Priorei. Die Hagenerin Ursula Spindeler hat seit 50 Jahren ein Problem. Man kann ihr Haus nicht erreichen. Jetzt, mit 74, ist sie in Sorge.
Ursula Spindeler ist heute 74 Jahre alt. Vor 50 Jahren kam sie in Besitz des Hauses nahe der Prioreier Straße, in dem sie und ihr Mann heute leben. Und genau seit dieser Zeit ist es niemals offiziell mit einem Weg oder einer Anfahrt erschlossen worden. Mit Blick auf den eigenen Lebensabend bereitet ihr das nun Sorgen. Denn wie will man ein Haus vererben oder verkaufen, das man offiziell nicht erreichen kann? Das ursprüngliche Problem von Ursula Spindeler ist, dass dieser Flecken Breckerfeld war, als sie Haus und Grundstück erbte. Nur ein Jahr später, 1975, traf die kommunale Neugliederung sie mit voller Wucht. Dass eine der letzten Baulücken im Volmetal, das Baugebiet Niederkattwinkel vor ihrer Haustür nun nichts wird, ist für sie das vorläufige Ende des 50-jährigen Hoffens auf eine Erschließung.
Großvater fuhr kein Auto
Schön ist es hier. Es gibt Menschen, die buchen Ferienhäuser in Gegenden, die so aussehen wie jene, in der die Menschen im Volmetal leben. Grüne Hügel, bewaldete Flächen, Natur pur. Die Flächen rund um ihr Haus, auch die der Nachbarn, waren alle mal im Besitz des Großvaters von Ursula Spindeler. Ein fleißiger Mann, der kein Auto fuhr und keinen Führerschein hatte. Diese Bemerkung ist wichtig. Denn als er daran ging, seine große Fläche so aufzuteilen, dass alle Nachkömmlinge gerecht bedacht sind, erhielt Ursula Spindeler das Grundstück im Hinterland der Prioreier Straße - ohne eine offizielle Zufahrt. Heranfahren kann man an das benachbarte Haus, das direkt an der Prioreier Straße steht und in Besitz ihrer Cousine ist. Daran entlang führt nur ein Gehweg hinauf zu Ursula Spindeler und ihrem Mann. Und ein Abzweig des Düinghauser Wegs, der zu ihrem Haus führt, ist nicht in ihrem Besitz und keine offizielle Straße.
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Nachbarn drückten ein Auge zu
Ihr Haus erreichten die Spindelers mit dem Auto trotzdem immer, weil Nachbarn ein Auge zudrückten und sich eine Art dauerhafte Duldung einstellte, die in all den Jahren faktisch immer gegen eine offizielle Erschließung eingetauscht werden sollte. 1974 - das Jahr, in dem sie erbte - war der Start. Die Straße gehörte damals noch zur Stadt Breckerfeld. „Und die hatte Pläne, für ihre wachsende Bevölkerung hier ein größeres Baugebiet zu schaffen“, sagt Ursula Spindeler. Die Pläne hat sie noch. Demnach sollte eine breite Straße von der B54 den Hang hinauf in ein Wohngebiet führen.
