Mülheim. Zwölf Jahre lang existieren schon die Pläne für Wohnbebauung auf dem Lindgens-Areal an Mülheims Ruhr. Jetzt steht fest, wie gebaut werden darf.
Nach einer weiteren Extrarunde und fast vier Jahren Dauer ist das Bebauungsplanverfahren für das in exponierter Ruhrnähe gelegene Areal der ehemaligen Lederfabrik Lindgens abgeschlossen. Die Genossenschaft Mülheimer Wohnungsbau (MWB) und die Sparkasse als Eigentümer der Fläche haben nun endlich Baurecht.
2011 hatten der MWB, die Sparkasse und damals noch Mülheims Immobiliengröße Jochen Hoffmeister das rund 42.000 Quadratmeter große Grundstück von Lindgens erworben. Bis 2016 lief allerdings noch ein Pachtvertrag mit der Lederfabrik Seton Autoleather vor deren Umzug zum Hafen. Es gab Streit um Abrissgenehmigungen mit der Stadt, danach insbesondere auch um die Unterschutzstellung des alten Kesselhauses samt Schornstein, was letztlich gerichtlich zugunsten des Denkmalwertes ausgelegt wurde.
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Mülheims Stadtrat segnet Baupläne für Lindgens-Areal mit großer Mehrheit ab
Nun aber ist Baurecht da, im Stadtrat stimmte eine breite Mehrheit für den Bebauungsplan. Nein-Stimmen gab es nur von den MBI und „Wir aus Mülheim“, „Die Partei“ enthielt sich. Im Kern folgt das Baurecht jenem siegreichen Entwurf aus dem städtebaulichen Wettbewerb, der vom Kassenberg aus im Norden die Ruhr entlang ein Band von Wohnbebauungen spannt. Hin zur Landstraße 223 (Kassenberg/Düsseldorfer Straße) ist ein „urbanes Gebiet“ für Gewerbe und Wohnen skizziert, das sich rund um die zu sanierenden denkmalgeschützten Reste der alten Lederfabrik entwickeln soll.
Zum Wohnen: War einmal von 360 Wohnungen die Rede, was auf Kritik gestoßen war, plant Investor SMW (S = Sparkasse, MW = Mülheimer Wohnungsbau) nun nur noch mit rund 250 Wohnungen. Sie sollen in Nachbarschaft des Saarner Auenweges auf vier Baufeldern entstehen und, wie Jürgen Steinmetz (MWB) und Christian Hechler (Sparkasse) nun erläuterten, mit einem breiten Spektrum an Wohnungsgrößen grundsätzlich eine Durchmischung der späteren Bewohnerschaft befördern.
„Vor 2025 glaube ich nicht, dass wir damit in den Vertrieb gehen können“
In jedem Fall soll es Zwei- bis Vier-Raum-Wohnungen geben, so Steinmetz, gegebenenfalls auch größere (Penthouse-)Wohnungen in Staffelgeschossen auf den vier- bis sechsgeschossigen Häusern (mit Tiefgaragen). Sie sollen so angeordnet sein, dass sie vier luftige Karrees mit privaten Innenhöfen bilden. Zum Bau von 30 Prozent öffentlich geförderter Wohnungen verpflichtet sich die SMW. Bis dato ist angedacht, diese Wohnungen auf dem nördlichsten und auf dem südlichsten Baufeld anzubieten. Die zwei Baufelder dazwischen sind für das klassische Bauträgergeschäft geplant – mit Eigentumswohnungen.
„Aber auch da ist noch Bewegung drin“, macht Steinmetz klar, dass die massiven Verwerfungen hinsichtlich der Baufinanzierung sowohl für Bauträger als auch potenzielle Käufer Umplanungen nötig machen könnten. So sei im Moment auch schwer ein Zeitplan zu nennen, wann erste Wohnungen am Lingens-Ruhrufer in die Vermarktung gehen könnten, sagt Christian Hechler als Abteilungsleiter im Immobilienservice der Sparkasse. „Meinem Team habe ich gesagt: Vor 2025 glaube ich nicht, dass wir damit in den Vertrieb gehen können.“
Mülheims Lindgens-Areal: Unter 5000 Euro/Quadratmeter wird nichts zu haben sein
Die Situation nach dem Ukraine-Krieg, mit explodierten Baupreisen und Zinsen, ist für Investoren und potenzielle Käufer herausfordernd. Die Kaufzurückhaltung, auch weil die finanzierenden Banken vorsichtiger geworden sind, hat der MWB zuletzt bei der Vermarktung von sechs Einfamilienhäusern an der August-Schmidt-Straße erlebt. Während man vor einigen Jahren noch Häuser habe verkaufen können, „ohne dass ein Stein gesetzt war“, habe man in Heißen zunächst gar „null“ Nachfrage gehabt. Erst langsam habe sich das Interesse gesteigert. Ihr Vorhaben, in Eppinghofens Dichterviertel eine autofreie Siedlung mit 40 Einfamilienhäusern zu bauen, hat die Wohnungsbaugenossenschaft wegen der Unsicherheiten vorerst auf Eis gelegt.
