Herne. Wanne hatte einst einen eigenen Flughafen, Herne war einer der Geldgeber. Attraktion des Airports war ein Luftschiff, die stolze „Charlotte“.

Der Traum vom eigenen Airport, er beginnt in Wanne vor 110 Jahren. Dort, wo heute die Halde Hoheward steht, wird in wenigen Monaten der Flugplatz Wanne-Herten aus dem Boden gestampft. Hauptattraktion auf dem Flughafen an der Emscher ist ein Luftschiff mit kaiserlichem Namen.

Es ist vor allem ein Ereignis, das die Gründung des Flughafens nach sich zieht: Im Juni 1911 macht ein Parseval-Luftschiff auf seiner Reise Zwischenstation auf einer Wiese im Wanner Emscherbruch. Die Luftfahrt und die Fliegerei stecken noch in den Kinderschuhen, und die Bevölkerung zeigt sich begeistert von den neuen Möglichkeiten, die sie hautnah erleben: Menschen können jetzt auch motorisiert in den Himmel aufsteigen! Ein eigener Flugplatz muss her! Gegründet wird deshalb im März 1912 die „Rheinisch-Westfälische Flug- und Sportplatz-Gesellschaft“ mit Sitz in Wanne, zu den Geldgebern gehören neben Privatleuten auch die Stadt Herne sowie die Ämter Wanne und Herten.

Für das Luftschiff wird eine große Halle gebaut

Historische Postkarte: Auf dem Flugplatz Wanne-Herten fanden regelmäßig Flugtage statt. Die Besucherinnen und Besucher konnten sie von der Tribüne aus verfolgen.
Historische Postkarte: Auf dem Flugplatz Wanne-Herten fanden regelmäßig Flugtage statt. Die Besucherinnen und Besucher konnten sie von der Tribüne aus verfolgen. © Stadtarchiv Herne

Doch wohin soll der Flugplatz kommen? Weil Herne kein geeignetes Grundstück besitzt, einigen sich die Beteiligten auf eine Fläche nördlich von Emscher und Kanalhafen Herne auf Hertener Gebiet. In wenigen Wochen wird ein Oval in den Wald geholzt, über 1000 Meter lang und 900 Meter breit, dann planiert und eingezäunt. Als Eingang zum „Flug- und Sportplatz“, der am Rand auch eine „Automobil-, Trab- und Radrennbahn“ erhält, wird ein Gebäude mit zwei Eingängen errichtet, für den „1. Platz“ und den „2. Platz“. Dadurch gelangen die Besucherinnen und Besucher auf unterschiedliche Ränge einer überdachten Holztribüne für 1000 Gäste und königlicher Loge, von der sie das Treiben auf dem Platz beobachten sollen.

Damit nicht genug: Rund ums Oval wird geklotzt, nicht gekleckert. Unter anderem entstehen drei Flugzeugschuppen, ein Clubhaus, Automobil-Abstellplätze, Stehplätze sowie fünf Restaurants. Hauptattraktion für die Zuschauerinnen und Zuschauer aber soll ein großes Luftschiff werden, deshalb muss auch eine große Halle her. Sie wird 100 Meter lang und 35 Meter breit. Die „patentierte Bauweise“ dieser Holzhalle, so schreibt die Wanner und Eickeler Zeitung am 20. April 1912 stolz, „bildet zweifellos das technisch Vollendetste auf dem Gebiet des modernen Hallenbaus“.

Erbprinzessin kommt zur Eröffnung

So sah der Haupteingang zum Flugplatz aus. Durch die beiden Seiteneingänge kam man auf die Zuschauertribüne mit den ersten und zweiten Plätzen.
So sah der Haupteingang zum Flugplatz aus. Durch die beiden Seiteneingänge kam man auf die Zuschauertribüne mit den ersten und zweiten Plätzen. © Stadtarchiv Herne

Und dann das Luftschiff: Für 392.000 Mark kauft die Flugplatzgesellschaft in Bitterfeld einen Koloss der Lüfte, ein Luftschiff der Parseval-Baureihe. Es ist 82 Meter lang, hat eine Ballonhülle und einen Durchmesser von 14 Metern, eine Gondel mit Platz für zwölf Menschen plus Besatzung. Knapp 60 km/h schafft die fliegende Attraktion und kann mit einer Tankladung 20 Stunden fliegen.

Mit großen Tamtam wird der Flugplatz zu Pfingsten, am 26. Mai 1912, eingeweiht. Das neue Luftschiff wird von hohem Besuch getauft: von ihrer Königlichen Hoheit Erbprinzessin Charlotte von Sachsen-Meiningen, Prinzessin zu Preußen, die mit dem Automobil anreist. Die älteste Schwester Seiner Majestät Kaiser Wilhelm II. tauft das Luftschiff auf – ihren Namen. Zehntausende kommen dazu in den Emscherbruch, allein: Das Wetter spielt nicht mit, böige Winde verhindern erst eine Zeremonie im Freien, dann den ersten Start der „Charlotte“ in Wanne-Herten. Die Besucherinnen und Besucher gehen enttäuscht nach Hause. Erst am folgenden Tag wird der neue Star der Lüfte aus der Halle gezogen und steigt in den Himmel empor.

Die weiteren Teile der WAZ-Serie „Herne historisch“

1. City-Center: Vom „Knüller“ zum Sorgenkind

2. Kraft-Messing-Platz: Platz gab es nur für wenige Jahre

3. Wanner Hundewiese: Wo es in Wanne einst die „Hundewiese“ gab

4. Hotel Schlenkhoff: In Herne-Mitte stand einst das erste Haus am Platze

5. Willi Henkelmann: Herner lösen Rätsel um Tod des berühmten Rennfahrers

6. Margarethe Henkel: Als Herne sein „historisches Baby“ feierte

7. Horststadion: Stadion erlebte viele packende Wettkämpfe

8. Möllertunnel: Unterführung wurde geliebt und gehasst

9. Nagelhaus: Als die Menschen Nägel in Wahrzeichen schlugen

10. Herner Herdfabrik: Vor 45 Jahren war der Ofen endgültig aus

11. Feuer zerstörte einst die historische Wassermühle in Herne

12. So riss Wanne-Eickel das Haus Bönninghausen ab

13. Teckelbahn war in Europa einzigartig

14. 100.000 Einwohner: Ein Baby macht Wanne-Eickel zur Großstadt

15. Ein Weltstar aus Herne – Kurt Edelhagen vor 100 Jahren geboren

16. Bummeln mit Flair: Kaiserpassage gab Wanne einen mondänen Anstrich

17. Der Stichkanal: Kanal verband Herne mit dem Schiffshebewerk Henrichenburg

18. Von Kaufmann bis Hertie: Das waren die Kaufhäuser in Herne

19. Herne in Trümmern: 1945 knurrte bei den Menschen der Magen

20. Bau des Bahnhofs sorgte für Chaos in der Stadt

21. Vor 65 Jahren öffnete das Kinderkurheim in Hammelbach

22. XXL-Entertainment-Center wird zur riesigen Bauruine

23. Das Schicksal der „Käseglocke“

24. Bürgerentscheid: Herner wollten zwei Schwimmbäder retten

25. Ruhrbesetzung – was Soldaten über Herne nach Haus schrieben

26. Als Herne einen Flugplatz mit Luftschiff hatte

27. Mond von Wanne-Eickel: Als ein Lied die Stadt berühmt machte

28. Stadt Herne macht Gysenberger Wald zum Naherholungsgebiet

29. Mit allen Schikanen: Feuerwehr in Herne bezieht neue Wache

30. Herne: Bei alten Luftbildern werden Erinnerungen wach

31. Alte Luftbilder zeigen Herne in den 50er und 60er Jahren

