosda in der Höhle des Schlagerlöwen Moritz

Brosda, der 43 Jahre alte, sich immer noch „neu“ anfühlende Kultursenator, ist, unter anderem, bekennender Fan uramerikanischer Populärmusik, von Country eben; der Mann hat einen guten Musikgeschmack. Und er begab sich absolut freiwillig in die Höhle des Schlagerlöwen Moritz, was er am Ende eines stellenweise in immer bedenkliche, aber bisweilen so gnadenlos verführerische Seichtgebiete steuernden Abends nicht wirklich bereut haben dürfte. Jedes theatralische Aufstöhnen Brosdas („Das muss fürs Erste reichen“) war ein gespieltes Geschmacksurteil in einem sagenhaft unterhaltsam inszenierten DJ-und Wort-Duell zweier leidenschaftlicher Musikhörer, die es, nicht so überraschend, beide schafften, das Publikum auf ihre Seite zu ziehen.

Für Rainer Moritz ist das gerade bei Heimspielen ohnehin ein Leichtes. Das Literaturhaus-Stammpublikum frisst dem auch hier wieder bestmöglichen Literaturhaus-Leiter aus der Hand und mag, bei aller standesbewusst vorgetragenen Ironie, Connie Francis, Drafi Deutscher und Bernd Clüver („Der Junge mit der Mundharmonika“) so sehr, dass es zur nicht geringen Freude von Moritz mitunter mitsang und sich sowieso immer willfährig der launig vorgetragenen Schlager-Expertise überließ.

Die Grenzen des guten Geschmacks? Überschritten

Es gluckste vergnügt und bürgerlich, also mit wissendem Blick, als die Grenzen des guten Geschmacks wieder und wieder überschritten wurden. Der Schlagerkenner Moritz hat seine Schwäche für das populärmusikalisch ganz Leichte schon lange als Alleinstellungsmerkmal entdeckt.

Bei aller Guilty-Pleasure-Seligkeit verfügt Moritz („Ich quäle Sie gleich mit einem weiteren Song“) über viel Wissen, was seine gar nicht heimliche Passion angeht. In seiner Auswahl klapperte er keineswegs die Hauptwege deutschen Liedschaffens ab, er durchstreifte die Nebenpfade. „Marmor, Stein und Eisen bricht“ wurde in der französischen Version gespielt, und Moritz, mehr noch von seinem naturgegebenen schwäbischen Furor befeuert als von Weißwein-Doping, ließ sich von seinem Nebenmann in keiner Weise bremsen.

Brosda verteidigte sich – rhetorisch und musikalisch

Der Kultursenator wand sich bisweilen zur Pläsier des Publikums ob der forcierten Schlagerlust, kam durchaus seltener zu Wort und quittierte das mit augenzwinkernder Bissigkeit in Richtung Moritz: „Sollten wir das hier wiederholen, dann an einem Ort meiner Wahl, wo es einen Knopf gibt, mit dem ich Ihr Mikro ausschalten kann.“ Brosda, der als Schüler einige Zeit in Texas verbrachte, überließ so notgedrungen meist Moritz die Initiative. Und wusste im Duell der Ungleichen das Publikum stets auf die ehrlichere, die tief empfundenere Weise hinter sich.

Wenn der rhetorisch fixe Brosda die Vorlagen des unverdrossen immer tiefer in den Schlagerkosmos eintauchenden Moritz mit extrem trockenen Salven („Jetzt muss ich Sie langsam vor sich selbst retten“) konterte, war das nur ein Mittel der Verteidigung. Das andere waren die Songs selbst, von Kris Kristofferson, Dolly Parton, Johnny Cash, Bruce Springsteen, Emmylou Harris – letztere übrigens auch eine frühe Favoritin des jungen Rainer Moritz. Leider lief danach in seiner popkulturellen Bildung manches falsch.

Ein herrlich verjuxtes Programm mit Kontrapunkten

Der CD-Sammler und Bob-Dylan-Verehrer Brosda sorgte für die andächtigen Momente des Abends, sie waren in einem sonst herrlich verjuxten Programm ein dringend notwendiger Kontrapunkt. Sollte sich Brosda, was anzunehmen ist, in Anflügen von senatorischem Seriositätsdrang zwischendurch gefragt haben, was er da eigentlich machte, so werden ihm die zur Verstärkung mitgebrachten Behördenmitarbeiter hinterher versichert haben, dass zur Image-Bildung ein gewisses Maß an Unkonventionalität nie schaden kann. Wer noch nicht von den Grußworten und Interviews Brosdas her weiß, dass der Kultursenator unbedingt humorbereit ist, der weiß es eben spätestens jetzt.

In Zeiten von #metoo und der neuesten feministischen Welle waren sich alle einig: Der beste Witz ist manchmal der, der am leichtesten zu verstehen ist, und Reime sind ohnehin das Allerwichtigste. „Du musst mit den Wimpern klimpern/Wenn ein Boy dir gut gefällt“, sang Renate Kern 1969, wozu Rainer Moritz wiederum noch 2018 schwelgt.

Es wurde viel gelacht.