Hagen. Die Talbrücke sollte längst abgerissen und neu gebaut sein. Nun aber muss sie wegen Problemen im Erdreich noch über Jahre den Verkehr tragen.

Das Geräusch verstummt nicht. Darum geht es ja bei all dem. Bam-bam. Bam-bam. Dort, wo das Ende der Brücke mit einer kleinen Kuppe auf der Fahrbahn erreicht ist, entsteht es. Mit jedem Auto: Bam-bam. Bam-bam. Herzschlag der Region. Im Moment, sagt Nadja Hülsmann, Bereichsleiterin Bau bei der Autobahn GmbH Westfalen, und blickt nach oben auf den Betonkoloss, sei sie wieder häufiger an diesem Ort: Hagener Süden, viel Grün – und mittendrin die Talbrücke Brunsbecke an der Autobahn 45, die sich zur Sorgenbrücke entwickelt.

2017 begannen vorbereitende Maßnahmen im fast alpinen Gelände, Baustraßen wurden aufwändig angelegt, was allein schon Millionen kostete. Im April 2019 rückte der damalige Landesverkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) zum Spatenstich an. Schöne Bilder entstanden für die Öffentlichkeit mit eigens beschrifteten Spaten. Hagens Oberbürgermeister Erik O. Schulz (parteilos) sagte feierlich: „Das ist ein guter Tag für Hagen, die A 45 ist die Lebensader unserer Wirtschaft.“

Bam-bam. Bam-bam.

Unliebsame Überraschungen: Vor der Schaufel ist es immer dunkel

Viel Geld und Jahre später herrscht dort Stille, wo längst eine neue Brücke stehen sollte oder sich wenigstens Kräne drehen und Bagger Erde bewegen sollten. Dass das steile Gelände anspruchsvoll für einen solchen Bau sein würde, war klar. Dass sich aber die Bodenbeschaffenheit zu einem solchen Problem entwickeln würde, war nicht abzusehen. „Vor der Schaufel ist es immer dunkel“, hat die Direktorin der Autobahn GmbH Westfalen, Elfriede Sauerwein-Braksiek, mal in anderem Zusammenhang gesagt. Heißt: Jede noch so gute Planung ist nicht vor unliebsamen Überraschungen gefeit. Aber so?

Unterirdische Ausläufer des Schiefergebirges haben sich zu einem Boden formiert, der hier völlig anders ist als dort. Problem: zwischen hier und dort liegen nur wenige Meter – und Welten, was die Tauglichkeit für die Gründung von bis zu 60 Meter hohen Betonpfeilern angeht, die eine Tausende Tonnen schwere Brücke in einer Windschneise tragen sollen. Und: Die schweren Maschinen, die gebraucht werden, müssen ebenfalls sicher stehen. Nur wo?

Drei verschiedene Bodengutachten - und immer wieder Baustopp

Zur Beantwortung dieser Frage ist das Bodengutachten des ersten Baus aus den 1960er Jahren geprüft worden. Ein weiteres wurde 2017 erstellt. Vergabe des Neubauauftrags 2019 an eine Arbeitsgemeinschaft rund um den Bauriesen Hochtief. Spatenstich. Beginn der Arbeiten. Stopp der Arbeiten wegen der Probleme mit der Gründung. Erweitertes Bodengutachten 2020. Folge jüngst: alles muss neu berechnet werden. Das macht sogar die Neuvergabe des Baus notwendig. Eine absolute Seltenheit, die manch eine Ingenieurin in ihrer Laufbahn noch nicht erlebt hat.

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„Es wird zeitnah über eine Ausschreibung ein Ingenieurbüro beauftragt, die vorhandene Brückenplanung zu überarbeiten“, sagt Nadja Hülsmann. Das könne man sich „wie ein Aufgabenheft für den kommenden Auftragnehmer vorstellen“, der danach gesucht werden muss. Das Projekt, das ohnehin schon Jahre im Verzug ist, verliert weitere wichtige Zeit.

Seriöse Antwort auf die Frage, wenn die Brücke steht, ist kaum möglich

„Ein Zeitpunkt für die Vergabe des Neubau-Auftrags kann derzeit nicht genannt werden“, lautet die Antwort der Autobahn GmbH auf eine entsprechende Frage dieser Redaktion. Die Frage, wann die Brücke schätzungsweise fertig gebaut sein wird, lässt die Behörde unbeantwortet. Eine seriöse Antwort darauf, heißt das wohl, ist nicht möglich. Auch die Frage, von welcher Bauzeit einst ausgegangen worden war, beantwortet die Autobahn GmbH nicht. Von mindestens drei Jahren muss wohl ausgegangen werden.

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Das wäre alles womöglich weniger interessant, wenn nicht einige Kilometer weiter südlich in Lüdenscheid eine Brücke gestanden hätte, die es nun nicht mehr gibt: Die Autobahntalbrücke Rahmede wurde wegen akuter Einsturzgefahr im Dezember 2021 gesperrt und im vergangenen Mai gesprengt werden musste. Interessant: Wegen des Baujahres und der ähnlichen Bauart firmieren die beiden als Schwesterbrücken.

Brunsbecke gehört zu den am schlechtesten benoteten Brücken

Was bedeutet es nun, wenn es zwei ähnliche Brücken gibt, von der eine marode ist und die andere – als eine der zuletzt am schlechtesten benoteten Brücken auf der A 45 zwischen Dortmund und hessischer Grenze – längst abgerissen und neu gebaut sein sollte, nun aber noch über Jahre den Verkehr tragen muss? Der Verkehr ist auf beiden Fahrspuren nach außen verlegt, dorthin, wo die Hauptträger der Brücke verlaufen, so dass die Last am besten getragen werden kann. Lkw dürfen nur 60 Stundenkilometer und im Abstand von 50 Metern zueinander fahren. Eine eilig anberaumte Laserscan-Untersuchung nach der Sperrung der Rahmede brachte keine Erkenntnisse über Schäden an der Brunsbecke.

Die neue Talbrücke Brunsbecke sollte längst stehen - nun wird es noch Jahre bis zur Fertigstellung dauern.
Die neue Talbrücke Brunsbecke sollte längst stehen - nun wird es noch Jahre bis zur Fertigstellung dauern. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Die wird jetzt intensiv überwacht: alle sechs Jahre findet an allen Brücken im Land eine Hauptprüfung statt, dazwischen eine Einfachprüfung. „Um zusätzliche halbjährliche Sonderprüfungen und Instandhaltungen zu ermöglichen, ohne in den Verkehr eingreifen zu müssen, wird an der Brücke ein Untersichtgerät eingehängt“, antwortet die Autobahn GmbH auf die Frage nach dem Prüf-Rhythmus: „Im Herbst soll dieses Unterfahrgerüst, das speziell für diese Brücke geplant und angefertigt werden muss, installiert werden.“

Sanierung der bestehenden Brücke soll weitere Nutzung sichern

Weitere Maßnahmen zur Stärkung der Brücke: eine Stahlsanierung, bei der unter anderem Risse in Schweißnähten beseitigt werden. Zudem werden die Stegbleche stabilisiert, „um Schäden durch eine weitere Überlastung vorzubeugen“, wie die Autobahn GmbH mitteilt. Für die Pfeilersanierung werde derzeit ein Konzept entwickelt. „Die nun anstehenden Instandsetzungen sorgen dafür, dass die vorhandene Brücke bis zum Neubau des ersten Teilbauwerkes weiter genutzt werden kann“, so die Behörde.

Der Neubau aller Brücken – inklusive des sechsspurigen Ausbaus der Sauerlandlinie – ist von Beginn an als Mammutprojekt beschrieben worden, das einst 2032 beendet sein sollte, was längst illusorisch ist. Wann wird das Projekt abgeschlossen sein? Die Autobahn verweist auf bürokratische Ungewissheiten – und liefert keine konkrete Antwort.

<<< HINTERGRUND >>>

200 Meter von der Brunsbecke entfernt ist die Talbrücke Kattenohl Teil der A 45 – deswegen waren die Bauwerke zu einem großen Projekt zusammengefasst worden. Hochtief wird seine Arbeiten dort fortsetzen. Auch dort „haben die schwierigen Baugrundverhältnisse Anpassungen unter anderem der Gründung und der Bauablaufplanung notwendig gemacht“, hieß es von der Autobahn GmbH. „Die Änderungen sind allerdings weniger gravierend, so dass es hier keine weiteren Anpassungen gibt.“