Hagen. Der Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW, Heinrich Bökamp, glaubt nicht, dass noch einmal Lkw-Verkehr über die gesperrte A45-Brücke fließt.

Im August meldete die Autobahn GmbH, dass sich 3000 von 27.000 Autobahnbrücken im Land in einem kritischen Zustand befinden. Auch angesichts der aktuellen Brückensperrung an der A 45 fordert der Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW den Bund auf, das Sanierungstempo zu erhöhen. Der Westfale Dr. Heinrich Bökamp, einer der führenden Brückenexperten im Land, sieht schwarz für die derzeit gesperrte Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid.

Seit Jahren wird über marode Autobahnbrücken diskutiert. Wie dramatisch ist die Situation wirklich? Drohen weitere Sperrungen?

Heinrich Bökamp: Ich befürchte ja. Sperrungen wie an der A 45 sind Vorboten eines unvermeidlichen Kollapses unserer Infrastruktur. Wenn nicht jetzt mit aller Macht gegengesteuert wird. Sonst werden wir in absehbarer Zeit ein Verkehrschaos ohnegleichen erleben.

Ist man am Beispiel der Talbrücke Rahmede sehenden Auges in das Verderben gelaufen?

Heinrich Bökamp, ist Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW und der Bundesingenieurkammer.
Heinrich Bökamp, ist Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW und der Bundesingenieurkammer. © Unbekannt | Ingenieurkammer-Bau NRW

Die Entwicklung war abzusehen. Die Brücke wurde 1968 fertiggestellt. Dass sie – wie viele andere Brücken im Bundesgebiet auch – sanierungsbedürftig ist, stand seit sieben Jahren fest. Nach den bisherigen Planungen sollte aber erst in fünf Jahren mit einem Ersatzneubau begonnen werden. Mich erinnert das Verhalten der Politik in Bezug auf Instandhaltung und Neubau von Autobahnbrücken an das Vorgehen mancher Gebrauchtwagenbesitzer: Man weiß, dass der Pkw alt ist und viele Kilometer auf dem Tacho hat und hofft dennoch, irgendwie durch den TÜV zu kommen und noch 1000 Kilometer zu schaffen. Und dann wundert man sich, wenn der Wagen plötzlich stehen bleibt. Auch bei Brücken kann man nicht auf den Tag genau sagen, wann ein Bauteil letztlich marode ist. Das Gefährliche ist, dass sich Verformungen an sicherheitsrelevanten Teilen des Tragwerks, wie jetzt bei der Talbrücke Rahmede, nicht unmittelbar ankündigen.

Wie geht es aus Ihrer Sicht jetzt weiter mit der Talbrücke?

Zunächst: Wenn eine Verformung im Stahlüberbau auftritt, eine Beule sozusagen, ist das ein deutliches Signal, dass die Brücke der Last nicht mehr standhält. Und wenn erst eine Beule da ist, kann man davon ausgehen, dass an anderen Stellen weitere folgen werden. Für mich steht fest: Die Brücke ist für den Schwerlastverkehr ein für alle Mal hin. Lkw werden nicht mehr darauf fahren können. Man könnte allenfalls versuchen, Pkw-Verkehr darüber laufen zu lassen.

Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass sich Brücken aus den 60er Jahren in einem kritischen Zustand befinden?

Die heutigen Anforderungen sind nicht mehr mit denen während der Bauphase vergleichbar. Die Brückenbauer konnten nicht mit einer derartigen Zunahme des Verkehrs, insbesondere des Schwerlastverkehrs, rechnen. Ein Lkw mit einer Achslast von zwei Mal 10 Tonnen schadet einer Brücke so wie tausende Pkw. Schwerlaster tun Brücken weh, das ist einfach so. Irgendwann hält eine Brücke der Belastung nicht mehr stand. Das wusste man seit langem. Und doch hat man nicht schnell genug reagiert.

Welche Rolle spielen dabei die langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren?

Eine große. In Deutschland dauern Planung und Genehmigung von Autobahnbrücken länger als der eigentliche Bau. Es muss schneller gehen, wenn an gleicher Stelle ein neues Bauwerk errichtet wird.

Fehlen Bau-Ingenieure in den öffentlichen Verwaltungen?

Überall fehlen Fachkräfte, aber das ist beim Brückenbau nicht das größte Problem. Zumal in den vergangenen Jahren die Attraktivität öffentlicher Verwaltungen gestiegen ist. Aber man muss sich fragen, wie man an mehr Personal für neue Brückenbauprojekte kommt. Es gibt immer Mittel und Wege. Kurzfristig könnte man beispielsweise – wie beim Impfen – Fachkräfte aktivieren, die im Ruhestand sind. Richtig sind Strategien, die langfristig die MINT-Fächer in den Schulen und Universitäten stärken. Wir als Kammer unternehmen einiges, junge Menschen für das Bau-Ingenieurwesen zu begeistern. Doch wie man sieht, ist das ein Problem, das die gesamte Gesellschaft angeht.

Was muss der Bund jetzt tun, um das Problem maroder Autobahnbrücken in den Griff zu bekommen?

Er muss das Sanierungstempo deutlich erhöhen und für Verlässlichkeit bei Brückenbauprojekten sorgen. Es geht nicht, dass jedes Jahr erst Haushaltsberatungen abgewartet werden müssen, um Klarheit darüber zu erhalten, ob ein notwendiges Autobahn-Bauprojekt finanziert werden kann oder nicht. Brücken sind systemrelevant. Man sieht gerade im Sauerland, wie der Ausfall einer Brücke nicht nur eine Autobahn lahmlegt, sondern auch das öffentliche Leben beeinträchtigt. Und man darf nicht vergessen, dass solche Ereignisse das Vertrauen der Menschen in ihre öffentliche Infrastruktur beschädigen.

Hintergrund:

Heinrich Bökamp ist , Fachrichtung Massivbau und Metallbau. Er steht seit Oktober 2020 auch der Bundesingenieurkammer als Präsident vor.

Seit 2004 ist er geschäftsführender Gesellschafter eines Ingenieurbüros in Münster.