Herne. . Der Möllertunnel in Herne wurde nach dem Gastwirt Christian Möller benannt. Deshalb musste die Unterführung Ende der 1960-er Jahre weichen.
Der Bau des Westrings in den 1960er Jahren als innerstädtische Umgehungsstraße hat einen bedeutenden Nebeneffekt gehabt: Der „Möllertunnel“, lästerlich auch „Tuberkeldüse“ genannt, musste weichen.
Am 5. Oktober 1967 war Schicht im Schacht, der Möllertunnel wurde für den Verkehr gesperrt, erzählt der Heimatforscher Gerd Biedermann, Mitglied der Geschichtsgruppe „Die Vier!“. Im Zuge der Stadtkernerneuerung war die Umgestaltung der Bahnhofstraße zwischen Kreuzkirche und Bahnhof zur Fußgängerzone beschlossene Sache, und die Stadt habe deshalb mit dem Bau einer neuen Bahnunterführung begonnen. Sie sollte die beiden gerade fertiggestellten Teilstücke der Innenstadt-Umgehung, dem späteren Westring, verbinden.
Ein Stück Lokalgeschichte ging verloren
„Mit der Sperrung endete ein Stück identifikationsstiftende Lokalgeschichte“, sagt Biedermann. Mehr noch: Viele Herner verbänden noch heute mit dem Möllertunnel – der die Von-der-Heydt-Straße mit der ehemaligen Moltkestraße zum heutigen Westring zusammenführte – eine ambivalente Erinnerung, „man könnte fast sagen, eine besondere Form von Hassliebe“.
Der Name des Tunnels geht laut Biedermann auf Christian Möller zurück. Möller sei Stadtverordneter mit einer Gaststätte auf der Von-der Heydt-Straße gewesen. Mit dem Umbau des Bahnhofs und der Höherlegung der Bahngleise habe er sich noch vor dem Ersten Weltkrieg für diesen Fußgängerdurchgang eingesetzt.
Schild an Haus verwies auf „Möllertunnel“
Erfolgreich: „So hatten die Baukauer einen kürzeren Weg zum Stadtzentrum und zurück“, erklärt er. Die Bewohner der „anderen Seite“ hätten durch den Tunnel über eine Direktverbindung zum Herner Bahnhof verfügt. Und kurios: Zeitweise habe sogar ganz offiziell ein an einem Haus auf der Von-der-Heydt-Straße angebrachtes Schild auf den „Möllertunnel“ hingewiesen.
Ganz uneigennützig, sagt Biedermann, sei der Einsatz von Möller aber nicht gewesen. Anwohner und Bahngäste hätten diese Abkürzung genutzt, um sich bei Möller – oder in einer der anderen Gaststätten auf der Von-der Heydt-Straße – zu erfrischen oder die Wartezeit auf ankommende Züge zu verkürzen.
Im Laufe der Jahre sei der Gastwirt mit der Bezeichnung Möllertunnel aber nicht mehr glücklich gewesen, so der Heimatforscher mit Bezug auf Erinnerungen der Gastwirt-Tochter. Grund: Der Tunnel habe sich zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt, die Polizei sei häufig vor Ort gewesen, um „Halbstarke“ oder Betrunkene zur Ordnung zu rufen. „Hätten Sie ihn nur nie nach mir benannt“, soll Christian Möller nicht nur einmal nach einem Vorfall geseufzt haben.
Nicht zuletzt sei der Fußgängerdurchgang im Laufe der Jahre mehr und mehr „schmuddelig“ geworden. Immer wieder sei teilweise die Beleuchtung ausgefallen, es sei dreckig gewesen und habe mitunter nicht gut gerochen. Biedermann verweist in diesem Zusammenhang auf den Baukauer Schriftsteller und Verleger Robert Grabski. Die Bevölkerung, schrieb er in seinem Buch „Herne in alten Ansichten“, habe den Möllertunnel lästerlich auch „Tuberkeldüse“ genannt. „Kein Wunder also, dass viele den Durchgang so schnell wie möglich passierten“, kommentiert Biedermann.
