Hagen-Haspe. Handwerksmeister Kai Vormann etablierte seinen Tischlereibetrieb in Haspe auf wahrlich historischem Boden. Das ist die Geschichte dahinter:
Jede Fuge des reich verzierten, roten Backsteinbaus strahlt Historisches aus. Die Industrie-Geschichte des Ruhrgebietes hat hier ihren Anfang genommen. Und doch wirkt das langgezogene Gebäude mit der vorgelagerten Grün- und Parkfläche eher unscheinbar, fast ein wenig vergessen. Und das war es auch, als in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in Hagen-Haspe die millionenschweren Fördermittel zur Sanierung des Hasper Hüttengeländes beantragt wurden.
Die altehrwürdige Maschinenhalle der Harkort’schen Fabrik an der Grundschötteler Straße am Rande der einstigen Kohlenbahn wurde damals bei der Definition des Sanierungsgebietes schlichtweg übersehen und vergessen. Wenn nicht einem klugen Kopf mit ausgeprägtem Sinn für Denkmäler und Erhaltenswertes aufgefallen wäre, dass den Bau ein eckiger Schornstein einer einstigen Dampfmaschine überragt – einer der letzten seiner Art in Deutschland, bevor die Schlote alle rund daherkamen –, womöglich wäre das Gebäude längst planiert worden.
Doch der Konjunktiv blieb aus: Das Schattendasein nahm ein Ende, als die Landesentwicklungsgesellschaft sich des Objektes annahm, eine Millionensumme zum Erhalt investierte und das Objekt letztlich dem Hagener Handwerksmeister Kai Vormann überließ. Vor exakt 26 Jahren siedelte der Tischlerei-Profi mit besonderer Affinität für Innenausbau, Restaurierungen und Denkmalpflege aus der Boelerheide nach Haspe um: „Diesen Schritt habe ich nie bereut. Wir haben uns damals verdreifacht und es ist für mich und mein zwölfköpfiges Team bis heute noch etwas Besonderes, in diesen Räumen wirken zu können“, weiß er das inspirierende Flair der einstigen Maschinenhalle zu schätzen.
„Diesen Schritt habe ich nie bereut. Wir haben uns damals verdreifacht und es ist für mich und mein zwölfköpfiges Team bis heute noch etwas Besonderes, in diesen Räumen wirken zu können.“
Wiege der Industrialisierung
Denn die Geschichtsschreiber sind sich einig: In Haspe stand letztlich die Wiege zur Industrialisierung des Ruhrgebiets, eng verbunden mit dem Namen der Pionierfamilie Harkort. Die Harkort’sche Fabrik selbst war lange Jahre von Johann Caspar Harkort VI. betrieben worden, dessen Vater (Johann Caspar V.) das Gebäude kurz nach der Wende zum 19. Jahrhundert hatte errichten lassen. In der Grundsteinplatte im Bruchsockel des Gebäudes sind deren Namen gemeinsam mit Christian Harkort verewigt, präsentiert Kai Vormann das in Stein gemeißelte Relikt. Dazu die etwas verschlagene Jahreszahl 1873, an der mit Hammer und Meißel offenkundig fleißig herummanipuliert wurde – denn historisch schlüssiger würde das Jahr 1823 passen.
Ein Verdacht, den auch der Hagener Stadtheimatpfleger Michael Eckhoff pflegt: „1823 ist man an der Grundschötteler Straße – vermutlich sogar schon seit dem 17. Jahrhundert – mit einer Schmiede aktiv, dazu gibt es an verschiedenen Stellen weitere Gewerbetriebe der Harkorts, wie beispielsweise eine Lohngerberei.“ Ab 1832 folgt auf Harkorten und am Dieck in Wehringhausen (später Varta, Dieckstraße) die erste Produktion von Eisenbahn-Materialien inklusive einer Wagenschmiede.
Die Sommerserie „Schätze am Wegesrand“
In der großen Sommerserie der Hagener Stadtredaktion erzählen wir die Geschichten von außergewöhnlichen Häusern und Landmarken: Viele haben sie vielleicht schon einmal am Wegesrand entdeckt, wissen aber nicht, was sich dahinter verbirgt. Folgende Teile sind bereits erschienen:
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- Pavillon in der Hagener City - das Reisebüro schließt, und dann?
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- Das unerreichbare Haus: Es wurde bei der Eingemeindung vergessen
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- Wie aus Grimms Märchen: Das Haus Ruhreck - und seine Rettung
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- Wie eine Burg: Auf den Spuren der roten Cuno-Siedlung
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- Von vielen Stellen aus zu sehen: Der Funkturm auf dem Riegerberg
- Villa am Goldberg: Hier gibt es keine rechteckigen Zimmer
- Die Lust an der Einsamkeit: Familie lebt in Hagen im Forsthaus
- Juwel im Grünen: Die Geschichte einer Dahler Villa
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- Bordell in Hagen: Eine Peepshow und wie hier alles begann
- Die Insel im Hengsteysee: Der Mäuseturm und seine Geschichte
- Berchumer möchten vergessene Ruine neu beleben
„Beliefert wurde unter anderem die erste richtige große deutsche Eisenbahngesellschaft, die von Gustav Harkort mitgegründete Leipzig-Dresdner Eisenbahn. Somit ist Harkort ein Pionierbetrieb allergrößter Bedeutung, weshalb der erhaltenen Fabrikhalle eine enorme Bedeutung zukommt.“ Eckhoff geht daher davon aus, dass die Halle deutlich früher erbaut wurde, als es die Grundsteinplatte heute erkennen lässt: „Es ist davon auszugehen, dass hier anfänglich eine Gießerei vorhanden war, in den darauffolgenden Jahren kamen rasch weitere Gebäude hinzu, so um 1850.“
„Beliefert wurde unter anderem die erste richtige große deutsche Eisenbahngesellschaft, die von Gustav Harkort mitgegründete Leipzig-Dresdner Eisenbahn. Somit ist Harkort ein Pionierbetrieb allergrößter Bedeutung, weshalb der erhaltenen Fabrikhalle eine enorme Bedeutung zukommt.“
Dies deckt sich mit den Rekonstruktionen von Ralf Blank, Leiter der Historischen Fachdienste der Stadt Hagen. Demnach gründete Johann Caspar IV. Harkort nach 1800 unweit des Familienguts Harkorten eine Produktionsstätte für Eisen- und Metallwaren. Seine Söhne Johann Caspar V. und Christian bauten den Betrieb ab 1822 nach industriellen Maßstäben aus. Ab 1830 erfolgte die Versorgung der Fabrik mit Steinkohle über die Schlehbusch-Harkortsche Eisenbahn. Die Produktion umfasste neben Werkzeugen und Küchengeräten auch Rüstungsgüter wie Helme und Waffen, darunter auch die berühmte Pickelhaube, die hier ihren Ursprung hat.
Fabrik für den Eisenbedarf
Ab 1832 erhielt der Betrieb eine Erweiterung um eine Eisengießerei und Maschinenfabrik. Vor 1842 kam dort die erste Dampfmaschine im Kreis Hagen zum Einsatz, geliefert von den Mechanischen Werkstätten Friedrich Harkorts auf Burg Wetter. In den 30er- und 40er-Jahren arbeitete die Fabrik vor allem für den Eisenbahnbedarf. Neben Schienen, Schienennägeln und Befestigungsmaterial sowie Schaufeln und Hacken für die Streckenarbeiter wurden ab 1840 auch Achsen und Räder für Schienenfahrzeuge hergestellt. Drei Jahre später gingen bereits zwölf Kohlewagen an die Düsseldorf-Elberfelder-Eisenbahngesellschaft.
