Hagen. Rund um die gesperrte A45 in Lüdenscheid leiden die kleinen Bauwerke. Das liegt auch an der Königin der Autobahnen. Eine Übersicht.

Manchmal geht wirklich nichts mehr. Vor wenigen Wochen war es in Hagen so weit: Die zum Teil vierspurige Hochbrücke im Stadtteil Eilpe - ein wichtiges Verbindungsstück der Bundesstraße 54 im Volmetal - musste von einer Minute auf die andere komplett gesperrt werden. Grund: Brückenschäden, Einsturzgefahr. Stau in der Stadt, wütende Bürger, verspätete Lkw-Fahrer. Nach drei Wochen war die Brücke provisorisch verstärkt. Hält jetzt erstmal vier Monate, meldete der zuständige Landesbetrieb Straßen.NRW - zumindest wenn das Bauwerk einspurig befahren wird und mit teilweise nur zehn Stundenkilometern.

Flickschusterei an bröselnden Brücken, nicht nur in Hagen. Und der Kollaps scheint nur eine Erschütterung entfernt. Realität im Ingenieursland Deutschland. Die aktuelle Lage sei „ein Drama“, sagt Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW.

„Der Zerfall der Brücken hatte ohnehin schon begonnen, aber die Geschwindigkeit, mit der sie in der Region aus dem Verkehr gezogen werden müssen, hat durch die Sperrung der Talbrücke Rahmede zugenommen.“
Dr. Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW

Allein im Hagener Stadtgebiet sowie im Märkischen Kreis und dem Ennepe-Ruhr-Kreis sind zehn Brücken so sehr in die Jahre gekommen, dass sie nicht mehr ohne Einschränkung (z.B. Tempo- oder Gewichtsbeschränkung) zu befahren sind. Und das sind nur die, die in Verantwortung des Landesbetriebs liegen - und nicht in der von Kommunen. Auffällig: Mehr als die Hälfte dieser Brücken liegen auf den Strecken, die seit der Sperrung der Autobahn 45 wegen der damals einsturzgefährdeten und mittlerweile gesprengten Talbrücke Rahmede vermehrt genutzt werden. Zufall? Und vor allem: vielleicht erst der Anfang?

„Der Zerfall der Brücken hatte ohnehin schon begonnen, aber die Geschwindigkeit, mit der sie in der Region aus dem Verkehr gezogen werden müssen, hat durch die Sperrung der Talbrücke Rahmede zugenommen“, sagt der Bau-Experte Bökamp: „Wenn lediglich Pkw über eine bestimmte Brücke fahren, dann hält sie beinahe ewig. Aber jeden Lkw spürt die Brücke – gerade jene, die da jetzt zusätzlich herfahren. Es kann sein, dass das jetzt erst der Anfang ist.“

Die Brücke in Altena auf der Bundesstraße 236 dürfen Fahrzeuge über 3,5 Tonnen gar nicht mehr befahren, nachdem ein unangemeldeter Schwertransport das Bauwerk beschädigte. Eine Ampel regelt den einspurigen Betrieb dort genauso wie zum Beispiel in Kierspe, wo sich Lkw auf der kleinen Brücke über die Volme nicht mehr begegnen dürfen. Der Verkehr dort staut sich manchmal über einige hundert Meter zurück in den Ort. Anwohner leiden, die Wirtschaft steckt im Stau.

Lkw-Durchfahrtssperre in Altena an der B 236. 
Lkw-Durchfahrtssperre in Altena an der B 236.  © IKZ | Carsten Menzel

„Mit Verlaub: Das größte Problem ist ja nicht der normale Bürger, der eine halbe Stunde im Stau steht. Schwerwiegender ist, wenn Firmen ihre fertiggestellten Teile nicht mehr rechtzeitig ausliefern können und die Wirtschaft nicht mehr läuft“, sagt Bökamp, den die aktuelle Lage nicht überrascht. Im Gegenteil. „Wir rechnen täglich mit Nachrichten wie jener aus Hagen. Die Substanz der Brücken ist nun einmal, wie sie ist.“ Er entwirft ein Gleichnis: „Die Brücken muss man sich wie einen Fahrzeugpark vorstellen, in dem alle Autos allmählich in die Reparatur müssen. Wenn aus der Flotte auch noch kurzfristig Fahrzeuge ausfallen, müssen die anderen die Kilometer mitmachen. Das erhöht den Verschleiß.“

