Mülheim. Nach dem Zerwürfnis in der Fraktion ist Mülheims AfD mehr mit sich selbst beschäftigt als damit, für die Stadt Politik zu machen. Eine Analyse.
Knapp ein Jahr ist es her, dass in Mülheims AfD ein Machtkampf entbrannte, der den damaligen Fraktionschef Alexander von Wrese im Stadtrat auch fraktionsintern ins Abseits stellte. Ein Blick auf drei Jahre AfD nach der Kommunalwahl 2020.
Im Stadtrat war die vierköpfige AfD-Fraktion von der Konstituierung des Stadtrates an ganz auf sich gestellt, politisch isoliert. Als viertstärkste Fraktion ins Rathaus eingezogen, zeigte ein breites Bündnis aus CDU, Grünen, SPD, MBI und FDP der Fraktion sogleich die absehbaren Grenzen ihrer politischen Entfaltungsmöglichkeiten auf. Für die Besetzung der Ausschussvorsitze schlossen sie sich zu einer Liste zusammen. So bekam die AfD, deren Kreisverband sich nie vom rechtsextremen Flügel ihrer Partei abzugrenzen gedachte, nur einen einzigen Ausschussvorsitz, im wenig bedeutsamen Betriebsausschuss. Gegen Protestler am Rathaus, die sich gegen den Einzug der AfD in den Stadtrat richteten, stellte die AfD (letztlich erfolglos) Strafanzeige.
AfD mit wenigen Initiativen in Mülheims Stadtrat
Nicht nur wegen ihrer politischen Isolation blieb die AfD in den vergangenen Jahren blass. Sie besetzt auch wenige Mülheimer Themen. Von 320 Anträgen und Anfragen, die Mülheims Politik laut dem Ratsinformationssystem in diesem Jahr im Stadtrat gestellt hat, sind nur 17 von der AfD. Elf davon beinhalten lediglich personelle Umbesetzungen, die die Fraktion in den politischen Gremien vornehmen wollte.
Fünf waren als Anfragen an die Verwaltung gerichtet. Etwa sollte diese berichten, wie oft Spielsand auf Spielplätzen ausgetauscht wird, wie hoch die Unterkunftskosten für abgelehnte Asylbewerber sind oder ob es, wie in Berlin und Hagen, auch in Mülheim Silvesterausschreitungen gegeben habe; bitteschön mit Auskunft zu „Tätergruppen hinsichtlich Herkunft und Alter“. Ausschreitungen hatte es nicht gegeben.
2023 ein einziger Antrag mit politischer Forderung: AfD fremdelt mit Mülheimer Themen
Im März wollte die AfD nach vorherigen Bürgerprotesten wissen, wie die Stadtverwaltung hinsichtlich der Parkstadt-Planungen „eine Ghetto-Bildung“ zu verhindern suche. Eine einzige politische Forderung findet sich in den Anträgen. Sie betraf die städtische Webseite. Die Stadtverwaltung sollte vom Stadtrat aufgefordert werden, die städtische Webseite auf Fehler zu durchforsten und nicht mehr aktuelle Formulare dort zu tilgen. Das war es in diesem Jahr. „Das ist mir auch ein persönliches Anliegen“, hatte AfD-Ratsherr Tobias Laue seinen Antrag noch begründet. . .
Von einem Mehr an politischen Initiativen, die der neue Fraktionschef Dominic Fiedler nach seiner erfolgreichen Rebellion gegen von Wrese dereinst angekündigt hatte, ist nichts zu sehen. Öffentlich in Erscheinung trat die AfD zuletzt nur mit einem Flugblatt, das sie in Raadt verteilte, um sich dort die Stimmung gegen die Missstände rund um die Flüchtlingsunterkunft des Landes zunutze zu machen. Mitunter sind es auch ganz banale Dinge, die Mülheims AfD nicht passen: So stimmte sie auch schon mal gegen ein Bürgerprojekt für eine Wildblumenwiese am Kleeberg.
Der Knall Ende 2022: AfD-Fraktion im Stadtrat stürzt ihren Fraktionschef
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Ob die AfD überhaupt als Fraktion zu betrachten sei, hatte die SPD schon 2021 angezweifelt angesichts der Tatsache, dass die AfD im Stadtrat immer wieder uneinheitlich abgestimmt hatte. Sicher: ein politisches Scharmützel. Zum tatsächlichen Knall kam es Ende 2022 beim „Putsch“ der Fraktionsmitglieder Dominic Fiedler, Karin Fiene und Tobias Laue gegen den damaligen Fraktionschef Alexander von Wrese, der die politische Außendarstellung der Partei in Mülheim die Jahre zuvor deutlich dominiert hatte. In Abwesenheit wurde von Wrese abgesetzt.
