Hagen. Sarah Stenzel und Wolfgang Maier haben ein Haus in einem Hinterhof in Hagen gekauft. Über eingrünes Paradies, das keiner wahrnimmt.
Sternstraße, Wehringhausen. Sie reihen sich hier aneinander, die mehrgeschossigen Häuser, die alle vor oder kurz nach der Jahrhundertwende, als Hagen richtig blühte, in die Höhe gewachsen sind. Einige haben wieder schmucke Fassaden. Andere wirken ramponiert. Parkbuchten davor für die Autos, die sich im Stadtteil karnickelartig zu vermehren scheinen.
Der Türöffner knarrt wie eine Hilti, die im Beton auf einen Stahlträger trifft. Auch als wir uns einem Sumo-Ringer gleich vor das Gittertor vorn im breiten Zugang werfen, bewegt es sich keinen Millimeter. Es lässt sich von außen nicht öffnen, weshalb die Hüterin eines Paradieses, das von der Sternstraße aus niemand erahnen kann, naht. Sarah Stenzel führt uns durch einen Bohlenverschlag mit einer weiteren Tür. Es plätschert plötzlich. Es wird grün. Es blüht, nicht dieses Hagen, sondern die Pflanzen auf dem Hinterhof.
Die Sommerserie „Schätze am Wegesrand“
In der großen Sommerserie der Hagener Stadtredaktion erzählen wir die Geschichten von außergewöhnlichen Häusern und Landmarken: Viele haben sie vielleicht schon einmal am Wegesrand entdeckt, wissen aber nicht, was sich dahinter verbirgt. Folgende Teile sind bereits erschienen:
- Bahnhof Hagen-Dahl: Wohnen, wo die Züge rollen
- Pavillon in der Hagener City - das Reisebüro schließt, und dann?
- Blau-Weißes Haus am Tücking: Dort wohnt gar kein Schalke-Fan
- Leben wie im Märchen: Ein Besuch auf dem Waldhof in Hagen-Tiefendorf
- Historisch: Ein Blick in die gelbe Villa in Hohenlimburg
- Das unerreichbare Haus: Es wurde bei der Eingemeindung vergessen
- Liebe auf den ersten Blick - und neues Leben im Haus der Ruhrkohle
- Wie aus Grimms Märchen: Das Haus Ruhreck - und seine Rettung
- Winziges Häuschen am Hasper Straßenrand - welche Geschichte steckt dahinter?
- Wie eine Millionensumme eine Hagener Fabrik rettet
- Ein Besuch in der „Burg“ in Hohenlimburg an der Lenne
- Leben im grünen Paradies - neben dem Backhaus in Wehringhausen
- Große Vergangenheit verschafft Hasper Kindern eine Zukunft
- Fachwerkhaus wird aus Dornröschenschlaf geweckt
- Wie eine Burg: Auf den Spuren der roten Cuno-Siedlung
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- Die Lust an der Einsamkeit: Familie lebt in Hagen im Forsthaus
- Juwel im Grünen: Die Geschichte einer Dahler Villa
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- Die Insel im Hengsteysee: Der Mäuseturm und seine Geschichte
- Berchumer möchten vergessene Ruine neu beleben
Mittendrin und dem Lärm entrückt
Das untere und das mittlere Wehringhausen scheinen auf den ersten Blick nicht wie Oasen in einem Quartier, das so dicht bebaut ist, dass man von einigen Standorten senkrecht in die Höhe gucken muss, um ein Stück des Himmels zu sehen. Die Oasen liegen im Verborgenen. Dort, wo sie niemand sieht und sie niemand vermutet. Wo sie die Menschen aber ebenso genießen wie die Drossel, die sich niederlässt, einen Zweig mit dem Schnabel schnappt und das Weite sucht, bevor sich eine der Katzen das Frühstückslätzchen umbindet.
„Das ist schon irre, was sich alles ansiedelt, wenn man es mal ein bisschen wachsen lässt.“
Sarah Stenzel und ihr Mann Wolfgang Maier leben hier - mittendrin in diesem Wehringhausen und doch ein ganzes Stück entrückt von dem, was gerade diesem Teil des Quartiers zu einem unrühmlichen Ruf verhilft. Sie bewohnen ein Haus in einem Hinterhof, dreigeschossig, neben einem alten Backhaus. Eines, von jenen, von denen viele Hagener kaum erahnen, dass es sie gibt. Und doch sind sie so typisch für den Stadtteil und eine Zeit, in der sich das pralle Leben auch in der zweiten Reihe abspielte.
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Das pralle Leben der Tiere
Das pralle Leben leben hier vor allem die Tiere. Die Katzen der Familie, die Vögel, deren Opern-Gezwitscher die Oase klingen lassen, ein Käutzchen und die Insekten, die in all dem Grün, das vor allem aus riesigen Blumentöpfen wie im Amazonas-Dschungel durcheinander schießt, ein friedliches Zuhause gefunden haben. „Das ist schon irre, was sich alles ansiedelt, wenn man es mal ein bisschen wachsen lässt“, sagt Sarah Stenzel.
„Dann bin ich auf diese Chiffre-Anzeige aufmerksam geworden. Haus mit mediterranem Flair …“
Kampstraße, erste Reihe, mit Blick auf jene, die sich von der Hektik der Großstadt von Geschäft zu Geschäft treiben lassen - das war früher. „Vor 25 Jahren sind wir dann umgezogen“, sagt Sarah Stenzel, „was wir gesucht haben, war eine Wohnung mit Kamin und Balkon. Dann bin ich auf diese Chiffre-Anzeige aufmerksam geworden. Haus mit mediterranem Flair …“ Sarah Stenzel spricht da eher von einem Schuhkartonhaus, das nur nach vorne Fenster und nach hinten eine Wand hat.
Schlafzimmer war Uhrmacher-Werkstatt
Rund 140 Quadratmeter, drei Etagen, Hinterhof. „Unten in dem Flügel, in dem wir jetzt unser Schlafzimmer haben, war mal eine Uhrmacher-Werkstatt“, sagt Wolfgang Maier. Bevor das Paar eingezogen ist, haben hier Schauspieler gewohnt, die ein Engagement am Theater hatten. Viel mehr wissen beide nicht über das Haus, das vor rund 120 Jahren gebaut worden sein muss. Erst mieten sie, dann kaufen sie zwei Jahre später und pachten den Teil des Hofes, der an ein altes Backhaus grenzt, gleich dazu. Die Oase wächst.
Beim Tag der offenen Hinterhöfe, den Sarah Stenzel mit organisiert hat, haben sie und andere im Quartier diese besonderen Orte sichtbar gemacht. „Es gibt vergleichbare Häuser“, sagt sie, „durch das viele Grün, durch die Pflanzen, heben wir uns ab. An heißen Sommertagen ist es bei uns mindestens vier Grad kühler.“
Ruhe im verborgenen Paradies
Der Stadtteil Wehringhausen unterliegt einem ständigen Wandel. „Ruhig ist es selten“, sagt Sarah Stenzel und meint damit die Straßen, die dem Block einen Rahmen geben. „Aber hier bei uns hört man nichts davon.“ Nichts, außer Vogelgezwitscher und das Läuten der Kirchenglocken.
Wieder durch den Holzverschlag. Von innen braucht es keine Ringer-Qualitäten. Die Gittertür öffnet sich und das Dröhnen aus dem Ofenrohr eines Dreier-BMW lässt die Pflastersteine vibrieren und uns kurz zusammenzucken. Sarah Stenzel und Wolfgang Maier werden davon nichts mitbekommen haben. Sie leben in Ruhe in ihrem verborgenen Paradies.