Oberhausen. Sie beleidigen, drohen, verteidigen Rechtsextremisten – trotzdem schafft es die AfD, mehr Wählerstimmen zu erobern. Wie agiert sie in Oberhausen?
- In Hessen wählten am Sonntag 18,4 Prozent der Wähler die AfD zur zweitstärksten Partei – noch vor den Grünen und der SPD. Das ist für die AfD das historisch beste Ergebnis in einem westdeutschen Flächenland.
- In Bayern kam die AfD am 8. Oktober 2023 auf 14,6 Prozent – ebenfalls ein Rekordwert in dem größten Bundesland. Sie wurde drittstärkste Partei nach der CSU und den Freien Wählern.
- In Nordrhein-Westfalen finden die Landtagswahlen erst wieder 2027 statt. Doch die NRW-Kommunalwahlen inklusive Oberbürgermeister-Wahlen werden bereits in zwei Jahren durchgeführt. Die AfD legt bereits jetzt den Grundstein für mögliche Wahlerfolge in den Großstädten und Gemeinden. Wie macht sie das? Eine Analyse der Ratsarbeit der AfD in Oberhausen der vergangenen drei Jahre.
Seit knapp drei Jahren sitzt die AfD mit vier Männern im Rat der Stadt Oberhausen – sie bilden unter Führung des Vorsitzenden Wolfgang Kempkes die viertstärkste Fraktion des Rates. Wie agieren die Rechtsausleger? Eine Analyse.
1. Wie sich die AfD in Oberhausen entwickelt hat
Die AfD ist erstmals bei einer Oberhausener Kommunalwahl im September 2020 angetreten: Sie holte auf Anhieb knapp 5000 Wählerstimmen (7,6 Prozent). Allerdings schnitt sie im Vergleich zur Europawahl im Mai 2019 mit über 10.000 Oberhausener Wählern und bei der Bundestagswahl mit über 14.200 Stimmen deutlich schlechter ab.
Damals hatte der Oberhausener AfD-Kreisverband schon einen Häutungsprozess hinter sich: Der bekannteste Oberhausener AfD-Mann, der damalige Bundestagsabgeordnete Uwe Kamann, trat als bürgerlich-gemäßigter Unternehmer und Euro-Skeptiker enttäuscht von dem zunehmenden Rechtstrend der Partei Ende 2018 aus der Partei aus. Auch der hiesige Kreisverband sei ihm eindeutig zu rechts geworden, spätestens seit der alte Vorstand von neuen Köpfen „gekapert“ worden sei, sagte er damals. „Ideologen kann man nicht überzeugen.“ Bei der AfD Oberhausen gebe es kaum Personen, die „vorzeigbar“ seien.
Tatsächlich fielen AfD-Vorstandsmitglieder später durch üble rassistische Beiträge und Hass-Attacken in sozialen Netzwerken auf – die Urheber zogen sich dann aber im Mai 2020, wohl auch auf Druck des Landesverbandes, aus dem Kreisverband zurück.
2. Wie die anderen Parteien auf die AfD reagieren
Beim Einzug in den Rat gab es aus der Bürgerschaft noch Proteste. Mittlerweile hat sich die Aufregung gelegt, im Rat haben sich die Fraktionen daran gewöhnt, dass die AfD Anträge stellt, Kommentare abgibt, Reden schwingt.
Behandelt werden die vier AfD-Ratsmitglieder von Oberbürgermeister und Sitzungsleiter Daniel Schranz mit distanzierter Höflichkeit. Die anderen Fraktionen und Gruppen begegnen den AfD-Ideen und AfD-Provokationen in der Regel mit Schweigen – man will die AfD durch Ignorieren keine Bedeutung verleihen. Anträgen der AfD, wenn auch inhaltlich vernünftig, stimmen die anderen aus Prinzip nicht zu, weil „die AfD diese Sacharbeit doch nur als Deckmantel nutzt, um ihre rechtsextreme und demokratiefeindliche Ideologie durchzusetzen“ (ein SPD-Ratsherr). Schon im Wahlkampf weigerten sich die Kandidaten der anderen Parteien, an Podiumsdiskussionen mit AfD-Vertretern teilzunehmen. Betrachtet man die Stimmenzuwächse dieser vom Verfassungsschutz beobachteten Partei, ist diese Strategie allerdings nicht von Erfolg gekrönt.
