Iserlohn. Unternehmen aus Iserlohn und Bochum entwickeln Technologie, an der Raumfahrtbehörde NASA und Techkonzerne interessiert sind.

Die Firma Ingpuls aus Bochum kennt sich bestens aus mit Form-Gedächtnis-Legierungen, die Hagener Bender Gruppe ist Weltspitze, wenn es um hauchzarte Drähte aus Edelstahl geht. Gemeinsam haben sie eine Technologie entwickelt, die für Aufsehen in der Welt sorgt.

Mit bloßem Auge ist der Draht kaum zu sehen, so fein wird er im Grüner Tal in Iserlohn beim Traditionsunternehmen Heinrich Stamm gezogen - bis auf elf Tausendstel Millimeter. Ein Menschenhaar ist siebenmal dicker. Es ist ein Hauch von Metall, ausgestattet mit enormem Gedächtnis und Fähigkeiten, der vielleicht bald Standardprodukt in vielen Smartphones wird.

Am Ende des Drahtziehens im Iserlohner Werk, wird das Material mit dem bloßen Auge kaum noch sichtbar sein.
Am Ende des Drahtziehens im Iserlohner Werk, wird das Material mit dem bloßen Auge kaum noch sichtbar sein. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Entwickelt haben den besonders intelligenten Draht die Hagener Bender Gruppe und das Bochumer Unternehmen Ingpuls. Für die in dieser Form einzigartige Spitzentechnologie aus Westfalen interessieren sich Institutionen wie die US-Raumfahrtbehörde NASA genauso brennend, wie große Internetkonzerne, Autohersteller oder eben Handyhersteller in aller Welt. Produktion und Know-how bleiben aber da, wo sie sind – im Sauerland und dem Ruhrgebiet.

Timo Fichtel ist Geschäftsführer der  Firma Hagener Feinstahl in Iserlohn, Montag, 04.11.2024. Die Hagener Feinstahl kooperiert mit Spezialisten aus Bochum, die feinsten Drähten enorme Intelligenz verleihen können. Eine Innovation, an der der von der NASA bis zu Meta alle interessiert sind. Foto: Olaf Fuhrmann / FUNKE Foto Services

„Die Kooperation mit Ingpuls ist gut für die gebeutelte Region, aber auch für uns selbst.“

Timo Fichtel

„Das ist gut für die gebeutelte Region, aber auch für uns selbst“, sagt Timo Fichtel, Geschäftsführer der Hagener Bender Gruppe, zu der das Iserlohner Werk der Heinrich Stamm GmbH gehört. Seit diesem Sommer ist die westfälische Kooperation mit der noch jungen Bochumer Firma Ingpuls offiziell, aber bereits seit rund zwei Jahren haben Material- und Fertigungsspezialisten beider Unternehmen ihre speziellen Kenntnisse ausgetauscht. Ein Schwerpunkt der Zusammenarbeit werde in der Entwicklung und Produktion immer filigranerer, hochreiner Drähte aus Nickel-Titan-Formgedächtnislegierungen liegen.

Unabhängige Drahtzieherei seit mehr als 200 Jahren

Die Bender Gruppe mit rund 165 Beschäftigten und Werken in Hagen, Nachrodt, Iserlohn und den USA ist hoch spezialisiert auf dünnste Edelstahldrähte, insbesondere mit der Iserlohner Tochtergesellschaft Heinrich Stamm, wo seit mehr als 200 Jahren Draht gezogen wird. „Wir sind über Generationen mit unseren Standorten im südlichen Ruhrgebiet, dem Sauerland und den USA zu der größten Stahlerzeuger unabhängigen Drahtzieherei geworden“, sagt Inhaber und Mitgeschäftsführer Ingo Bender.

Gefertigt werden Edelstahldrähte in der Größenordnung von 15 bis 0,011 Millimeter. In diese Minidimensionen dringe außer den Iserlohnern nach Aussagen des Unternehmens nur noch ein Konkurrent in Japan vor. Ziel der Zusammenarbeit mit Ingpuls aus Bochum sei es, die Grenzbereiche der Drahtherstellung weiter zu verschieben, erklärt Bender.