1857 übernahm Johann Caspar VI. Harkort das Unternehmen und die Fabrik. Er spezialisierte sich auf den Bau von Brücken und Stahlkonstruktionen. Sie hatten sich seit Mitte der 40er-Jahre als wichtiger Produktionszweig herausgebildet. Der Standort der Fabrik in Haspe erlaubte jedoch keine Erweiterung. Daher verlegte Harkort, der den Beinamen „Der Brückenbauer“ erhielt, die Produktion von Brücken und Stahlkonstruktionen 1860 auf ein am Rhein gelegenes Gelände bei Duisburg.
Der alte Hasper Standort produzierte weiterhin für den Eisenbahnbedarf, seit 1893 wurden dort Schrauben und Muttern gefertigt. Die Johann Casper Harkort oHG stellte erst nach dem Zweiten Weltkrieg die Produktion ein.
„In der Boelerheide fehlten uns zuletzt jegliche Expansionsmöglichkeiten, hier konnten wir uns auf einen Schlag verdreifachen.“
Für den heutigen Hausherrn Kai Vormann, dessen handwerkliche Expertise in der gesamten Republik gefragt ist, war es Ende des vergangenen Jahrtausends ein Glücksfall, dass ihm dieses Gebäude angedient wurde. „In der Boelerheide fehlten uns zuletzt jegliche Expansionsmöglichkeiten, hier konnten wir uns auf einen Schlag verdreifachen.“ Und die LEG machte viel möglich, um dem historischen Objekt wieder eine adäquate Nutzung (ein Autohaus und ein Matratzenshop fielen als Bewerber durch) zu vermitteln. „Die Außenhaut durften wir natürlich nicht verändern, aber innen war eigentlich fast alles möglich“, erzählt der 62-Jährige bei einem Streifzug durch die Werkstatt.
Stahlskelett stabilisiert Gebäude
Für einen eher symbolischen Preis ging die Harkort’sche Fabrik in den Besitz des Hagener Handwerkermeisters über. Es gab keinen Strom und kein Wasser. Der auf Holzpfosten und Steinfundamenten ruhende Bau hatte lediglich einen Lehmboden. Die LEG hatte mit einem Stahlskelett dem einsturzgefährdeten Gebäude wieder einen stabilen Rahmen gegeben. Selbst die einen halben Meter dicken Außenwände konnten ohne dieses Metallkorsett die Statik nicht mehr garantieren. Nur ein Teil der mächtigen Nadelholz-Balken in der Dachkonstruktion leisteten nach den Jahrhunderten noch ihren tragenden Dienst.
Aber Vormann ging den Innenausbau an, sorgte für Energie- und Wassernetz, zog einen Boden für seine schweren Maschinen ein, installierte Heizung und Absauganlage. Die rohen Backsteinwände wurden von innen verputzt, sodass die eigentliche Werkstatt mit den vielen modernen Gerätschaften erst auf den zweiten Blick ihre geschichtsträchtige Vergangenheit preisgibt. Zudem zog er eine Dachgeschossebene ein, in der sich heute die Sozialräume für seine Mitarbeiter befinden. Obendrein mussten an den alten, gusseisernen Sprossenfenstern fast sämtliche 800 Scheiben ersetzt werden, weil diese über die Jahre des Leerstandes zur Zielscheibe von mutwilligen Zerstörern wurden.
Zweimal im Jahr öffnet Vormann im Rahmen von Kulturveranstaltungen die Türen seines Betriebes für die Öffentlichkeit. Das ist nicht bloß eine Auflage der Denkmalhüter, sondern ihm zugleich ein persönliches Anliegen, seinen Backstein-Schatz erlebbar zu machen. Dazu zählt auch der unverbaute Blick auf das Gebäude mit dem in Haspe vor allem bei Kindern beliebten, orangefarben leuchtenden Lumibär im Fenster – eine Auflage garantiert, dass die Sicht von der Grundschötteler Straße aus für alle Zeiten frei bleiben muss.