Das Problem ist lange bekannt. NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) stellte vor wenigen Tagen das Ergebnis einer landesweiten Bauwerksprüfung vor, die unter anderem anmahnt, dass in den nächsten zehn Jahren rund 400 Bauwerke zu ersetzen seien. Als Einstieg in die Sanierungsoffensive stehen demnach im kommenden Jahr für 35 Brücken Ersatzneubauten an. Der Landesbetrieb Straßen.NRW räumt daher in schönstem Verwaltungsdeutsch ein, dass „an vielen Stellen ein Erhaltungsrückstand festzustellen“ sei - und nennt Gründe, warum Südwestfalen und das Sauerland besonders hart davon getroffen werde.

Das nachgeordnete Verkehrsnetz in Südwestfalen leidet schon lange unter der A45

Einer ist: die Autobahn 45. Bis Ende 2020 war Straßen.NRW für die Autobahnen und das nachgeordnete Wegenetz verantwortlich (seither sind die Autobahnen in Verantwortung der neu gegründeten Autobahn GmbH). Aufgrund der hohen Bedeutung der Autobahnen seien diese „priorisiert behandelt“ worden. „Dies hatte auch entsprechende Auswirkungen auf die Investitionen in Brücken des sogenannten nachgeordneten Netzes. Dies betrifft insbesondere die Region Südwestfalen, da ein Großteil der knappen Personalressourcen im (...) sechsstreifigen Ausbau der A45 und dem damit verbundenen vorgezogenen Ersatzneubau der Talbrücken gebunden waren“, wie die Landesbehörde auf Nachfrage mitteilt.

Aus diesem Grund hätten erhaltungsbedürftige Bauwerke im nachgeordneten Netz „nicht immer so bedient werden“ können, „wie es wünschenswert gewesen wäre“. Die seit Dezember 2021 ausgerufene Sperrung der Talbrücke Rahmede komme noch hinzu. Die ohnehin schon hohe Verkehrsbelastung „wird durch Ausweichverkehre infolge der langjährigen A45-Sperrung (...) weiter verstärkt“. Weitere Gründe, die Südwestfalen zu einem Krisen-Spezialfall machen: In Südwestfalen gebe es wegen der dort ansässigen Firmen und ihrer Fertigungsteile viel Schwerlastverkehr. Die Strecken, die für diesen infrage kämen, seien „aufgrund der gegebenen Topographie“ rar und bestünden aus viele Brücken. „In Verbindung mit den vorherrschenden Witterungsverhältnissen in den Mittelgebirgslagen ergibt sich darüber hinaus ein signifikant höherer Verschleiß an der Straßeninfrastruktur als in anderen Regionen“, heißt es.

„Die jetzige Situation ist alles andere als normal. Wir haben eine Infrastruktur-Krise.“
Christoph Brünger, Geschäftsleiter der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer Hagen

Das Problem und seine Gründe sind also identifiziert - die Folgen noch nicht abschätzbar. „Die jetzige Situation ist alles andere als normal. Wir haben eine Infrastruktur-Krise“, sagt Christoph Brünger, Geschäftsleiter der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen. „Ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass es nicht bald an anderer Stelle zu ähnlichen Schäden kommt. Das ist ein großes Risiko und ein riesiges Problem.“

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Vor allem, sagt er, gehe es bei der Behebung des Problems - also bei der Frage: wer bezahlt? - mal wieder um Zuständigkeiten. Er könne das Wort nicht mehr hören, sagt Brünger: „Der Bund hat sich mit Verweis auf das Bundesfernstraßengesetz als nicht zuständig erklärt. Der gleiche Bund, der ein Lkw-Fahrverbot auf der offiziellen Ausweichroute für die A45 möglich gemacht hat.“ Der Verkehr suche sich nun mal seine Wege, daher müsse der Bund auch für die Folgen aufkommen.

Brünger will Lösungen außerhalb der gewohnten Denkkorridore. „Warum schaffen wir nicht den Posten eines Infrastrukturbeauftragten für die Region? Jemanden, der was zu sagen hat, der über die verschiedenen Strukturen hinweg für die Maßnahmenkoordination verantwortlich ist?“ Jemand, der Brücken baut - im doppelten Sinne.