Alles begann in Breckerfeld
Nur ein Jahr später wurde dieser Teil Breckerfelds Hagen zugeschlagen. „Und für die Hagener gab es das Thema logischerweise nicht. Die wollten von einem Baugebiet hier erstmal nichts wissen“, sagt Spindeler. Bewegung kam in den 80er-Jahren wieder in die Gegend, als ein Architekt aus Hagen auf der großen Freifläche vor Spindelers Haus (die Fläche gehörte vormals ihrer Tante) ein Baugebiet entwickeln wollte, dann aber wieder Abstand davon nahm. „Da hatten wir Hoffnung, weil wir durch das Baugebiet eine Erschließung bekommen hätten“, sagt Ursula Spindeler. Konkreter wurde das erst, als Erwin Sommer, ebenfalls Hagener Architekt, sich einschaltete und die Fläche kaufte. „Da war ich so weit, zu glauben, das wird was.“
Die Sommerserie „Schätze am Wegesrand“
In der großen Sommerserie der Hagener Stadtredaktion erzählen wir die Geschichten von außergewöhnlichen Häusern und Landmarken: Viele haben sie vielleicht schon einmal am Wegesrand entdeckt, wissen aber nicht, was sich dahinter verbirgt. Folgende Teile sind bereits erschienen:
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Baugebiet wird nicht kommen
Erwin Sommer hat schon zahlreiche Baugebiete in Hagen realisiert und die Fläche schien wie geschaffen für knapp 20 Einfamilienhäuser. Zumal der Suchdruck nach Freiflächen immer groß war - gerade im Süden der Stadt. Anfang der 2000er war ein Bebauungsplan beschlossen. „Aber das hat sich wegen Klagen aus der Nachbarschaft immer wieder hingezogen“, sagt Architekt Erwin im Sommer auf Anfrage. 2019 folgte dann doch der Erschließungsvertrag zwischen Sommer und der Stadt. „Doch seitdem gibt es keine Bauherren mehr für das Gebiet“, sagt Erwin Sommer. Erst kam die Pandemie, dann der Krieg. „Nun sind die Zinsen wieder gestiegen und die Baukosten sind hoch. Es will niemand dort bauen. Ich habe von dem Baugebiet Abstand genommen“, sagt Sommer.
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„Ich weiß, dass das immer an mir lag, mich um eine Erschließung des Hauses zu kümmern. Aber es stand ja zu jeder Zeit auch in Aussicht, dass ein Baugebiet um uns herum entsteht. Zu Breckerfelder Zeiten und später auch zu Hagener Zeiten. Dann wären wir erschlossen worden. “
Zufahrtsstraße wäre sehr eng geworden
„Das wäre eine enge Kiste geworden“, sagt Joachim Bihs, Chef des Wirtschaftsbetriebs Hagen und der Hagener Erschließungs- und Entwicklungsgesellschaft, die die Erschließung vorgenommen hätte. „Die Straße in das Baugebiet hinein wäre sehr eng geworden“, so Bihs, der allerdings erklärt: „Die Nachfrage nach Flächen zum Bau von Ein- oder Zweifamilienhäusern ist bei uns weiterhin spürbar hoch. Wer wirklich bauen möchte, tut das auch unter den aktuellen Bedingungen.“
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Für Ursula Spindeler war der Absprung Erwin Sommers das Ende ihrer Hoffnungen auf eine offizielle Erschließung. Viele Gespräche mit dem Hagener Umlegungsausschuss führten auch nicht zu einer Lösung. Die aus dem städtebaulichen Entwicklungsprozess abgeleiteten Nutzungen stimmen oft nicht mit den realen Besitz- und Eigentumsstrukturen überein. Der Umlegungsausschuss kann durch ordnende Maßnahmen Bauland schaffen und gleichzeitig durch Ausgleich oder andere Maßnahmen Betroffene zufriedenstellen, deren Grundstücke davon betroffen sind. Doch das führte, wie gesagt, zu nichts.
Die Chance nach 50 Jahren
Nun ergibt sich, nach knapp 50 Jahren, doch noch die Chance, dem Haus der Spindelers eine offizielle Zufahrt zuzuordnen. Der zu ihr führende Düinghauser Weg gehört in großen Teilen der Stadt, ein Abschnitt dem Architekten Erwin Sommer und zwei Abschnitte Nachbarn. Ursula Spindeler ist dicht davor, dass ihr eine sogenannte Zuwegungsbaulast zuteilwird, mit der ihr die Besitzer dauerhaft gestatten, über ihren Weg das Wohnhaus zu erreichen. Die Stadt und die Nachbarn haben bereits positive Signale gesendet. Und auch Architekt Sommer, der im Niederkattwinkel nicht mehr bauen wird, sagt: „Ich lege Frau Spindeler da keine Steine in den Weg. Darüber können wir reden.“