Hagen. Bange Frage nach dem Zusammenbruch der Carolabrücke in Dresden: Kann das im Land der Tausend Berge und Brücken auch passieren?

Es ist eine Metapher, ein Bild. Was der Experte sagt, versteht jeder. „Das ist wie eine Krankheit, mit der man lange nicht zum Arzt geht“, sagt Dr. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer: „Bei den ersten Symptomen wäre sie noch gut zu behandeln gewesen, aber irgendwann ist sie dann möglicherweise kaum mehr zu beherrschen.“

Möglicherweise ist dieser Zeitpunkt bei Straßen und Brücken bereits erreicht. Mit dem überraschenden teilweisen Einsturz der Carolabrücke mitten in der Nacht ist Dresden einer Katastrophe mit Toten und Verletzten nur knapp entgangen. Die Politik im ganzen Land habe jahrelang nach dem Prinzip Hoffnung gehandelt und nicht investiert. „Jetzt muss man die Daumen drücken, dass so etwas wie in Dresden eben nicht geschieht“, kritisiert Bökamp: „Ich denke, das war vermutlich leider nicht die letzte Brücke, die in Deutschland versagt.“ 

Brückenversagen: ohne Vorankündigung und trotz der Kontrollen

Fällt die nächste in Südwestfalen? Ohne Vorankündigung und trotz der Kontrollen wie in Dresden? Zumindest sind Brücken im Sauerland - im Land der Tausend Berge - ein großes Thema. Die A45 wird nicht umsonst die Königin der Autobahnen genannt, weil sie alle paar Kilometer über tiefe Täler führt. Auch abseits der Autobahnen gibt es reichlich Brückenbauwerke. Die meisten: in die Jahre gekommen und bedenklich bröselnd.

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Größtes Sorgenkind auf der A45 dürfte derzeit die Talbrücke Brunsbecke auf Hagener Stadtgebiet sein. Sie gilt aufgrund der Bauweise als Schwesterbrücke der Rahmedetalbrücke, die im Dezember 2021 wegen akuter Einsturzgefahr gesperrt werden musste und mittlerweile neu gebaut wird. 2017 begannen an der Brunsbecke vorbereitende Arbeiten, 2019 war Spatenstich, längst sollte die neue Brücke stehen. Aber Probleme mit der Bodenbeschaffenheit haben das Projekt zum Erliegen gebracht - und werfen die Frage auf, wie lange die in die Jahre gekommene Brücke den Verkehr noch tragen muss - und kann. Die Bundesanstalt für Straßenwesen weist der Brücke (Stand März 2024) die Note „nicht ausreichender Zustand“ aus. In diese Kategorie fiel auch die Carolabrücke.

Das müsse aber nichts heißen, wie die Autobahn GmbH Westfalen auf Nachfrage erklärt. Die Zustandsnoten seien „ein Hilfsmittel für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen“. Ein nicht ausreichender Bauwerkszustand bedeute somit „nicht zwangsläufig eine Nutzungseinschränkung“. Da sich die Zustandsnoten aus unterschiedlichen Kategorien zusammensetzten, „kann eine schlechtere Note zum Beispiel durch Schäden an der Fahrbahn oder dem Geländer ausgelöst werden, ohne dass die Standsicherheit gefährdet wäre“.

Dr. Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW

„Das Problem ist schon länger, dass wir mit jedem Tag mehr ins Risiko gehen, dass es jeden Tag mehr zum Glücksspiel wird, ob etwas passiert oder nicht.““

Dr. Heinrich Bökamp,

Würden allerdings sicherheitsrelevante Schäden festgestellt, würden umgehend Maßnahmen getroffen. „So wird beispielsweise bei der Talbrücke Brunsbecke derzeit eine umfangreiche Sanierung durchgeführt. Dabei finden sowohl Betonsanierungen an den Pfeilern statt als auch Arbeiten am Stahltragwerk. Das Tragwerk wird dabei mit zusätzlichen Stahlstreben versehen, um den Verkehr bis zu einem Neubau weiter über die Brücken fließen zu lassen“, so die Autobahn GmbH. Ist die Brücke gefährdet? Kann die Talbrücke Brunsbecke oder eine andere auf der A45 ebenso kollabieren wie das Bauwerk in Dresden? Keine Antwort der Autobahn GmbH auf diese Fragen. Stattdessen der Hinweis auf regelmäßige Kontrollen.