3. Mit welchen lokalen Themen sich die AfD beschäftigt
Schon im Wahlkampf, aber auch danach agieren die wenigen öffentlich auftretenden AfD-Mitglieder geschickt: Sie greifen einfache Probleme auf, die Bürger im Stadtbild sehen – und die sie als störend empfinden. Es sind scheinbar nur geringe Mängel, die aber viele aufregen und vielen das Gefühl geben, da kümmert sich niemand von den Stadtverantwortlichen drum. So prangerte die AfD die tatsächlich vorhandene Verwahrlosung der beliebten Knappenhalde an, kaputte Lampen im öffentlichen Raum, große Pfützen auf Wegen an der Ruhr, die Ausbreitung des Riesenbärenklaus an der Ruhr, fehlende Sitzbänke und Müllbehälter, kaputte Zäune an Zugstrecken, etc.
Die mitgliederstarken Parteien wie SPD und CDU schaffen es nicht, Lösungen für solche offensichtlichen Mängel im Stadtgebiet öffentlichkeitswirksam zu verkaufen. Vieles wird intern behandelt, so manches aber läuft schief: Wo Verantwortliche handeln müssten, wo Lokalpolitiker als Anwälte der einfachen Bürger auftreten müssten. Der AfD fällt so die Rolle des Kümmerers zu.
4. Mit welchen bundesweiten Themen die AfD vor Ort agiert
Die Ideologie des rechtsextremen Flügels der AfD findet sich immer wieder in die Stellungnahmen der Oberhausener AfD-Politiker eingewoben. Man kämpft gegen die gleichmäßige Berücksichtigung von Frauen und Männern in der deutschen Sprache, allgemein „gendern“ genannt – mit folgenden Worten: „Die Verwendung einer politisch-verzerrten Kunstsprache, die den Marotten des grassierenden links-grünen Zeitgeistes entspringt, bricht der schriftsprachlichen Anarchie auch in Politik und Verwaltung eine Bahn.“
Sicherheit an zentralen Punkten ist ein Hauptthema der AfD. Sie raunt immer davon, dass Bürger, vor allem Frauen, sich nicht mehr im öffentlichen Raum wie am Hauptbahnhof aufhalten wollen – obwohl die Statistik der Polizei zeigt, wie gering die Zahl der Straftaten im Ruhrgebiet im Vergleich zu anderen Großstädten, erst recht international ist.
Bilder der Kampagne „AfD nee“ zur hessischen Landtagswahl
Wenn ein einzelner Schüler gegenüber einer Lehrerin gewalttätig wird, ist das für die AfD schnell ein flächendeckendes Problem von Messerträgern auf Schulhöfen. Schilderungen „aus dem privaten Umfeld“ (AfD) über Schulgewalt werden von der Partei veröffentlicht, überprüft man den Wahrheitsgehalt, ist da wenig dran. Obwohl viele Menschen weltweit Deutschland als vorbildlich funktionierendes Land betrachten, hat die AfD bundesweit ein Interesse, den Staat als abstürzende Republik zu betrachten – denn im Chaos ist der starke Rechtspopulist, der mit einfachen Lösungen und harter Hand regiert, der König. Deshalb spricht die AfD über Oberhausen immer wieder von einer „verwahrlosten Stadt“.
Die AfD-Vertreter im Rat bemühen sich zwar, nicht generell als Feinde von Zuwanderern und Ausländern wahrgenommen zu werden. So freuen sie sich über das thailändische Neujahrsfest im Zentrum Altenberg, sie verurteilen aber im Gegenzug finanzielle Förderungen für das „Afro Light“-Festival. Sie benutzen offen eindeutig rassistisches Vokabular: „In Alt-Oberhausen und in Osterfeld erleben wir Verwahrlosungstendenzen, begleitet von zunehmender Afrikanisierung und Orientalisierung“ (Kempkes). Bei Abschiebungen zeigen sie sich hartherzig: Als die Stadt einen afghanischen alleinerziehenden Vater mit vier Kindern, deren Mutter auf der Flucht gestorben war, nach zwei Jahren Aufenthalt nachts nach Kroatien abgeschoben hat, sagte AfD-Ratsherr Jörg Lange nur: „Was soll bitte daran schlimm sein, als Asylbewerber in ein Urlaubsland abgeschoben zu werden?“
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Die Begriffe „Ausländer“ und „Kriminalität“ werden immer wieder miteinander verknüpft. Geht es um das Problem, das Kinder unter 14 Jahren kriminelle Taten begehen, die sogar hier geboren sind, dann heißt es gleich: „Es gibt keine Gründe, ausländische Kriminelle, gleich welchen Alters, nicht abzuschieben.“ Trotz zahlreicher Medien-Diskussionen und -Berichte wird über das Thema Kriminalität und die Probleme der Zuwanderung behauptet: „Es besteht ein zwanghaftes Bedürfnis, die herausragende Bedeutung ausländischer Intensivtäter (einschließlich Doppelstaatler) kleinzureden.“ Bundesweit wirft sich AfD-Ratsherr Erich Noldus in die Bresche und verteidigt den thüringischen, rechtsextremistisch eingestuften AfD-Politiker Björn Höcke für die Verwendung der Nazi-SA-Losung „Alles für Deutschland!“
5. Mit welchem Stil die AfD auftritt
Seit rund einem Jahr, seit dem anziehenden Stimmenzuwachs der Partei im Bund, agieren die Oberhausener AfD-Ratspolitiker zunehmend selbstbewusster – schriller und aggressiver. Die Wortwahl wird schärfer, ihre Reden härter, vor persönlichen beleidigenden Angriffen auch gegen Journalisten mit Namensnennung schrecken sie nicht zurück. AfD-Fraktionschef Wolfgang Kempkes bezeichnete den Gewinn der Sparkasse als „Beute“, was den Vorstand in die Nähe einer Diebesbande rückt. Sein Kollege Erich Noldus sagte zu der seiner Meinung nach zu üppigen, jährlich zweistelligen Millionenförderung der Kultur unter der Ägide von Kämmerer und Kulturdezernent Apostolos Tsalastras (SPD): „Es wäre für die Stadt billiger, einen Flugzeugträger mit dem Namen USS Tsalastras zu finanzieren.“ Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU) beobachtet seit dem Herbst 2020: „Die AfD versucht zunehmend eine starke Polarisierung in Sitzungen, auch durch völlig unangemessene Versuche, einzelne Ratsmitglieder und Vertreter der Stadtverwaltung persönlich zu attackieren.“
Tatsächlich arbeitet die AfD mit dem Mittel der Einschüchterung, ihre Stellungnahmen beleidigen und verströmen hin und wieder einen drohenden Unterton. Ungewöhnlich für politische Debatten: Sie zog wegen eines Nazi-Vorwurfs des Linken-Fraktionschefs Yusuf Karacelik vor Gericht – und verlor. Das Engagement der „Omas gegen Rechts“-Akteurinnen wird „geistige Inzucht“ genannt. Drei weitere Beispiele: Drohend: „CDU und SPD sollten sich an den Gedanken gewöhnen, dass die Zeit des ungestörten Genießens ihrer Pfründe in Oberhausen mit dem Einzug der AfD der Vergangenheit angehört.“ Beleidigend: „Dummes Geschwätz ist unverzichtbarer Bestandteil der linksgrünen Ideologie.“ Oder die Kombi beleidigend und drohend: „Der linksgrüne Kulturbetrieb ist mit Existenzen durchsetzt, die ihre Daseinsberechtigung nur dadurch besitzen, dass sie konstruierte Minderheiten auf die konstruierte ,weiße Minderheitsgesellschaft’ hetzen.“
Von Anfang an nutzte die AfD im Rat die Möglichkeiten der Demokratie, um die Vertreter der anderen Parteien zu ärgern – und vorzuführen. So beantragt sie grundsätzlich selbst bei recht unbedeutenden Wahlen für Mitgliedschaften in Gremien und bei Versammlungen geheime Abstimmungen – und stellt einen eigenen Kandidaten auf. Das ist bei bekanntem Verhalten aussichtslos, verzögert aber die üblichen demokratischen Prozesse. Sie versucht so, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass es „Hinterzimmer-Absprachen“ gebe. Gleichzeitig hofft die AfD darauf, nicht nur vier AfD-Stimmen zu ernten für ihren Kandidaten, sondern den einen oder anderen Demokraten aus der AfD-Antifront herauszubrechen. Ungültig gemachte Stimmen gab es dabei schon.
6. Welche politische Richtung die AfD vertritt
Die AfD konzentriert sich auf zwei Angriffsfelder: Auf den angeblich zu üppig ausgestatteten Staat in Form einer aufgeblähten Stadtverwaltung und auf die bestehende Kultur im Stadtgebiet, die öffentlich gefördert wird. Auffällig ist, dass die AfD-Ratsvertreter viele Beschlussvorlagen der Stadtspitze ablehnt – und als einzige immer wieder „Nein“ sagt, ohne allerdings ihrem Parteinamen gerecht zu werden und Alternativvorschläge vorzulegen. Ob Sanierungskosten im Bert-Brecht-Haus, die Umwandlung von langjährigen Honorar-Stellen in zwei halbe Museumsstellen, die Neuerungen für Sterkrade im aktualisierten Stadtteilkonzept, neue Teilzeitstellen in Schulen, ein verbilligtes Jobticket für viele Stadtbedienstete – die AfD sagt „Nein“.
Die Fraktion greift dabei zwei durchaus nicht unpopuläre Punkte an: Sie wehrt sich strikt gegen den Ausbau öffentlicher Stellen und will die millionenschwere Kulturförderung an Stadttheater oder soziokulturelle Gruppen, eher links eingestellt, stark reduzieren oder kippen.
Fraktionschef Wolfgang Kempkes jedenfalls tritt als Vertreter der neoliberalen Linie der Partei auf: weniger Staat, weniger Soziales, mehr Netto für Familien. „Die verfehlte Steuer- und Sozialabgabenpolitik reduziert die individuelle Freiheit der Bürger. Ein gerechter Sozialstaat sorgt für finanzielle Entlastungen der Familien.“ Das bedeutet nichts anderes, als dass die AfD Leistungen der Sozialversicherungen, der Krankenkassen und Jobcenter abbauen will.
7. Wie die AfD die Medien sieht
Ähnlich wie Rechtspopulisten in anderen Staaten betrachtet die AfD die Medienlandschaft in demokratischen Systemen als weitgehend feindlich eingestellt. Den Lokalredakteuren und Redakteurinnen vor Ort wirft die Oberhausener AfD vor, die Realität in ihren Berichten zu manipulieren, zu verfälschen, Aussagen zu verzerren und die Leserinnen und Leser mit Lügen zu überziehen. Journalisten seien parteipolitisch gebunden, wollten die Sinne ihrer Leser vernebeln und verdummen, um ihnen links-grüne Ideologien einzupflanzen, behauptet die AfD.
Einladungen zum Gespräch in die Redaktion lehnen sie ab („Da müssen Sie erst einmal andere Kommentare schreiben“), schriftlich gibt es wahlweise Beleidigungen („Fachlich überforderte Lokalredakteure sind unfähig, diese komplexe Thematik zu durchdringen und lassen sich von den Interessenvertretern der Asylindustrie bereitwillig über den Tisch ziehen“), aber auch die eine oder andere versteckte Drohung: „Schreiben Sie ruhig weiter Ihre Kommentare, Herr … !“
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