Zu Bahnunterführung umgebaut
3. August 1970: Der neue Westring wird freigegeben. Foto: Bildarchiv der Stadt Herne
Und dann war Schluss: Nach der Sperrung des geschichtsträchtigen Tunnels wurde er zur heutigen Bahnunterführung ausgebaut. Eingeweiht und freigegeben worden sei sie mit dem Westring am 3. August 1970 von Oberbürgermeister Robert Brauner. Gleichzeitig sei die viel befahrene Bahnhofstraße, seinerzeit Teil der B 51, für den Durchgangsverkehr gesperrt worden.
Und die Fußgängerzone? Ende September 1976 schließlich sei der heutige Boulevard Bahnhofstraße eröffnet worden. Zeitgleich mit der Eröffnung der Fußgängerzone gab die Stadt die Broschüre „Richtungsweisend – Hernes Stadtkernentwicklung“ heraus. Und, das wird viele überraschen, den Möllertunnel gibt es nach wie vor, so Biedermann. Offiziell, das zeigt eine Luftbildaufnahme des erneuerten Stadtkerns, heißt die Bahnunterführung – Möllertunnel.
>> WEITERE INFORMATIONEN: Das sind die Erinnerungen der WAZ-Leser
Viele Herner erinnern sich gut an den „alten“ Möllertunnel und antworteten auf unseren Aufruf, sich zu melden. Hier einige Auszüge.
Ich musste zwei Jahre lang täglich zweimal hindurchgehen, und es war „nicht angenehm“. Nach dem Motto „Augen zu und schnell durch“ oder etwas realistischer „Scheuklappen an, Nase zu und durch“. Aber immer mal umdrehen, ob man nicht verfolgt wird in dieser düsteren, muffigen Atmosphäre. Barbara Rohde
Wenn ich mit dem Fahrrad fuhr, gab es regelmäßig Ärger. Die Polizei forderte uns auf abzusteigen, und wir mussten das Fahrrad hindurch schieben. Hans-Werner Wodziwoda
Vor dem Tunnel aus Richtung Von-der-Heydt-Straße gab es rechts eine kleine terrassenförmige Grünanlage mit Blumen und Bänken. Dort haben wir Kinder Räuber und Gendarm oder Gummitwist gespielt. Der lange schräge Abgang war ideal zum Rollschuhfahren. Elisabeth Brachmann
Voll und sehr laut war es im Tunnel auch immer, wenn Westfalia gegen die westdeutschen Top-Clubs Borussia Dortmund, Schalke 04, Rot- Weiss Essen, Schwarz-Weiß Essen, Meidericher SV, 1. FC Köln, Fortuna Düsseldorf antrat, die regelmäßig viele Schlachtenbummler mitbrachten, aber auch zu den Lokalderbys gegen den SV Herne-Sodingen. Harald Beisemann
Morgens sowie nach Schulschluss haben wir diesen Tunnel zweimal am Tag benutzt. Im Winter war er nur sehr schwach beleuchtet und im Sommer lagen oft noch Bierleichen dort, vom Geruch ganz zu schweigen. Trotzdem ist uns in den ganzen Jahren nichts passiert. Ute Kutowski
Unheimlich war er mir nie, da ich immer mit meinem Tretroller unterwegs war und da ziemlich schnell durch bin. Teilweise war ich sogar ohne Begleitung meiner Mutter, die im Schichtdienst bei Graetz gearbeitet hat, unterwegs. Wäre heute für einige Helikopter-Eltern unvorstellbar, aber ich habe überlebt. Martin Kortmann
Ich nannte diesen Tunnel „Quietschtunnel“, weil ich da nach Herzenslust schreien und quietschen durfte und dazu von meinem Papa motiviert wurde. Die Akustik in dieser engen Röhre war sehr stark. Joachim Hartlieb