Der misslungene Start hat Symbolkraft und läutet bereits den Niedergang des Airports ein, der in seinem kurzen Leben von Pleiten, Pech und Pannen begleitet wird. Zwar mühen sich die Verantwortlichen, den Flughafen zum Erfolg zu bringen, indem sie viel Spektakel organisieren. So wird eine Fliegerschule gegründet, Flugschauen mit Männern, die in ihren Fluggeräten kurz in den Himmel steigen, werden abgehalten, ebenso Fallschirmsprünge organisiert, und Zwischenlandungen von Flugzeugen werden eingekauft. Und, natürlich, wird auch die „Charlotte“ regelmäßig für Rundflüge aus dem Hangar geholt. Spannend ist das aber nicht auf Dauer für die Menschen: Schon im Sommer 1912 zeichnet die Wanner und Eickeler Zeitung ein schlechtes Bild von dem Airport und spricht von „Flugplatz-Müdigkeit“. Die Zeitung schreibt: „Die Flugveranstaltungen hängen zu sehr von der Witterung ab und verlieren auf die Dauer an allgemeinem Interesse und an Anziehung, da im Grund genommen immer ein und dasselbe geboten wird, das Publikum aber nach Abwechslung verlangt.“

Blütenträume zerplatzten im Ersten Weltkrieg

Das Blatt schlägt deshalb vor, einen Lunapark anzulegen mit Tanzzelten und einer Trab- und Flachbahn. Mehr noch: „Olympische Spiele“ sollen abgehalten werden, „turnliche Veranstaltungen“ und „Fußballkämpfe“. „Ohne einen Ausbau des Platzes wird der Flugplatz stets Zuschüsse brauchen und für unsere Gemeinde eine Einrichtung bleiben, mit der man Fiasko gemacht hat.“

Für die „Charlotte“ musste eigens eine große Halle gebaut werden.
Für die „Charlotte“ musste eigens eine große Halle gebaut werden. © Stadtarchiv Herne

Vergebens. Die Blütenträume vom großen, vielleicht sogar internationalen Flughafen an der Emscher sind schon kurz darauf mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs ausgeträumt. „Mit Kriegsbeginn wurde jede Tätigkeit auf dem Flugplatz von der Militärbehörde untersagt, sodaß die Einnahmen fehlten“, erklärt der Westdeutsche Herold am 3. Mai 1916 seinen Leserinnen und Lesern. Und zeigt sich ernüchtert: Es sei zu bedauern, „daß das mit so viel vaterländischer Begeisterung begonnene Unternehmen infolge mißlicher Verhältnisse so ein Ende findet“.

Ende heißt auch: Die einst stolze Luftschiffhalle wird kurzerhand zur schnöden Scheune. Ein Landwirt, der nebenan Felder bestellt, lagert dort sein Stroh ein, und die Tribüne wird zur bäuerlichen Unterkunft. In den kommenden Jahrzehnten gibt es mehrere Wiederbelebungsversuche, die aber allesamt scheitern. Erst wird in den 1930er Jahren auf dem Areal ein Modellbau- und Segelflugplatz gebaut, der im Zweiten Weltkrieg aber wieder dicht macht, dann, nach dem Krieg, ein Segelflugplatz. Auch der muss bald wieder schließen.

Und was wird aus dem stolzen Luftschiff? Auch das überlebt nicht mal den Ersten Weltkrieg: „Die kostbare Seide der ,Charlotte’ wanderte, von Soldaten verschleudert, durch viele Hände“, so die Hertener Allgemeine im Juni 1962.

>> WEITERE INFORMATIONEN: Preise

Jahreskarten für alle Veranstaltungen auf dem Flugplatz Wanne-Herten kosteten 20 (1. Platz) und 15 Mark (2. Platz), so Alina Gränitz vom Stadtarchiv Herne. Weitere Familienkarten: 5 beziehungsweise 4 Mark. Wer „nur“ die Flugwoche zu Pfingsten 1912 besuchen wollte, zahlte als Erwachsener 2 Mark (1. Platz) oder 1 Mark (2. Platz), als Kind 0,30 beziehungsweise 0,10 Mark.

Rundflüge mit der „Charlotte“ kosteten 60 Mark (halbe Stunde) oder 100 Mark (1 Stunde). Wer mit dem Luftschiff reisen wollte, zahlte zum Beispiel 75 Mark für bis zu einer Entfernung von 25 Kilometern, 125 Mark bis zu 75 Kilometern oder 200 Mark bis 150 Kilometer.