Alle sechs Jahre wird an Brücken eine umfassende Hauptprüfung durchgeführt, drei Jahre danach folgt die sogenannte Einfache Prüfung. Zusätzlich erfolgt zweimal im Jahr eine systematische Beobachtung durch sachkundige Straßenwärter der zuständigen Meisterei. Die Talbrücke Bremecke in Lüdenscheid zum Beispiel erhielt 2021 die Zustandsnote „3,5“ - ungenügender Zustand, schlechteste Kategorie. Drei Jahre und Betonsanierungsarbeiten später ist ihr Zustand befriedigend. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer, warnt dennoch - zum Beispiel im Falle der Brunsbecke in Hagen. Auch trotz der Kontrollen und Zustandsnoten „kann niemand den Tag genau bestimmen, an dem die Brücke vielleicht doch überlastet ist und zu versagen droht“.

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Allerdings habe in Dresden die Bauweise der Brücke eine Rolle gespielt. Es handele sich um eine spezielle Spannbetonbrücke. „Diese Brücken sind damals absichtlich so gebaut worden, dass voraussichtlich keine Risse entstehen. Das bedeutet aber auch, dass man der Brücke nicht ansieht, ob sie zu versagen droht. Aufgrund von Versagen des Betons auf Druck gibt es einen Knall und die Brücke fliegt einem um die Ohren“, sagt Bökamp. Heute baue man Brücken so, dass sich rechtzeitig Risse und Verformungen zeigten.

Die Bilder: So wächst die neue Rahmedetalbrücke

Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile  zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben.
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile  zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben.
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile  zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben.
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile  zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben.
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile  zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben.
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile  zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben.
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile  zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben.
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile  zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben.
Der erste Vorschub an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid: Aus dem Taktkeller, in dem nun Stück für Stück die einzelnen Brückenteile zusammengeschweißt werden, wird der erste Abschnitt der Fahrbahn in Richtung Frankfurt auf den ersten Pfeiler geschoben. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
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Die meisten Brücken in Südwestfalen und auf der A45 sind aber mindestens 50 Jahre alt. „Brücken, die ohne Versagensankündigung gebaut wurden, haben wir in NRW auch etliche, die ich nicht explizit nennen werde“, sagt Bökamp. Offenbar gehört die Fuhrparkbrücke in Hagen zu dieser Kategorie, eine zentrale Brücke, die 160 Meter lang ist und nahe dem Hauptbahnhof 30 Bahngleise überspannt. Schon vor Jahren wurde dem Bauwerk in einer gutachterlichen Stellungnahme ein „ungenügender Zustand“ attestiert: „Spannstahl kann hier unbemerkt ausfallen“. Ein Stützrahmen aus Stahl hält die Brücke mittlerweile von unten, nur Fahrzeuge bis zu 3,5 Tonnen dürfen sie befahren.

Lkw schaden einer Brücke tausendfach mehr als ein Auto

Tonnage-Beschränkungen, wie es sie an Dutzenden Brücken in Südwestfalen gibt. „Wir haben wegen der gesperrten Rahmedetalbrücke besondere Herausforderungen bei den Straßen und Brücken in der Region. Sie sind großen Belastungen ausgesetzt“, sagt Andreas Berg, Regionalniederlassung Südwestfalen bei Straßen-NRW. „Ich fahre nicht mit einem mulmigen Gefühl über die Brücken in Südwestfalen. Aber die Wachsamkeit steigt“, sagt er. Zum Beispiel sehe er immer wieder schwere Lkw jenseits der 3,5 Tonnen, die die Fuhrparkbrücke in Hagen beführen, „offenbar nicht wissend, dass sie der Brücke tausendfach mehr Schaden als ein normaler Pkw“. Die Gefahr fährt also immer ein bisschen mit.

„Das Problem ist schon länger, dass wir mit jedem Tag mehr ins Risiko gehen, dass es jeden Tag mehr zum Glücksspiel wird, ob etwas passiert oder nicht“, sagt Heinrich Bökamp. „Die Politik hat in den vergangenen zehn Jahren versäumt, in die Infrastruktur zu investieren und wir haben nun eine Aufgabe vor uns, die in der Zeit, in der sie erledigt werden müsste, kaum zu bewältigen ist.“