Hövelhofen/Hagen. Worauf ganz NRW wartet, hat eine kleine Westfalen-Gemeinde eingeführt. Doch beim nächsten Schritt wartet man auf die Landesregierung.
Ein Bundeskanzler und viele Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten haben beraten, der Bundestag und diverse Landtage haben diskutiert. Verschiedene Ministerien mit Hunderten Beamten sind seit mehr als einem Jahr beschäftigt – doch die Bezahlkarte für Geflüchtete, die Bargeld-Auszahlungen auf ein Minimum reduzieren soll, ist noch immer nicht flächendeckend eingeführt worden. Geliefert hat dagegen: Hövelhof, Kreis Paderborn, 16.700 Einwohner und 79 Beschäftigte in der Verwaltung – vom Standesamt bis zum Bauhof.
In Nordrhein-Westfalen war die Gemeinde die erste Kommune, die die Bezahlkarte für Geflüchtete eingeführt hat. Am 1. Mai 2024 war das und damit lange vor dem nun für das kommende Jahr geplanten landesweiten Start. Doch hier in Ostwestfalen wartet man nun dringend darauf, dass das Land zügig einen verbindlichen Rahmen festlegt – damit man den nächsten Schritt gehen kann.
Echte Pionierarbeit für kleine Gemeindeverwaltung
Wie kommt es, dass eine kleine Gemeinde zur Vorreiterin in NRW geworden ist? Anruf bei Petra Breuer, Amtsleiterin des Bürgeramts in Hövelhof. In der Funktion hat sie mit ihrem Team die Bezahlkarte praktisch in die Tat umgesetzt, nachdem der Gemeinderat sie im Februar beschlossen hatte. Die CDU, die dort die absolute Mehrheit hat, hatte den Antrag eingebracht. Klare Stoßrichtung: Man wolle dazu beitragen, Anreize für eine Zuwanderung nach Deutschland zu verringern.
Soweit die Politik, umsetzen musste dies aber die Verwaltung. „Als der Ratsbeschluss gefasst war, haben wir die Ärmel hochgekrempelt und haben uns gesagt: Das packen wir jetzt an“, sagt Petra Breuer. „So sind wir in Hövelhof. Mein Team hat den Prozess sehr gut unterstützt. Das rechne ich ihm hoch an.“
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Die kleine Verwaltung musste echte Pionierarbeit leisten. Das Asylbewerberleistungsgesetz des Bundes stand zwar im Frühjahr dem Einsatz einer Bezahlkarte für Geflüchtete generell nicht entgegen – und seit dem 16. Mai ist eine Bezahlkarte sogar explizit gesetzlich möglich. Doch bis heute gibt es noch keine rechtlichen Vorschriften, wie der Einsatz geregelt werden soll. Wer genau bekommt die Bezahlkarte? Wird sie örtlich beschränkt? Und wie viel Bargeld kann man mit ihr abheben? „Deshalb mussten wir uns einen eigenen Rahmen setzen und uns immer fragen: Wie können wir das rechtssicher ausgestalten?“, sagt Petra Breuer.
204 Euro können im Monat bar abgehoben werden
Beispiel Bargeldauszahlung: In der Diskussion ist bundesweit ein Betrag von 50 Euro pro Monat. Wahrscheinlich wird es aber eine Regelung geben, dass die jeweilige Behörde auch einen höheren Bar-Betrag ermöglichen kann, wenn der individuelle Mehrbedarf ausgewiesen werden kann. Das ist wichtig, um die Regelung rechtssicher zu machen. Das Ganze zeigt, wie kompliziert die Materie ist – und dass die Gemeinde Hövelhof sich selbst eine Regelung bauen musste.
„Das erscheint zunächst relativ hoch. “
204 Euro können hier in Hövelhof in bar abgehoben werden. „Wir haben uns hier an dem Wert orientiert, den die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe für den notwendigen persönlichen Bedarf eines Menschen ermittelt hat“, erläutert die Hövelhofer Amtsleiterin. Und das sind eben derzeit jene 204 Euro, also etwas mehr als die Hälfte des aktuellen Regelsatzes, den ein alleinstehender Asylbewerber als Grundleistung erhält (460 Euro).
„Das erscheint zunächst relativ hoch“, weiß auch Petra Breuer. „Aber wir haben uns bewusst dafür entschieden, weil wir auf der anderen Seite die Bezahlkarte für Online-Käufe ausgeschlossen haben. Geflüchtete können also das Bargeld auch indirekt nutzen, um etwas Günstiges im Internet zu kaufen.“
Wie eine Debit- oder Visa-Card
Räumlich beschränkt ist die Bezahlkarte auf den Kreis Paderborn und die benachbarte Stadt Verl. Dort kann sie dann von den Geflüchteten genutzt werden wie eine normale Debit- oder Visacard. Abwehrhaltung aus der Händlerschaft? Gab es nicht, sagt Petra Breuer. Allerdings: Die Zahl der Geflüchteten, die die Bezahlkarte aktuell nutzen, ist auch sehr klein. Gerade einmal elf Personen sind es aktuell, bei etwa 125 Asylbewerbern, die insgesamt in Hövelhof untergebracht sind. Man habe sich zu Beginn bewusst für eine bestimmte Gruppe von Geflüchteten entschieden – und zwar für die, die den Staus der Duldung haben.
Alle die, die noch das Asylverfahren durchlaufen, sind also noch nicht dabei. Doch das würde man in Hövelhof gerne ändern: „Unsere Erfahrungen sind sehr positiv“, sagt Petra Breuer. „Für den nächsten Schritt warten wir jetzt auf den rechtlichen Rahmen durch das Land und haben angeboten, als Pilotkommune mit dem Land zusammenzuarbeiten.“
Wie lange das Ganze dauert, ist noch unklar. Ein Sprecher des zuständigen NRW-Ministeriums für Flucht und Integration bestätigte unserer Redaktion, dass die Verordnung zur landesweiten Einführung der Bezahlkarte aktuell in der Abstimmung mit Verbänden sei – dementsprechend könne man zu Inhalten und Zeitplan noch nichts sagen.
Umstrittene Ausstiegs-Option
Aus Regierungskreisen wurde aber ein Bericht der Rheinischen Post zum Zeitplan bestätigt, nach dem bis März zunächst alle großen Landeseinrichtungen an das System der Bezahlkarten angeschlossen werden sollen – und erst danach Schritt für Schritt die Kommunen in NRW. Zudem soll es in der Regel maximal 50 Euro Barauszahlung geben.
Auch die umstrittene Regelung bleibt, dass sich Kommunen entscheiden können, nicht an dem landesweiten System teilzunehmen. Der Sprecher des von Josefine Paul (Grüne) geleiteten Ministeriums erklärt, dass dadurch Kommunen wie Hövelhof, die die Bezahlkarte schon eingeführt hätten, bei ihrem System bleiben könnten. Wie viele das bereits getan haben, dazu hat das Ministerium aber keine gesicherte Übersicht: Neben Hövelhof sind noch Verl und Velbert bekannt.
Kritiker befürchten mit der Möglichkeit einer eigenen Lösung für Kommunen allerdings einen Flickenteppich. Der Städte- und Gemeindebund NRW hatte sich ebenfalls gegen die Ausstiegsoption ausgesprochen, unter anderem wegen der Gefahr, dass bundespolitische Diskussionen über Sinn und Unsinn der Bezahlkarten in die Kommunen verlagert würden.
In Hövelhof will man auch gar keinen Sonderweg gehen, sondern hofft darauf, dass das Land einheitliche Regeln setzt. Und man ist froh, dass man sich im Frühjahr für den Kartenanbieter entschieden hat, der nun auch in 14 von 16 Bundesländern den Zuschlag bekommen soll. Man wäre in Ostwestfalen also bereit, sich an das landesweite System anzuschließen. „Wir müssen uns nicht umstellen“, sagt Petra Breuer.
Flüchtlingsrat NRW hält Bezahlkarte für diskriminierend
Und wie kommt die Bezahlkarte bei den Geflüchteten an? Man habe ganz gemischte Reaktionen erlebt, sagt Petra Breuer. „Die meisten haben das neue System einfach so akzeptiert. Andere haben die Bezahlkarte ausdrücklich begrüßt. Sonst mussten sie einmal im Monat zur Gemeindeverwaltung kommen und sich das Bargeld abholen.“ Und dann habe es diejenigen gegeben, die die Zahlkarte kritisch sähen. Die habe man aber meist im persönlichen Gespräch überzeugen können.
Petra Breuer moderiert in Hövelhof zudem einen Kreis von ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern. „Auch diese stehen der Bezahlkarte nicht ablehnend gegenüber, ganz im Gegenteil, sehen sie auch Vorteile“, berichtet Breuer. „Etwa, dass die Bezahlkarte nicht für Glücksspiele eingesetzt werden kann.“
Der Flüchtlingsrat NRW lehnt dagegen die Einführung der Bezahlkarte weiter generell ab, wie Geschäftsführerin Birgit Naujoks auf Anfrage unserer Redaktion sagt: Mit der Gemeinde Hövelhof habe man zwar keinen direkten Kontakt gehabt. „Erfahrungen von Schutzsuchenden sind uns jedoch aus Velbert berichtet worden“, sagt Naujoks. Dort war im Juli ebenfalls die Bezahlkarte eingeführt worden. „So, wie die Bezahlkarte vorgesehen ist, ist sie eine weitere diskriminierende Maßnahme“, erklärt die Geschäftsführerin. Und weniger Fluchtanreize erreiche man damit auch nicht.
Petra Breuer, die Fachfrau aus Hövelhof, bleibt dagegen eine Befürworterin, die auch genau wissen will, wie die Bezahlkarte im Alltag funktioniert. „Einmal bin ich mit einem Geflüchteten, der Schwierigkeiten mit der Karte hatte, selbst einkaufen gegangen“, berichtet sie. Dabei klärte sich schnell: Es lag nur an einer falsch eingegebenen PIN, also Geheimzahl. Probleme, die auch sonst jeder Kartennutzer kennt.