Hagen. Sarah Stenzel und Wolfgang Maier haben ein Haus in einem Hinterhof in Hagen gekauft. Über eingrünes Paradies, das keiner wahrnimmt.

Sternstraße, Wehringhausen. Sie reihen sich hier aneinander, die mehrgeschossigen Häuser, die alle vor oder kurz nach der Jahrhundertwende, als Hagen richtig blühte, in die Höhe gewachsen sind. Einige haben wieder schmucke Fassaden. Andere wirken ramponiert. Parkbuchten davor für die Autos, die sich im Stadtteil karnickelartig zu vermehren scheinen.

Der Türöffner knarrt wie eine Hilti, die im Beton auf einen Stahlträger trifft. Auch als wir uns einem Sumo-Ringer gleich vor das Gittertor vorn im breiten Zugang werfen, bewegt es sich keinen Millimeter. Es lässt sich von außen nicht öffnen, weshalb die Hüterin eines Paradieses, das von der Sternstraße aus niemand erahnen kann, naht. Sarah Stenzel führt uns durch einen Bohlenverschlag mit einer weiteren Tür. Es plätschert plötzlich. Es wird grün. Es blüht, nicht dieses Hagen, sondern die Pflanzen auf dem Hinterhof.

Die Sommerserie „Schätze am Wegesrand“
In der großen Sommerserie der Hagener Stadtredaktion erzählen wir die Geschichten von außergewöhnlichen Häusern und Landmarken: Viele haben sie vielleicht schon einmal am Wegesrand entdeckt, wissen aber nicht, was sich dahinter verbirgt. Folgende Teile sind bereits erschienen:

  1. Bahnhof Hagen-Dahl: Wohnen, wo die Züge rollen
  2. Pavillon in der Hagener City - das Reisebüro schließt, und dann?
  3. Blau-Weißes Haus am Tücking: Dort wohnt gar kein Schalke-Fan
  4. Leben wie im Märchen: Ein Besuch auf dem Waldhof in Hagen-Tiefendorf
  5. Historisch: Ein Blick in die gelbe Villa in Hohenlimburg
  6. Das unerreichbare Haus: Es wurde bei der Eingemeindung vergessen
  7. Liebe auf den ersten Blick - und neues Leben im Haus der Ruhrkohle
  8. Wie aus Grimms Märchen: Das Haus Ruhreck - und seine Rettung
  9. Winziges Häuschen am Hasper Straßenrand - welche Geschichte steckt dahinter?
  10. Wie eine Millionensumme eine Hagener Fabrik rettet
  11. Ein Besuch in der „Burg“ in Hohenlimburg an der Lenne
  12. Leben im grünen Paradies - neben dem Backhaus in Wehringhausen
  13. Große Vergangenheit verschafft Hasper Kindern eine Zukunft
  14. Fachwerkhaus wird aus Dornröschenschlaf geweckt
  15. Wie eine Burg: Auf den Spuren der roten Cuno-Siedlung
  16. Haus am See: So wohnt eine Familie in Hagen in einem Denkmal
  17. Die Villa mit dem grünen Turm: Nadelstiche zwischen alten Mauern
  18. Von vielen Stellen aus zu sehen: Der Funkturm auf dem Riegerberg
  19. Villa am Goldberg: Hier gibt es keine rechteckigen Zimmer
  20. Die Lust an der Einsamkeit: Familie lebt in Hagen im Forsthaus
  21. Juwel im Grünen: Die Geschichte einer Dahler Villa
  22. Eine Tour zu versteckten Ecken im Hagener Hohenhof
  23. Bordell in Hagen: Eine Peepshow und wie hier alles begann
  24. Die Insel im Hengsteysee: Der Mäuseturm und seine Geschichte
  25. Berchumer möchten vergessene Ruine neu beleben

Mittendrin und dem Lärm entrückt

Das untere und das mittlere Wehringhausen scheinen auf den ersten Blick nicht wie Oasen in einem Quartier, das so dicht bebaut ist, dass man von einigen Standorten senkrecht in die Höhe gucken muss, um ein Stück des Himmels zu sehen. Die Oasen liegen im Verborgenen. Dort, wo sie niemand sieht und sie niemand vermutet. Wo sie die Menschen aber ebenso genießen wie die Drossel, die sich niederlässt, einen Zweig mit dem Schnabel schnappt und das Weite sucht, bevor sich eine der Katzen das Frühstückslätzchen umbindet.

Blick aus dem Schlafzimmer: Es grünt in diesem Hinterhof in Hagen. Tiere finden hier mitten im dicht bewohnten Stadtteil Wehringhausen ein Zuhause.
Blick aus dem Schlafzimmer: Es grünt in diesem Hinterhof in Hagen. Tiere finden hier mitten im dicht bewohnten Stadtteil Wehringhausen ein Zuhause. © WP | Michael Kleinrensing

„Das ist schon irre, was sich alles ansiedelt, wenn man es mal ein bisschen wachsen lässt.“

Sarah Stenzel
Hinterhof-Bewohnerin

Sarah Stenzel und ihr Mann Wolfgang Maier leben hier - mittendrin in diesem Wehringhausen und doch ein ganzes Stück entrückt von dem, was gerade diesem Teil des Quartiers zu einem unrühmlichen Ruf verhilft. Sie bewohnen ein Haus in einem Hinterhof, dreigeschossig, neben einem alten Backhaus. Eines, von jenen, von denen viele Hagener kaum erahnen, dass es sie gibt. Und doch sind sie so typisch für den Stadtteil und eine Zeit, in der sich das pralle Leben auch in der zweiten Reihe abspielte.

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Das pralle Leben der Tiere

Das pralle Leben leben hier vor allem die Tiere. Die Katzen der Familie, die Vögel, deren Opern-Gezwitscher die Oase klingen lassen, ein Käutzchen und die Insekten, die in all dem Grün, das vor allem aus riesigen Blumentöpfen wie im Amazonas-Dschungel durcheinander schießt, ein friedliches Zuhause gefunden haben. „Das ist schon irre, was sich alles ansiedelt, wenn man es mal ein bisschen wachsen lässt“, sagt Sarah Stenzel.

„Dann bin ich auf diese Chiffre-Anzeige aufmerksam geworden. Haus mit mediterranem Flair …“

Sarah Stenzel
wohnt in einem Haus im Hinterhof
Von der Straße aus lässt sich nicht erahnen, wie grün der Hinterhof an der Sternstraße in Wehringhausen ist. Durch ein klemmendes Gittertor gelangt man in die Oase.
Von der Straße aus lässt sich nicht erahnen, wie grün der Hinterhof an der Sternstraße in Wehringhausen ist. Durch ein klemmendes Gittertor gelangt man in die Oase. © WP | Michael Kleinrensing

Kampstraße, erste Reihe, mit Blick auf jene, die sich von der Hektik der Großstadt von Geschäft zu Geschäft treiben lassen - das war früher. „Vor 25 Jahren sind wir dann umgezogen“, sagt Sarah Stenzel, „was wir gesucht haben, war eine Wohnung mit Kamin und Balkon. Dann bin ich auf diese Chiffre-Anzeige aufmerksam geworden. Haus mit mediterranem Flair …“ Sarah Stenzel spricht da eher von einem Schuhkartonhaus, das nur nach vorne Fenster und nach hinten eine Wand hat.

Das Schuhkarton-Haus: Hier leben Sarah Stenzel und Wolfgang Maier.
Das Schuhkarton-Haus: Hier leben Sarah Stenzel und Wolfgang Maier. © WP | Michael Kleinrensing

Schlafzimmer war Uhrmacher-Werkstatt

Rund 140 Quadratmeter, drei Etagen, Hinterhof. „Unten in dem Flügel, in dem wir jetzt unser Schlafzimmer haben, war mal eine Uhrmacher-Werkstatt“, sagt Wolfgang Maier. Bevor das Paar eingezogen ist, haben hier Schauspieler gewohnt, die ein Engagement am Theater hatten. Viel mehr wissen beide nicht über das Haus, das vor rund 120 Jahren gebaut worden sein muss. Erst mieten sie, dann kaufen sie zwei Jahre später und pachten den Teil des Hofes, der an ein altes Backhaus grenzt, gleich dazu. Die Oase wächst.

Sarah Stenzel und Wolfgang Maier bewohnen ein Haus im Hinterhof an der Sternstraße in Wehringhausen. Es ist ihre grüne Oase.
Sarah Stenzel und Wolfgang Maier bewohnen ein Haus im Hinterhof an der Sternstraße in Wehringhausen. Es ist ihre grüne Oase. © WP | Michael Kleinrensing

Beim Tag der offenen Hinterhöfe, den Sarah Stenzel mit organisiert hat, haben sie und andere im Quartier diese besonderen Orte sichtbar gemacht. „Es gibt vergleichbare Häuser“, sagt sie, „durch das viele Grün, durch die Pflanzen, heben wir uns ab. An heißen Sommertagen ist es bei uns mindestens vier Grad kühler.“

Ruhe im verborgenen Paradies

Der Stadtteil Wehringhausen unterliegt einem ständigen Wandel. „Ruhig ist es selten“, sagt Sarah Stenzel und meint damit die Straßen, die dem Block einen Rahmen geben. „Aber hier bei uns hört man nichts davon.“ Nichts, außer Vogelgezwitscher und das Läuten der Kirchenglocken.

Kunst trifft Natur: Der Hinterhof von Sarah Stenzel und Wolfgang Maier wirkt wie ein kleiner Dschungel.
Kunst trifft Natur: Der Hinterhof von Sarah Stenzel und Wolfgang Maier wirkt wie ein kleiner Dschungel. © WP | Michael Kleinrensing

Wieder durch den Holzverschlag. Von innen braucht es keine Ringer-Qualitäten. Die Gittertür öffnet sich und das Dröhnen aus dem Ofenrohr eines Dreier-BMW lässt die Pflastersteine vibrieren und uns kurz zusammenzucken. Sarah Stenzel und Wolfgang Maier werden davon nichts mitbekommen haben. Sie leben in Ruhe in ihrem verborgenen Paradies.

Ein besonderer Ort: Aus diesem Schuh wächst eine Blume empor.
Ein besonderer Ort: Aus diesem Schuh wächst eine Blume empor. © WP | Michael Kleinrensing