Also könnte auch auf dem Lindgens-Areal Geduld gefragt sein. Investor SMW will die Lage genau beobachten. Sparkassen-Experte Hechler glaubt nicht, dass hier in exponierter Ruhrlage Eigentumswohnungen noch für unter 5000 Euro pro Quadratmeter zu haben sein werden, wie vor Ausbruch des Ukraine-Krieges etwa noch am Broicher Waldweg. „Es wird sehr spannend, wie sich die Preise entwickeln“, sagt er. Steinmetz hofft gleichwohl auf „eine Beruhigung im Bausektor“ mit sinkenden Preisen. Wenn alles optimal läuft, könnten Mitte bis Ende 2025 die Bagger zum Wohnungsbau anrollen – über die neue (verkehrsberuhigte) Erschließungsstraße zwischen Kassenberg und Mintarder Straße.
Folgen des Ukraine-Krieges: Investor für eine Teilfläche ist abgesprungen
Zwischen Kassenberg und neuem Wohnquartier lässt das junge Baurecht wohnverträgliches Gewerbe und Wohnen zu, womöglich könnte hier laut Steinmetz auch ein Seniorenwohnheim Platz finden. Dabei sind denkmalgeschützte Produktions- und Verwaltungsimmobilien der alten Lederfabrik, darunter das Kesselhaus mit markantem Schornstein, zu erhalten.
Die SMW hatte das Ziel, diesen Teil des Geländes (mit fünf Baufeldern) für eine Entwicklung als Ganzes an einen Projektentwickler weiterzuveräußern. Laut Hechler glaubte man zur Jahreswende 2021/22 auch schon einen Käufer an der Angel zu haben. „Wegen der steigenden Kosten hat er Abstand davon genommen.“ Es gebe noch Gespräche mit Interessenten, zum Spätsommer hin wolle man die Vermarktung noch einmal forcieren. Das Areal werde auch Teil jener Investoren-Tour sein, zu der die Stadt potente Käufer nach Mülheim einlade. Gegebenenfalls will SMW einzelne Baufelder auch einzeln verkaufen oder selbst entwickeln. Wunschvorstellung bleibe aber der Weiterverkauf à la „Alles-aus-einer-Hand“, so Hechler.
>> Details zu den Planungen
- Festgelegt ist, dass der Heubach, der von West nach Ost über das Gelände fließt, wieder an die Oberfläche geholt und renaturiert wird.
- Festgeschrieben werden sollen in einem städtebaulichen Vertrag nicht nur Vorgaben zur baulichen Gestaltung. Der Investor hat auf Drängen der Grünen auch zugesagt, umfangreich Photovoltaik zu installieren. Laut einer Simulation der Medl soll es mit Grundwasser-Wärmepumpen und PV-Anlagen möglich werden, nicht nur den Eigenbedarf des Lindgens-Quartiers an Strom zu decken, sondern auch noch welchen ins Netz einzuspeisen. Flachdächer neuer Gebäude sind zu begrünen.
- Am denkmalgeschützten Kesselhaus ist ein Quartiersplatz geplant, der laut SMW-Geschäftsführer Steinmetz idealerweise auch Gastronomie zu bieten hat.
- Neben den Tiefgaragen mit rund 240 Stellplätzen unter den Wohngebäuden westlich des Saarner Auenwegs ist der Bau einer viergeschossigen Hochgarage mit rund 250 Stellplätzen zwingend für die künftigen Gewerbeeinheiten am Kassenberg. Daneben soll es 30 oberirdische Parkplätze, Besucher- und Behindertenparkplätze geben. Ebenso 500 Fahrradstellplätze allein für die Bewohner.
- Auf der neuen Erschließungsstraße zum Wohnquartier (Dorothea-Nekes-Straße) soll ein verkehrsberuhigter Bereich zwischen den Tiefgaragen-Bereichen so angelegt werden, dass Schleichverkehre zur Umgehung von Stau am Kassenberg unattraktiv sind.
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