Ingpuls - Ausgründung aus einem Forschungsprojekt an der RUB

Der Kooperationspartner Ingpuls wurde 2009 in Bochum als Ausgründung der Ruhr-Universität gegründet. Ingpuls ist auf Formgedächtnislegierungen aus Nickel und Titan spezialisiert und hat rund 80 Mitarbeiter. Einem Metall im Verarbeitungsprozess besondere Eigenschaften mit auf den Weg zu geben, an die es sich ein Produktleben lang erinnert, ist nicht neu. Formgedächtnislegierungen werden heute bereits millionenfach verwendet. Besonders sind offenbar die Dimensionen, in die Ingpuls und Bender nun vordringen können.

Felix Manhart Head of Marketing Ingpuls GmbH aus Bochum

„Mit der Bender Gruppe verbindet uns viel: ähnliche Werte, eine Anpackermentalität, kurze Wege – wir kommen ja alle aus dem Ruhrgebiet. Da gibt es keinen besseren Partner.“

Felix Manhart

„Wir wollen diese Technologie nach vorne bringen. Mit der Bender Gruppe verbindet uns viel: ähnliche Werte, eine Anpackermentalität, kurze Wege – wir kommen ja alle aus dem Ruhrgebiet. Da gibt es keinen besseren Partner“, sagt Ingpuls-Sprecher Felix Manhardt.

Um ansatzweise zu verstehen, wie einem Metalldraht ein möglichst gutes Gedächtnis verpasst werden kann, bräuchte es mehr als ein paar Nachhilfestunden in Sachen Werkstoffkunde. Vereinfacht dargestellt, haben die Drähte die Fähigkeit, ihre Form bei entsprechendem Impuls wie Wärme oder Kälte zu verändern - und sich schließlich an ihre Ursprungsform zurückerinnern zu können, und zwar ein Produktleben lang. Was die Iserlohner Drahtspezialisten von Heinrich Stamm gemeinsam mit den Ingenieuren von Ingpuls aus Bochum tun, ist nicht nur die Verschmelzung von Exzellenz aus zwei Welten zu einer sehr begehrten Technologie, sondern auch ein Beispiel dafür, wie traditioneller Mittelstand und Post-Start-ups voneinander profitieren können.

„Ein Unternehmen, das neu entstanden ist wie Ingpuls, ist uns beim Thema Nutzung von neuen Medien weit voraus. Wir sind in den vergangenen 200 Jahren nicht mit Social Media in Verbindung gekommen und können insgesamt im Bereich der Digitalisierung von Ingpuls einiges lernen“, glaubt Timo Fichtel.

Geflochtener Draht so weich wie Seide

Seine Zukunft hat der intelligente Minidraht nicht nur in der Kamera von Handys, sondern auch in der Medizin. Stents aus geflochtenem Draht, so weich wie Seide, können in hochsensiblen Regionen des menschlichen Körpers eingesetzt werden, wenn dort die Blutzufuhr in Gefäßen verstopft ist. Das Material kann lernen, sich bei einer bestimmten Temperatur die Form zu verändern, also sich etwa ab 36 Grad Celsius auszudehnen und so Gefäße wieder aufzuweiten. Der Vorteil des neuen Materials: diese geflochtenen Neurostents sind so winzig, dass sie auch an schwierig zugänglichen Stellen im Gehirn eingesetzt werden können.

Den Möglichkeiten der Kooperation und den möglichen Anwendungen scheinen kaum Grenzen gesetzt zu sein. Neben Medizintechnik, Elektronik oder Autobau, sieht Geschäftsführer Fichtel in der Heizungs- und Klimatechnik einen großen Markt. Der Draht könne aufgrund seiner besonderen Struktur sowohl Wärme aufnehmen als auch abgeben und könne die Nachhaltigkeit von Wärmepumpen steigern.

Weitere Themen aus der Region: