Herne. Die Stadt Wanne-Eickel wäre bald 95 Jahre alt geworden. Zu ihrer Gründung wurde eine Stadthalle gebaut. Warum sie alle nur „Käseglocke“ nannten.

Eine neue Ruhrgebietsstadt braucht auch eine eigene Stadthalle, soviel war für die Gemeindevertretungen Wanne, Eickel und Röhlinghausen schon vor der Gründung von Wanne-Eickel klar. Am geografischen Mittelpunkt der künftigen Stadt, die am 1. April 1926 aus der Taufe gehoben wurde, gaben sie deshalb den Bau einer zentralen Veranstaltungsstätte in Auftrag. Was damals niemand ahnen konnte: Die künftige Stadt hatte keine lange Lebensdauer – und die Stadthalle schon mal gar nicht.

Die Wanne-Eickeler Zeitung schreibt in ihrer Festausgabe zur „Werbewoche Wanne-Eickel-Röhlinghausen“ am 25. Juli 1925 nicht ohne Stolz, dass die Stadthalle, die sich zwischen Kurhaus und Löwenkirche erhebe, „nun fertig“ sei. Begeisterung aber sieht anders aus. „Die äußere Form (…) mag vielleicht nicht jedem Behagen, doch ist nicht zu leugnen, dass der Bau mit seinem hellen (übrigens auch wetterfesten) Anstrich und mit seiner geschmackvollen Einfassung einen äußerst freundlichen, wenn auch ein klein wenig schwerfälligen Eindruck macht“, heißt es in dem Bericht. Heute würde man sagen: Die neue Stadthalle ist kein Knaller, aber pragmatisch. Dazu passt auch der Name, den die Bürger ihrer neuen Stadthalle schnell verpassen: Käseglocke.

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Gebaut wird in Einfachbauweise: Holz wird mit Zement verputzt

Sie kennt die Geschichte der „Käseglocke“: Alina Gränitz, Mitarbeiterin im Herner Stadtarchiv.
Sie kennt die Geschichte der „Käseglocke“: Alina Gränitz, Mitarbeiterin im Herner Stadtarchiv. © FUNKE Foto Services | Kerstin Buchwieser

Der etwa 1500 Quadratmeter große Kuppelbau mit drei angrenzenden Sälen entsteht nach dem Entwurf des Wanner Beigeordneten und Baumeisters Bruno Lehnemann, erzählt Alina Gränitz, Mitarbeiterin im Stadtarchiv und Mitglied der Herner Geschichtsgruppe „Die Vier!“. Gebaut wird in Einfachbauweise: Holz wird mit Zement verputzt. Die rund 800 Quadratmeter große Haupthalle habe ein regelmäßiges Achteck gebildet, das sich nach oben stufenförmig verjüngte, sagt Gränitz. Durch den ein wenig gedrungen wirkenden Eingang sei der Besucher in den im Scheitelpunkt ungefähr 15 Meter hohen Innenraum getreten. „Das Tageslicht“, so die Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste, „fiel gedämpft durch große Oberlichtfenster und Öffnungen an den Seiten.“

Für die Beschaffung des Inventars der neuen Stadthalle habe sich der Gymnasialturnlehrer Paul Käse eingesetzt. Aus diesem Grunde und wegen der äußeren Bauform habe die Stadthalle den besagten Spitznamen „Käseglocke“ erhalten. Dem Bau selbst sei lediglich eine Lebensdauer von zehn Jahren vorausgesagt worden: „Man ging davon aus, dass durch eine stetig wachsende Entwicklung der neuen Stadt Wanne-Eickel eine viel größere Halle notwendig werden würde.“

Heimatmuseum wird in dem neuen Bau eröffnet

Ein Blick in den Innenraum: die „Käseglocke“, die ehemalige Stadthalle der Stadt Wanne-Eickel.
Ein Blick in den Innenraum: die „Käseglocke“, die ehemalige Stadthalle der Stadt Wanne-Eickel. © Stadtarchiv

Die Stadthalle, so pragmatisch wie sie ist, mausert sich zum Anziehungspunkt der neuen Stadt. Schon zur Eröffnung am 26. Juli 1925 gibt es ein umfangreiches Ausstellungsprogramm, an dem sich unter anderem der Verkehrsverein Wanne-Eickel, der Kunstverein Wanne-Eickel, Handel und Gewerbe sowie die im selben Jahr gegründete Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel beteiligen. Die traditionsreiche Gesellschaft sei es auch gewesen, die 1927 ein Heimatmuseum in der Käseglocke eröffnet: „Das war natürlich ein besonderes kulturelles Ereignis für die blutjunge Stadt Wanne-Eickel“, so Gränitz (28). Zahlreiche Veranstaltungen unterschiedlicher Art wie etwa patriotische Schulfeiern des benachbarten Realgymnasiums, des jetzigen Gymnasiums Eickel, Konzerte, Sängerfeste, Vorträge, Ausstellungen, Geflügelschauen, Theateraufführungen sowie Rezitationsabende runden das Programmangebot ab.

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Auch und gerade der Sport spielt in der Käseglocke eine große Rolle – „obwohl die Halle dafür gar nicht ausgelegt war“. So gibt es am Tag der Stadtwerdung für die frischgebackenen Städter ein Stunden-Mannschaftsrennen der Radfahrer. Und 1926 boxt der Lokalmatador Walter Neusel vor 2000 Zuschauern – acht Jahre, bevor er in Hamburg gegen einen gewissen Max Schmeling im Ring steht. Es sind aber vor allem Schüler, die in der Stadthalle Sport treiben: Sie wird als Turnhalle für die umliegenden Schulen genutzt. Klettergerüste und Sportgeräte verschwinden anschließend hinter beweglichen Wandvorhängen.

1933 nehmen die Nazis die Stadthalle in Beschlag

Aus und vorbei: Am 17. Januar 1942 wird die „Käseglocke“ zerstört.
Aus und vorbei: Am 17. Januar 1942 wird die „Käseglocke“ zerstört. © Stadtarchiv

1933, berichtet Alina Gränitz, nehmen die Nationalsozialisten die Käseglocke in Beschlag: „Das Programm richtet sich nun nach der propagandistischen Ideologie der Nazis.“ So laden die neuen Machthaber etwa zur „Tiefenschulung“ der NSDAP, veranstalten die Taufe des ersten Gleitflugzeuges der Wanne-Eickeler Hitler-Jugendaktion oder lassen Hitlers Reden per Rundfunk in die Halle übertragen.

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Am 17. Januar 1942 habe sich dann – sieben Jahre nach dem prognostizierten Ende – das Schicksal der Käseglocke erfüllt: Gegen 21.15 Uhr brennt nach einem Konzert das Gebäude samt Inventar nieder. „Was folgte, war ein Streit darüber, ob Ursache des Brandes Feindeinwirkung durch eine Brandbombe oder fahrlässiger Umgang mit Zigarren-, Zigaretten- oder Streichholzresten war“, so die Mitarbeiterin des Stadtarchivs. Den Streit habe am 30. Dezember 1942 der 1. Spruchsenat des Reichskriegsschädenamtes beim Reichsverwaltungsgericht beendet: „Die Richter stellen lapidar fest, dass die Entstehung des Brandes durch Feindeseinwirkung in hohem Maße unwahrscheinlich sei.“

Wiederaufbau scheiterte wegen des Zweiten Weltkriegs

Wegen des Zweiten Weltkriegs wurde die Stadthalle nicht mehr aufgebaut.
Wegen des Zweiten Weltkriegs wurde die Stadthalle nicht mehr aufgebaut. © Stadtarchiv

Ein angedachter Wiederaufbau der Käseglocke sei wegen des Zweiten Weltkrieges nie realisiert worden – „und gehörte auch nach Ende des Krieges nicht zu den Wiederaufbau-Projekten“. Die Wanne-Eickeler seien dann lieber in den Städtischen Saalbau, dem heutigen Mondpalast im Wanner Stadtgarten, ausgewichen. Wobei auch diese Vergnügungsstätte ausgebrannt sei, und das gleich zweimal: 1944 nach einem Bombenangriff und 1981 nach Reparaturarbeiten auf der Bühne.

Die Stadthalle der Stadt Wanne-Eickel wurde somit nicht mal 20 Jahre alt, und auch die neue Stadt nicht mal 50. In diesem Jahr hätte die bis 31.12.1974 selbstständige Stadt Wanne-Eickel ihren 95. Geburtstag feiern können. Aber das ist eine andere Geschichte.

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>> WEITERE INFORMATIONEN: Das schreibt die Festausgabe zur Eröffnung

Unter dem Titel „Unsere Stadthalle“ berichtet die Wanne-Eickeler Zeitung in einer Festausgabe über das neue Bauwerk. „Am heutigen Tage werden unsere Mauern ungezählte Gäste beherbergen, die von ihrem Besuch den Eindruck mitnehmen sollen und werden, dass wir hier in Wanne, Eickel und Röhlinghausen mit Recht einen Platz an der Sonne beanspruchen dürfen“, heißt es zur Eröffnung der „Käseglocke“ am 25. Juli 1925.

Der Artikel schließt so: „So rufen wir allen alten und neuen Bekannten und Freunden mit dem Wunsche für eine bessere, hoffentlich friedliche Zukunft zu ein frohes, friedliches Glückauf!“