Hestert. Am Fuße der Hestert in Hagen stehen vier Häuser, denen die Leute viele Namen geben. Sie sind vor allem aus Holz. Die Story ist besonders.
Als die Stadtredaktion Hagen sich für die Sommerserie „Schätze am Wegesrand“ entschied, war zumindest mit Blick auf diese besonderen Häuser nicht zu erahnen, welche Kreise sich innerhalb der Stadt schließen würden. Die „Terrassenhäuser an der Hördenstraße“ heißt diese Folge. Essenslieferanten sprechen wohl auch von China-Häusern, wenn sie die pagodenartigen Gebäude an der Hördenstraße am Fuße der Hestert ansteuern. Was sind das für besondere Häuser, die sich so recht gar nicht in die übrige Wohnbebauung auf der Hestert einfügen wollen, die vorwiegend aus der Gründer- oder der Nachkriegszeit stammt. Zwei bemerkenswerte Besuche.
Die Recherchen beginnen beim Ardenku-Verlag am Höing. Eine - neben dem Stadtarchiv - sehr reichhaltige Schatzkammer von Hagener Geschichten. Dort schlummert auch der Hagener Architekturführer. Verlagschefin Petra Holtmann schickt einen Auszug. „Vier Wohnhäuser aus den Baujahren 1985-1987. Die Materialwahl in Holz und Ziegel und die gestaffelte Konzeption der Häuser steht für Erdverbundenheit.“ Die entscheidendste Information ist der Name des Architekten: Ludwig Franz Steinhäusel. „Der lebte in Hohenlimburg“, sagt Petra Holtmann.
Gebäude sollen Menschen Freude bereiten
Dort, am Neuen Schlossweg, lebt immer noch seine Ehefrau. Ludwig Franz Steinhäusel, ein gebürtiger Tscheche, der einst im Rahmen des Prager Frühlings nach Deutschland floh, hier studierte und sich in Hagen selbstständig machte, ist leider schon verstorben. Seine Frau und seine Tochter aber hüten im Erdgeschoss des Wohnhauses sein Vermächtnis in seinem ehemaligen Büro. Fotos aus der Bauphase der Häuser an der Hördenstraße, um die es hier geht, hängen an der Wand. Zwei wesentliche Informationen fördert dieser Besuch zutage. Erstens: Steinhäusel war Bewunderer des 1959 verstorbenen Star-Architekten Frank Lloyd Wright. Der baute unter anderem das Guggenheim-Museum an der Upper East Side in Manhattan.
Das Leben Wrights, geprägt von vielen Liebschaften, drei Ehen, einem an einer seiner Lebensgefährtinnen verübten Verbrechen, ist so schillernd wie sein Architekturstil selbst. „Einfachheit und Ruhe“, „Korrelation von Natur, Topografie und Architektur“ und die „spirituelle Integrität in der Architektur“ (Gebäude sollen Menschen Freude bereiten) sind die wesentlichen Grundprinzipien seines Wirkens gewesen. Wright prägte seine eigene Vision eines zukünftigen Amerikas, das „Usonia“, in dem die Regierung nur noch Verwaltungsaufgaben übernimmt, weil sie dauerhaft versagt hat. Usonia wird von einem Architekten geleitet. Das wahre Zentrum ist der Einzelne in seinem Familienheim. Wright ist auch der Erfinder des Carports.
Die Sommerserie „Schätze am Wegesrand“
In der großen Sommerserie der Hagener Stadtredaktion erzählen wir die Geschichten von außergewöhnlichen Häusern und Landmarken: Viele haben sie vielleicht schon einmal am Wegesrand entdeckt, wissen aber nicht, was sich dahinter verbirgt. Folgende Teile sind bereits erschienen:
- Bahnhof Hagen-Dahl: Wohnen, wo die Züge rollen
- Pavillon in der Hagener City - das Reisebüro schließt, und dann?
- Blau-Weißes Haus am Tücking: Dort wohnt gar kein Schalke-Fan
- Leben wie im Märchen: Ein Besuch auf dem Waldhof in Hagen-Tiefendorf
- Historisch: Ein Blick in die gelbe Villa in Hohenlimburg
- Das unerreichbare Haus: Es wurde bei der Eingemeindung vergessen
- Liebe auf den ersten Blick - und neues Leben im Haus der Ruhrkohle
- Wie aus Grimms Märchen: Das Haus Ruhreck - und seine Rettung
- Winziges Häuschen am Hasper Straßenrand - welche Geschichte steckt dahinter?
- Wie eine Millionensumme eine Hagener Fabrik rettet
- Ein Besuch in der „Burg“ in Hohenlimburg an der Lenne
- Leben im grünen Paradies - neben dem Backhaus in Wehringhausen
- Große Vergangenheit verschafft Hasper Kindern eine Zukunft
- Fachwerkhaus wird aus Dornröschenschlaf geweckt
- Wie eine Burg: Auf den Spuren der roten Cuno-Siedlung
- Haus am See: So wohnt eine Familie in Hagen in einem Denkmal
- Die Villa mit dem grünen Turm: Nadelstiche zwischen alten Mauern
- Von vielen Stellen aus zu sehen: Der Funkturm auf dem Riegerberg
- Villa am Goldberg: Hier gibt es keine rechteckigen Zimmer
- Die Lust an der Einsamkeit: Familie lebt in Hagen im Forsthaus
- Juwel im Grünen: Die Geschichte einer Dahler Villa
- Eine Tour zu versteckten Ecken im Hagener Hohenhof
- Bordell in Hagen: Eine Peepshow und wie hier alles begann
- Die Insel im Hengsteysee: Der Mäuseturm und seine Geschichte
- Berchumer möchten vergessene Ruine neu beleben
Diesem Frank Lloyd Wright eiferte Franz Ludwig Steinhäusel in der Mitte der 80er-Jahre am Fuße der Hestert (das Gebiet heißt Nöckel) nach. Seine Frau und seine Tochter führen uns im einstigen Hohenlimburger Wohn- und Arbeitshaus von Architekt Steinhäusel in den Keller und ziehen dort ein Tischtuch von einem großen Modell aus Pappmaché. Dort ist die Siedlung „Am Nöckel“ präzise und mit Liebe zum Detail vorgebaut worden. Allerdings sind zehn der außergewöhnlichen Häuser zu sehen. In der Realität wurden im Auftrag eines einstigen Unternehmers aus Haspe nur vier realisiert. Das ist die Situation, wie man sie heute an der Hördenstraße vorfindet.
Weitere interessante Themen aus Hagen:
- Hagens Fußgängerzone erhält ein Lebensmittel-Outlet
- Rathaus-Galerie wirbt für eine Neueröffnung, die 300 Tage her ist
- T-Shirt-Kanonen für Adele-Konzerte kommen aus Hagen-Hohenlimburg
- Brösel-Brücke: Jetzt läutet auch der Hagener Handel die Alarmglocken
- Grundschule Emst geht mit neuer Leiterin ins Schuljahr 2024/25
- Diese Hohenlimburger Fabrik hat eine ganz besondere Geschichte
- Zahlreiche Stunden fallen zum Start am Hohenlimburger Gymnasium aus
- Hagener Zahnarzt darf nicht mehr vor seiner Praxis parken
- Großbaustelle unter Hagens größten Verkehrsknotenpunkt
- Nach den Entlassungen: Hagener Papierfabrik schafft die Wende
- Partner an der Seite der Hasper: „Corbacher 20“ mit neuer Führung
Sensationeller Blick auf Hagen
Das Ehepaar Weber, das in einem der Häuser lebt, hat der Redaktion einen Einblick in ihr Haus gewährt und auch einen Blick in die Nachbarhäuser möglich gemacht. Holz dominiert darin die Szenerie, Hunderte kleinere und größere Fenster fluten jeden Raum mit Licht. Ganze Fensterbänder durchlaufen die Häuser, die obendrauf geräumige Terrassen haben, die einen geradezu sensationellen Blick Richtung Hagener Innenstadt, Philippshöhe und, wie ein Gemälde, die Kapelle zum Guten Hirten auf dem Tücking bieten. Die Architektur ist auch in den Innenbereichen außergewöhnlich. Geradezu landhausartige Wohnzimmer mit Panoramafenstern, Badezimmer, die sich wie ein Atrium nach oben hin öffnen, und Treppen, die wie die kleinen Stiegen in einen Schiffsrumpf anmuten.
Weil sechs Häuser nie gebaut wurden, konnte der zwischen den vier bestehenden Häusern entstandene Park in Hanggärten ummodelliert werden, womit das Werk Frank Lloyd Wrights hier geradezu vollendet wird. Denn die Gebäude wirken nicht nur, als hätte ein Riese sie in den Berg geschoben, auch die Gärten dahinter umschmiegen sie so, dass Topografie, Häuser und Natur tatsächlich verschmelzen.
Zwischen 1935 und 1939 baute jener Architekt Wright für den amerikanischen Kaufhaus-Mogul Edgar Kaufmann das bis heute als beispielhaft geltende Wohnhaus „Fallingwater“ (Wasserfall). Die Familie des Herrenkonfektionshändlers Kaufmann besaß 80 Kilometer von Pittsburgh entfernt etwas Land mit einigen Blockhütten neben einem kleinen Wasserfall. Der Kaufhaus-Chef nahm Kontakt zu Wright auf und wünschte ein neues Wohnhaus mit Blick auf den Wasserfall. Wright indes sah wohl bereits beim ersten Besuch, dass der Wasserfall in das Haus integriert werden müsse. Er wolle, dass der Bewohner mit dem Wasserfall lebe und ihn nicht bloß anschaue.
Diese Naturverbundenheit ist es auch, die Ludwig Franz Steinhäusel am Nöckelhang an der Hestert verwirklichen wollte - und verwirklicht hat.