Bilder der Kampagne „AfD nee“ zur hessischen Landtagswahl
Trotz gegenteiliger Beteuerungen: Gekittet ist da nichts. Unversöhnlich stehen sich die Beteiligten gegenüber: Kreisvorstand gegen Fraktion und andersherum. Die AfD in Mülheim agiert nicht geschlossen, was sich etwa darin zeigt, dass der Kreisverband bei beachtlichen 3700 Followern in den sozialen Medien weiterhin nur seinen Vorsitzenden von Wrese vermarktet, mit bundespolitischen Themen, zuvorderst der Migration. Mülheimer Politik: meist Fehlanzeige.
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Mülheimer Kreisverband holte wiederholt Rechtsaußen der Partei nach Mülheim
In der Mülheimer Öffentlichkeit tritt die AfD seltenst in Erscheinung, hält selbst ihre Versammlungsorte geheim. Wer teilnehmen will, muss den Ort per Anmeldung abfragen. Für Aufsehen hat der Kreisverband mit diesen Veranstaltungen aber schon des Öfteren gesorgt. Weil er unter der Führung von Wreses nicht davor zurückschreckt, Vertreter des rechtsextremen Parteiflügels als Gastredner nach Mülheim zu holen, etwa Rechtsaußen Matthais Helferich zum Politischen Aschermittwoch in diesem Jahr.
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2019 durfte der Spitzenkandidat der brandenburgischen Landtagswahl, Andreas Kalbitz, in geschlossener Mülheimer AfD-Gesellschaft Flüchtlinge als „Goldstückchen“ und „Horden, die über die Grenze kommen“ diffamieren. Oder die deutsche Bildungspolitik abschätzig als „staatlich institutionalisierte Verblödung“ bezeichnen, die deutsche Justiz als „68er-durchseucht“ oder SPD-Politiker als „asoziale Demokraten“. „Deutschland, Deutschland“ sollen Mülheims AfD-Anhänger damals bei der Veranstaltung auf der Heimaterde lauthals skandiert haben.
Mülheims AfD-Parteichef versucht weiter, sich bundespolitisch ins Spiel zu bringen
Von Wrese arbeit weiter und seit Jahren an seiner Präsenz, mit Fokus auf die Bundespolitik, die seit Jahren erklärtes politische Karriereziel des Rechtsanwaltes aus Selbeck ist. Ein Mandat in Berlin aber ist ihm trotz zweier Kandidaturen bei den vergangenen Bundestagswahlen verwehrt geblieben – auch weil von Wrese bei den Listennominierungen offenbar nicht die nötigen Fürsprecher hinter sich versammeln kann.
Dabei positioniert er sich seit Langem mit bundespolitischen Statements, publiziert sie über den „Deutschland Kurier“, der seit 2017 als selbst ernannter Gegenpol zu den „Mainstream-Medien“ erscheint und zunächst vom AfD-nahen „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“ auch gedruckt herausgegeben wurde. Mittlerweile erscheint die Publikation aber nur noch online.
AfD-Vorsitzender von Wrese agitiert im Netz gegen die zunehmende Migration
Von Wrese wettert dort gegen politische Gegner oder aktuell und wiederkehrend den „Migrations-Terror“ oder die Beobachtung seiner Partei durch den Verfassungsschutz. Letzterer sei nur „ein Schutz der Altparteien“ und gehöre abgeschafft, heißt es da etwa. Von Wrese kommentiert Massenschlägereien unter Migranten in einem Berliner Freibad oder beklagt eine maßlose Aufstockung der Ukraine-Unterstützung. In einem Beitrag von 2022 wirft er der CDU vor, sich mit der Einführung einer „völlig fehlgeleiteten“ Frauenquote dem „links-grünen Mainstream vollends angepasst“ zu haben.
Wohin von Wreses Weg führt, ist unklar. Zur nächsten Kommunalwahl wird er zunächst mal den parteiinternen Mülheimer Machtkampf für sich entscheiden müssen.